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Unvermittelt sagte Quince:»Darf ich vorschlagen, daß Sie in Ihrem Boot einen Riemen aufrecht stellen, Sir? Falls wir getrennt würden, könnte er uns die Richtung weisen.»

Bolitho nickte.»Sorgen Sie dafür, Allday. «Es war gut zu wissen, daß Quince nachdachte und nicht nur litt.

Einer der Matrosen neigte sich über das Dollbord und schöpfte mit den Händen das träge fließende Wasser. Allday rief:»Laß das!«Als der Mann die Hände zurückzog, tauchte er sein Halstuch ein und probierte es mit der Zungenspitze. Dann spuckte er angewidert aus.»Dreck!«schimpfte er. Etwas leiser fügte er hinzu:»Schmeckt nach Salz und noch etwas, Captain. «Voller Ekel verzog er das Gesicht.»Als ob tausend Leichen drin liegen.»

Bolitho hob die Stimme.»Habt ihr das gehört? Haltet also aus und wartet ab, bis Frischwasser ausgegeben wird. Der Gestank hier ist schon schlimm genug. Da könnt ihr euch wohl vorstellen, was das Wasser in euren Gedärmen anrichten würde.»

Hier und da nickte ein Mann, aber Bolitho wußte, daß auf alle aufgepaßt werden mußte. Er hatte Männer gesehen, die Salzwasser getrunken hatten und nach wenigen Stunden dem Wahnsinn verfielen. Trotz gründlicher Ausbildung und langer Erfahrung konnte der Durst sie dazu treiben, einen Schluck zu versuchen, selbst wenn sie soeben Zeuge des gräßlichen Todes eines Mannes geworden waren, welcher der Versuchung nicht widerstanden hatte.

Müde sagte er:»Wir fahren weiter. Holt den Anker ein.»

Stöhnend erhob sich die Wache, und schob die Riemen wie Paddel über die Bootswand. Es war eine unbequeme Art der Fortbewegung, aber weniger zeitraubend, als wenn das Boot alle paar Minuten aufgehalten wurde, weil die Riemen in Wasserpflanzen oder Schlamm staken und befreit werden mußten.

Und was für ein Schlamm! Als ein Mann seinen Riemen aus dem Wasser hob, sah Bolitho, daß stinkender, schwarzer Schleim abtropfte, der in der Sonne wie siedendes Pech glänzte. Besorgt beobachtete er, wie der Mann den Riemen wieder senkte und bald weniger mühsam atmete. Das Boot bewegte sich jetzt unbehinderter, und er wußte, daß sie wieder tieferes Wasser erreicht hatten.

Er sah Pascoe auf einem der Wasserbehälter kauern. Den Kopf in die Hände gestützt, starrte er auf die vorbeiziehende grüne Wand. Sein Hemd war an einer Schulter aufgerissen, und die frisch vernarbte Haut hob sich in stumpfem Rot von der Sonnenbräune ab. Er rief:»Kommen Sie nach achtern, Mr. Pascoe. «Er mußte seine Aufforderung wiederholen, ehe der Junge den Kopf hob und dann langsam wie ein Schlafwandler über die dösenden Matrosen stieg.

Bolitho sagte leise:»Bedecke deine Schulter, Junge. Die wird so wund gebrannt wie rohes Fleisch, wenn du sie der Sonne aussetzt.»

Er sah zu, wie Pascoe sein Hemd zurechtzog und bemerkte den frischen Schweiß, der ihm bei der Anstrengung auf die Stirn trat. Plötzlich dachte er an Stepkyne und verfluchte ihn.

Er fuhr fort:»Es kann sein, daß du morgen an dem Riemen vorn im Bug hinaufklettern mußt, um dich umzusehen. Du bist der leichteste an Bord, also ist es besser, wenn du deine Kräfte schonst.»

Pascoe drehte sich um und sah zu ihm auf, die Augen von seinem ungekämmten Haar halb verdeckt.»Das schaffe ich schon, Sir. «Er nickte flüchtig.»Das schaffe ich bestimmt.»

Bolitho wendete sich ab, war nicht fähig, die fieberhafte Entschlossenheit des Jungen anzusehen, die ihn zu keiner Stunde zu verlassen schien. Nie würde er vor einer Aufgabe zurückscheuen, selbst wenn sie normalerweise einem abgebrühten Seemann übertragen wurde; Bolitho wußte, der Junge würde sich eher umbringen, als eine Niederlage eingestehen. Als ob er die Schande seines Vaters als ständigen Ansporn sähe, als ob er glaube, sich bewähren zu müssen, um dadurch Hughs Makel zu tilgen.

Als der Junge nach dem achtern folgenden Kutter ausspähte, warf Bolitho wieder einen verstohlenen Blick auf ihn. Was würde er sagen, wenn er die ganze Wahrheit erfuhr? Daß sein Vater noch lebte und unter falschem Namen in New Holland eine Strafe verbüßte? Er wies den Gedanken sofort von sich. Die Ferne allein heilte nichts, das wußte er jetzt. Es würde die Qualen des Jungen nur verlängern, ihn mit neuen Zweifeln oder falschen Hoffnungen erfüllen.

Allday leckte sich die Lippen.»Wachwechsel! Die nächsten an die Riemen.»

Bolitho beschattete die Augen, um zum leeren Himmel aufzusehen. Nur ein gelegentliches Plätschern um den Steven ließ ahnen, daß sich das Boot bewegte. Das ruckweise, kümmerliche Vorwärtskommen schien kein Ende zu nehmen, als sie weiter in diese grüne Unwirklichkeit vorstießen.

Er tastete nach seinem Kompaß und starrte eine volle Minute darauf. Ein Insekt kroch über das Glas, in plötzlichem Ärger wischte er es fort. Bestenfalls konnten sie bis zum Einbruch der Nacht die vollen zehn Meilen schaffen. Und dies war noch der leichteste Teil ihrer Fahrt. Am folgenden und am dritten Tag würden ihnen größere Strapazen bevorstehen, je weiter die Boote in den Sumpf vordrangen. Er warf einen schnellen Blick auf die Matrosen in seiner Nähe. Ihre Gesichter waren schmutzig und bedrückt, und sie schlugen die Augen nieder, als sie bemerkten, daß er sie beobachtete. Kämpfen und notfalls sterben, das konnten sie verstehen. Von vertrauten Männern und Dingen umgeben, waren sie auf den Kampf gefaßt und mit der strengen Disziplin und unanfechtbaren Autorität einverstanden. Doch ihre Haltung beruhte auf Vertrauen, auf einem Ehrenkodex. Dem Vertrauen aufeinander und auf die Tüchtigkeit ihrer Offiziere, die ihr Leben bestimmten.

Jetzt aber, unter dem Befehl eines Mannes, den sie nicht einmal kannten, und bei einer Aktion, die ihnen ebenso fragwürdig erscheinen mußte wie ihre Umgebung, kamen ihnen die ersten Zweifel. Und aus dieser Unsicherheit konnte der Keim eines Fehlschlags erwachsen.

Er sagte:»Geben Sie Befehl zum Ankern. Wir wollen Rationen verteilen und eine halbe Stunde rasten. «Er wartete, bis Allday das nachfolgende Boot benachrichtigt hatte, ehe er hinzufügte:»Pro Mann einen Becher Wasser, und sorgen Sie dafür, daß die Leute langsam trinken.»

Plötzlich fragte Pascoe:»Wenn wir das Ende des Sumpfes erreichen, finden wir vielleicht frisches Wasser, Sir. «Seine dunklen Augen waren ernst und nachdenklich auf Bolitho gerichtet.»Aber ich nehme an, daß wir zuerst kämpfen müssen.»

Bolitho beobachtete den ersten Matrosen am Wasserbehälter. Er hob den Schöpfbecher an die Lippen und legte den Kopf weit zurück, damit er auch den letzten Tropfen bekam. Aber er hatte Pas-coes Worte im Ohr, die ihm in diesem Augenblick mehr Sicherheit gaben, als er für möglich gehalten hätte.

Er erwiderte:»Ich zweifle nicht daran, daß uns sowohl Wasser als auch Kampf erwartet. «Dann lächelte er trotz seiner ausgedörrten Lippen.»Aber trink jetzt deine Ration, mein Junge, und warte ab; alles zu seiner Zeit.»

Gegen Abend wurde dann jedes Weiterkommen unmöglich. So sehr die Matrosen sich auch mit den Riemen mühten, das Boot steckte in einem Bett aus Schlamm und verrottenden Wasserpflanzen fest. Vergebens waren Shamblers Drohungen und Alldays Flüche. Die Männer stützten sich auf die Riemen, starrten nur in die sinkende Sonne und reagierten kaum. Sie waren erschöpft und dem Zusammenbruch nahe, und als Längs Boot sich näherte, wußte Bolitho, daß er sofort handeln mußte, wenn sie die letzte Tagesstunde noch nutzen wollten.

«Raus aus dem Boot! Bewegung!«Ohne auf die widerspenstigen Gesichter oder schwirrenden Insekten zu achten, stieg er nach vorn in den Bug, streifte sein Hemd ab und löste den Säbel, ließ sich dann zähneknirschend in das ekelerregende Wasser hinab und griff nach einer Schleppleine.

Allday schrie:»Jetzt aber ran!«Auch er schwang sich über das Dollbord, schlang sich eine weitere Leine über die Schulter und watete hinter Bolitho her, ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen, um zu sehen, wer ihm folgte.

Bolitho stapfte langsam durch den klebrigen Schlamm, spürte, wie er sich um seine Oberschenkel schloß und dann bis zu den Hüften stieg, während er sich vorwärts kämpfte. Die Leine schnitt ihm unter der vollen Last des Bootes in die Schulter. Dann hörte er Plätschern hinter sich, gefolgt von Flüchen und Stöhnen, als die Männer das Boot verließen und einer nach dem anderen ihre Plätze an den beiden Schleppleinen einnahmen.