Выбрать главу

Die Prinzessin unterhielt auf mehreren Rennplätzen eine Loge und hatte sie alle in den gleichen Creme-, Kaffee-und Pfirsichfarben herrichten lassen. In jeder gab es einen Eßtisch und Stühle für den Lunch und dahinter eine Glastür zum Aussichtsbalkon. Sie hatte regelmäßig die eine oder andere Gruppe von Freunden zu Gast, aber an diesem Tag waren sogar die Freunde verschwunden.

Ich klopfte kurz an ihre Logentür, drückte ohne auf Antwort zu warten die Klinke herunter und trat ein.

Der Tisch war wie üblich aus Platzgründen nach dem Lunch an die Wand gerückt worden und jetzt in vertrauter Weise gedeckt mit allem, was zum Tee gehört: Appetithappen, Biskuits, Tassen und Untertassen, alkoholische Getränke, Kisten mit Zigarren. Heute nachmittag hatte niemand etwas davon angerührt, und es war auch keine Kellnerin da, die mir lächelnd einen Tee mit Zitrone anbot.

Ich hatte erwartet, die Loge überhaupt leer vorzufinden, aber sie war es nicht.

Die Prinzessin saß drinnen.

Neben ihr stand schweigend ein mir unbekannter Mann. Keiner von ihren üblichen Freunden. Ein Mann, der nicht viel älter war als ich, schlank, dunkelhaarig, mit ausgeprägter Nase und Kinn.

«Prinzessin…«sagte ich und machte einen Schritt in den Raum.

Sie wandte den Kopf. Sie trug immer noch den Zobelmantel und den russischen Hut, obwohl sie die Überkleidung normalerweise in ihrer Loge ablegte. Ihre Augen sahen mich ausdruckslos an, verschleiert, weit offen, blau und leer.

Schock, dachte ich.

«Prinzessin«, sagte ich nochmals, beunruhigt.

Der Mann antwortete. Seine Stimme entsprach seiner Nase und seinem Kinn, markant, energisch, voller Kraft.

«Gehen Sie«, sagte er.

Kapitel 2

Ich ging.

Ich wollte mich keinesfalls ungebeten in irgendwelche privaten Probleme der Prinzessin einmischen, und diese Einstellung begleitete mich auf dem Weg nach unten. Ich war zu sehr an unsere auf Distanz bedachte Beziehung gewöhnt, als daß ich mir eingebildet hätte, ihre Angelegenheiten gingen mich etwas an. Mit der Einschränkung, daß sie die Frau von Danielles Onkel war.

Als ich dann hinaus zu meinem Wagen ging, wünschte ich, ich wäre nicht so überstürzt abgezogen oder hätte wenigstens erst einmal gefragt, ob sie meine Hilfe brauchte. Die herrische Stimme des Fremden hatte einen nachdrücklich warnenden Unterton gehabt, aus dem ich zunächst geschlossen hatte, er wolle die Prinzessin nur beschützen, aber rückblickend war ich mir da nicht so sicher.

Es konnte nichts schaden, dachte ich, wenn ich wartete, bis sie nach unten kam — denn irgendwann mußte sie schließlich nach Hause fahren —, und mich vergewisserte, daß es ihr gut ging. Wenn der Fremde noch bei ihr war und mich wieder so grob abfertigte, sie ihn aber offensichtlich als ihren Beschützer ansah, dann würde ich sie zumindest wissen lassen, daß ich ihr nötigenfalls beigestanden hätte.

Ich ging durch das Sattelplatztor zum Parkplatz, wo ihr Chauffeur Thomas wie gewohnt in ihrem Rolls-Royce auf sie wartete.

Thomas und ich sagten uns meistens auf den Parkplätzen guten Tag, denn er, ein phlegmatischer Londoner, las lieber friedlich in irgendeinem Buch, als auf die sportlichen Ereignisse um ihn herum zu achten. Dick und zuverlässig, chauffierte er die Prinzessin seit Jahren und kannte ihr Leben und ihren Tagesablauf so gut wie jemand aus ihrer Familie.

Er sah mich kommen und winkte mir zu. Normalerweise ließ sie, wenn ich ihre Loge verlassen hatte, nicht mehr lange auf sich warten, so daß mein Erscheinen für Thomas als Zeichen diente, den Wagen zu starten und den Motor warmlaufen zu lassen.

Ich ging zu ihm, und er ließ ein Fenster herunter, um mit mir zu sprechen.

«Ist sie soweit?«fragte er.

Ich schüttelte den Kopf.»Da ist jemand bei ihr…«Ich zögerte.»Kennen Sie einen jüngeren Mann mit dunklen Haaren, dünn, vorspringende Nase und Kinn?«

Er überlegte und sagte, ihm falle keiner ein und warum es mich beunruhige.

«Sie hat nicht zugesehen, wie eines von ihren Pferden gelaufen ist.«

Thomas setzte sich gerade hin.»Darauf würde sie doch nie verzichten.«

«Eben. Hat sie aber.«

«Da stimmt was nicht.«

«Ja, denke ich auch.«

Ich sagte Thomas, ich ginge noch einmal zurück, um mich zu vergewissern, daß ihr nichts passiert sei, und auch ihm war jetzt Unruhe anzusehen.

Das letzte Rennen war vorbei, die Zuschauer zerstreuten sich rasch. Ich stellte mich ans Tor, wo ich die Prinzessin nicht verpassen konnte, und überflog Gesichter. Viele waren mir bekannt, viele kannten mich. Ich sagte fünfzig Mal gute Nacht und hielt vergeblich nach dem Pelzhut Ausschau.

Der Menschenstrom verebbte zu einem Rinnsal und das Rinnsal zu Zweier- und Dreiergruppen. Ich wanderte langsam wieder auf die Tribüne zu und dachte unentschlossen, daß ich vielleicht noch einmal in ihre Loge hinaufgehen sollte.

Ich hatte fast den Aufgang zu den Logen erreicht, als sie herauskam. Selbst aus acht Metern Entfernung konnte ich den verschleierten Blick ihrer Augen sehen, und sie ging, als spüre sie den Boden nicht, hob die Füße hoch und setzte sie bei jedem Schritt hart auf.

Sie war allein und nicht in der Verfassung, es zu sein.

«Prinzessin«, ich trat rasch zu ihr.»Lassen Sie sich helfen.«

Sie schaute mich an, ohne etwas zu sehen. Sie wankte. Ich legte den Arm fest um ihre Taille, was ich unter normalen Umständen nie getan hätte, und sie straffte sich, als wollte sie ihre Hilfsbedürftigkeit nicht zugeben.

«Ich bin vollkommen in Ordnung«, sagte sie zitternd.

«Ja… gut, nehmen Sie mich beim Arm. «Ich ließ ihre Taille los, bot ihr meinen Arm als Stütze, und nach einem winzigen Zögern hakte sie sich ein.

Ihr Gesicht war blaß unter dem Pelzhut, und sie bebte am ganzen Körper. Ich ging langsam mit ihr zum Tor und lenkte sie dorthin, wo Thomas wartete. Er war ausgestiegen, sah besorgt drein und öffnete den hinteren Wagenschlag, als wir herankamen.

«Danke«, sagte die Prinzessin leise, als sie einstieg.»Vielen Dank, Kit.«

Sie ließ sich auf den Rücksitz sinken, wobei sie ihren Hut verlor und apathisch zusah, wie er auf den Boden rollte.

Sie streifte ihre Handschuhe ab und hob eine Hand zum Kopf, bedeckte ihre Augen.»Ich glaube, ich…«Sie schluckte erst einmal.»Haben wir Wasser, Thomas?«

«Ja, Madam«, sagte er eifrig und ging zum Kofferraum, um den kleinen Korb mit Erfrischungen herauszuholen, die er gewohnheitsmäßig mitnahm. Schlehenlikör, Sekt und Sprudelwasser waren immer zur Hand.

Ich blieb an der offenen Tür stehen, unsicher, wieviel Hilfe sie für nötig erachtete. Ich kannte ihren Stolz, ihre Beherrschung, die Ansprüche, die sie an sich stellte, durchaus. Sie würde nicht wollen, daß irgend jemand sie für schwach hielt.

Thomas gab ihr etwas Mineralwasser in einem Kristallglas mit klimperndem Eis, eine reife Leistung. Sie nahm zwei oder drei kleine Schlucke und starrte abwesend ins Leere.

«Prinzessin«, sagte ich schüchtern,»wäre es vielleicht besser, wenn ich Sie nach London begleitete?«

Sie wandte die Augen in meine Richtung, und etwas wie ein Schauer durchlief sie, so daß das Eis klirrte.

«Ja«, sagte sie merklich erleichtert.»Ich brauche einen, der. «Sie unterbrach sich, fand die Worte nicht.

Einen, der verhinderte, daß sie zusammenbrach, nahm ich an. Keine Schulter zum Ausweinen, sondern einen Grund, um nicht zu weinen.

Thomas, der die Regelung guthieß, sagte nüchtern zu mir:»Was wird mit Ihrem Auto?«»Es steht auf dem Jockey-Parkplatz. Ich fahre es zu den Stallungen. Da kann es bleiben.«

Er nickte, und wir hielten auf dem Weg nach draußen kurz an, damit ich den Mercedes sicher unterbringen und dem Boxenmanager der Rennbahn sagen konnte, ich käme ihn später abholen. Die Prinzessin schien von diesen ganzen Vorkehrungen nichts mitzubekommen, sondern starrte weiter vor sich hin, vertieft in ich ahnte nicht was für Gedanken, und erst als wir uns in der frühen Abenddämmerung London allmählich näherten, regte sie sich schließlich und gab mir zerstreut das Glas mit dem Rest Sprudel und geschmolzenen Eis als eine Art Auftakt zum Gespräch.