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Das Rennen erwies sich sehr viel härter als erwartet, da einer der anderen Starter neue Kräfte in sich entdeckt zu haben schien, seit ich ihn zuletzt geschlagen hatte. Er galoppierte Schritt für Schritt mit Cascade die Gegengerade hinab und hängte sich im Einlaufbogen wie eine Klette an ihn. Als wir die letzten vier Hindernisse vor dem Finish angingen, war er immer noch dicht neben Cascade, aggressiv dorthin gedrängt von seinem Jockey, obwohl ihnen die Bahn in ihrer ganzen Breite zur Verfügung stand. Es war eine Zermürbungstaktik, wie dieser Jockey sie häufig gegen Pferde anwandte, die er für schreckhaft hielt, aber ich war nicht in der Stimmung, mich von ihm oder sonst jemand überholen zu lassen, und wie zu oft in letzter Zeit bemerkte ich Wut in mir, Rücksichtslosigkeit und eine unterdrückte Verzweiflung, die sich entlud.

Ich kickte Cascade knallhart über die letzten Sprünge und trieb ihn unbarmherzig die Einlaufgerade entlang, und wenn ihm das verhaßt war, dann sagte er es mir wenigstens nicht. Er reckte seinen Hals und seinen braunen Kopf nach dem Ziel und hielt unter schonungslosem Druck bis zum Ende durch.

Wir siegten um Zentimeter, und Cascade ging restlos erschöpft nach einigen ungleichmäßigen Tritten in den Schritt über. Ich schämte mich ein bißchen und zog wenig Freude aus dem Sieg, und auf dem langen Weg zum Absattelplatz verspürte ich nicht die Erleichterung nachlassender Spannung, sondern die zunehmende Furcht, mein Reittier könnte einen Herzschlag erleiden und tot umfallen.

Es stellte sich mit zitternden Beinen als Sieger auf, bedacht mit ganz sicher verdientem Beifall, und die Prinzessin kam mit etwas ängstlicher Miene, um es zu begrüßen. Das Ergebnis der Zielfotografie war schon verkündet, Cascades Sieg bestätigt, und es schien, daß die Prinzessin nicht etwa in Sorge darüber war, ob sie gewonnen hatte, sondern wie.

«Sind Sie nicht hart mit ihm umgesprungen?«fragte sie zweifelnd, als ich absaß.»Vielleicht zu hart, Kit?«

Ich klopfte Cascades dampfenden Hals, fühlte den Schweiß unter meinen Fingern. Manch anderes Pferd wäre unter so starker Belastung zusammengebrochen.

«Er ist tapfer«, sagte ich.»Er gibt alles, was er hat.«

Sie sah zu, wie ich die Gurte löste und den Sattel auf meinen Arm gleiten ließ. Ihr Pferd stand reglos vor Müdigkeit da, während Dusty, der Reisefuttermeister, den tropfnassen braunen Körper in eine Schweißdecke hüllte, um ihn warmzuhalten.

«Sie brauchen nichts zu beweisen, Kit«, sagte die Prinzessin vernehmlich.»Weder mir noch sonst jemandem.«

Ich hörte auf, die Gurte um den Sattel zu legen, und schaute sie überrascht an. Sie sagte fast nie etwas so Persönliches und auch nicht derart direkt. Ich muß so betroffen ausgesehen haben, wie ich mich fühlte.

Langsam steckte ich die Gurte fest.

«Ich sollte mich zurückwiegen«, meinte ich zögernd.

Sie nickte.

«Vielen Dank«, sagte ich.

Sie nickte nochmals und tätschelte mir den Arm, eine kleine vertraute Geste, die immer Verstehen und Entlassung beinhaltete. Ich wandte mich ab, um in den Waageraum zu gehen, und sah einen der Stewards entschlossen auf Cascade zusteuern, den er aufmerksam betrachtete. Stewards schauten meistens so, wenn sie gehetzte Pferde auf Anzeichen von Mißhandlung untersuchten, aber hinter dem Eifer dieses Stewards lag weit mehr als simple Tierliebe.

Bestürzt hielt ich im Gehen inne, und die Prinzessin wandte den Kopf, um meinem Blick zu folgen, worauf sie mich sofort wieder ansah. In ihren blauen Augen blitzte Verständnis auf.

«Gehen Sie nur«, sagte sie.»Wiegen Sie sich zurück.«

Ich ging dankbar weiter und überließ es ihr, dem Mann gegenüberzutreten, der vielleicht mehr als alles andere auf der Welt wünschte, daß ich meine Rennreiterlizenz verlor.

Oder, besser noch, mein Leben.

Maynard Allardeck, einer der Stewards bei diesem Meeting in Newbury (was mir vorübergehend entfallen war), hatte sowohl schlechte als auch gute Gründe, mich, Kit Fielding, zu hassen.

Die schlechten Gründe waren ererbt und irrational und deshalb besonders schwerwiegend. Sie entstammten einer Familienfehde, die mehr als drei Jahrhunderte überdauert und eine Tradition gegenseitiger Gewalttaten und Niedertracht geschaffen hatte. In der Vergangenheit hatten Fiel-dings Allardecks umgebracht und Allardecks Fieldings. Ich selbst hatte von Geburt an, zusammen mit meiner Zwillingsschwester Holly, von unserem Großvater beigebracht bekommen, daß alle Allardecks unehrlich, feige, bös und hinterhältig seien, und das hätten wir wahrscheinlich unser Leben lang geglaubt, wenn sich Holly nicht wie einst Julia in Romeo — in einen Allardeck verliebt und ihn geheiratet hätte.

Bobby Allardeck, ihr Mann, war nachweisbar weder unehrlich noch feige, böse oder hinterhältig, sondern ein gutmütiger Mensch, der in Newmarket Pferde trainierte. Bobby und ich hatten aufgrund seiner Heirat schließlich in unserer Generation, in unseren Herzen die alte Fehde begraben, aber Bobbys Vater, Maynard Allardeck, war noch der Vergangenheit verhaftet.

Maynard hatte Bobby den Verrat, den er in seinen Augen begangen hatte, nie verziehen und keineswegs eine Versöhnung angestrebt, sondern sich nur noch mehr auf die eingefleischte Überzeugung versteift, daß alle Fiel-dings, insbesondere Holly und ich, falsch, diebisch, intrigant und grausam seien. Meine friedfertige Schwester war nachweisbar nichts von alledem, aber Maynard sah jeden Fielding durch eine Zerrbrille.

Holly hatte mir erzählt, wie Bobby seinem Vater mitgeteilt hatte (während sie alle bei Bobby und Holly in der Küche standen), daß Holly schwanger sei und daß sein Enkelkind wohl oder übel Allardeck- und Fieldingblut in sich vereinen würde. Im ersten Moment hatte sie geglaubt, Maynard wolle sie erdrosseln. Statt dessen war er mit buchstäblich nach ihrem Hals gestreckten Händen plötzlich herumgewirbelt und hatte sich in den Spülstein übergeben. Sie war sehr erschüttert gewesen, als sie mir das erzählte, und Bobby hatte geschworen, seinen Vater nie wieder ins Haus zu lassen.

Maynard Allardeck war Mitglied des Jockey-Clubs, der obersten Rennsportbehörde, wo er mit seinem überragenden öffentlichen Charme jede Machtposition erkletterte, an die er herankam. Maynard Allardeck, der bereits bei mehreren großen Rennen als Steward fungierte, war auf das Triumvirat aus, er wollte einer der drei Stewards des Jockey-Clubs werden, die alle drei Jahre den SeniorSteward stellten.

Für einen Jockey aus der Familie der Fieldings hätte die Aussicht auf einen Allardeck, der eine Position fast unumschränkter Macht über ihn bekleidete, verheerend sein müssen — und hier kamen die guten und verständlichen Gründe für Maynards Haß ins Spiel. Denn ich hatte ihn so fest in der Hand, daß er meine Laufbahn, mein Leben oder meinen Ruf nicht zerstören konnte, ohne selbst auf der Strecke zu bleiben. Er und ich und noch ein paar andere wußten davon; es genügte, um dafür zu sorgen, daß er mich in allen Rennsportfragen fair behandeln mußte.

Wenn er jedoch nachweisen konnte, daß ich Cascade wirklich mißhandelt hatte, würde er mich mit dem größten Vergnügen zu einer Geldbuße und einer Sperre verdonnern. In der Hitze des Rennens, in der Aufwallung meiner eigenen unbezähmbaren Gefühle hatte ich keinen Gedanken daran verschwendet, daß er unter den Zuschauern war.

Ich ging in den Waageraum, setzte mich auf die Waage und trat dann wieder an die Tür, um zu sehen, was draußen vorging. Aus dem Türschatten beobachtete ich Maynard im Gespräch mit der Prinzessin. Sie zeigte ihr freundlichstes und liebenswürdigstes Gesicht. Beide gingen im Kreis um den bebenden Cascade herum, der in der eiskalten Luft am ganzen Körper dampfte, da Maynard Dusty angewiesen hatte, die netzartige Schweißdecke abzunehmen.

Maynard sah wie immer tadellos elegant und vertrauenswürdig aus, ein äußeres Bild, das ihm sowohl im Geschäftsleben zustatten kam, wo er ein Riesenvermögen auf Kosten anderer erworben hatte, als auch in Gesellschaftskreisen, wo er viel für wohltätige Zwecke spendete und sich zu seinen guten Werken gratulierte. Nur die vergleichsweise wenigen Leute, die das schäbige, brutale Innere durchschaut hatten, blieben zynisch unbeeindruckt.