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Joshua York packte Abner Marsh am Hals, die grauen Augen von einem dämonischen Glanz erfüllt. Marsh drückte das Gewehr unter Joshuas Achselhöhle und drückte ab. Eine furchtbare Explosion ertönte, dann folgte der Geruch von Pulver und Blut. York wirbelte herum und stürzte, schrie vor Schmerz auf, als Marsh zurückwich.

Damon Julian lächelte teuflisch, bewegte sich wie eine Klapperschlange und riß Marsh die rauchende Waffe aus der Hand. »Und nun sind wir nur noch zu zweit«, sagte er. »Du und ich, Captain.«

Er lächelte, als Joshua einen Laut ausstieß, der fast einem Schrei glich, und sich von hinten auf Julian stürzte. Julian schrie überrascht auf. Sie rollten herum, rangen miteinander, bis sie gegen die Bar prallten und sich voneinander trennten. Damon Julian kam als erster hoch, Joshua kurz nach ihm. Yorks Schulter war eine blutige Masse, und der Arm hing ihm lahm an der Seite, aber in seinen zu Schlitzen verengten Augen lag die rasende Wut der gierigen Bestie. York hat Schmerzen, dachte Marsh triumphierend, und Schmerzen konnten den Durst wecken.

Joshua rückte langsam vor; Julian wich zurück, lächelte. »Nicht ich, Joshua«, sagte er, »der Captain hat dich verwundet.« Joshua hielt inne und streifte Marsh mit einem kurzen Blick, und Marsh wartete gespannt, in welche Richtung der rote Durst ihn treiben würde, ob Joshua sein Tier beherrschte.

Schließlich lächelte York Damon Julian an, und der stumme Kampf begann.

Kraftlos vor Erleichterung wartete Marsh einen Moment lang, um seine Kräfte zu sammeln, ehe er sich bückte und das Gewehr aufhob, wo Julian es fallengelassen hatte. Er legte es auf den Tisch, knickte es und lud es mühsam. Als er es unter den Arm nahm, kniete Damon Julian bereits. Er hatte sein blindes blutiges Auge aus seiner Augenhöhle herausgeholt. Er hielt es hoch, während Joshua sich zu der Opfergabe hinabbeugte.

Abner Marsh trat schnell vor, stieß den Gewehrlauf gegen Julians Schläfe, zwischen die seidigen schwarzen Locken und drückte beide Läufe ab.

Joshua machte ein verdutztes Gesicht, als wäre er plötzlich aus einem Traum herausgerissen worden. Marsh knurrte und ließ das Gewehr fallen. »Das hast du eigentlich gar nicht gewollt«, erklärte er Joshua. »Bleib stehen! Ich hol’ dir, was du brauchst.« Er ging hinter die Bar und fand die dunklen unetikettierten Weinflaschen. Marsh ergriff eine und blies den Staub weg. Dann schaute er auf und sah die offenen Türen und Fenster und alle die bleichen Gesichter. Die Schüsse, dachte er. Die Schüsse haben sie geweckt.

Mit einer Hand hatte Marsh Mühe, den Korken aus der Flasche zu ziehen. Schließlich nahm er die Zähne zu Hilfe. Joshua York trat wie in Trance an die Bar. In seinen Augen ging der Kampf noch weiter. Marsh hielt ihm die Flasche entgegen, und Joshua packte seinen Arm. Marsh rührte sich nicht. Lange Zeit wußte er nicht, was geschehen würde, ob Joshua die Flasche nehmen oder ihm den Arm aufreißen würde. »Wir alle müssen unsere gottverdammte Wahl treffen, Joshua«, sagte er leise.

Joshua schaute ihn eine halbe Ewigkeit lang an. Dann riß er Marsh die Flasche aus der Hand, legte den Kopf in den Nacken und setzte die Flasche an. Das dunkle Elixier floß gurgelnd heraus und rann ihm über das Kinn.

Marsh holte sich eine zweite Flasche von dem widerlichen Zeug, schlug den Hals an der Kante der Marmorbar sauber ab und hob sie ebenfalls hoch. »Auf die gottverdammte Fiebertraum!« rief er.

Sie tranken gemeinsam.

EPILOG

Der Friedhof ist alt und zugewuchert und erfüllt von den Geräuschen des Flusses. Er befindet sich hoch oben auf einem Felsen, und unter ihm wälzt sich der Mississippi dahin, wie er es seit Tausenden von Jahren getan hat. Man kann an der Felskante sitzen, die Beine baumeln lassen und auf den Fluß hinausschauen und seinen Frieden und seine Schönheit genießen. Der Fluß hat von hier oben tausend Gesichter. Manchmal ist er golden und erfüllt vom Gesumm und Geschwirr der Insekten, die über die Oberfläche huschen, und das Wasser umfließt eilig und geschäftig halbversunkene Äste und Baumstämme. Zum Sonnenuntergang hin färbt er sich kurz bronzen und dann rot, und das Rot breitet sich aus und erinnert an Moses und an einen anderen Fluß. In klaren Nächten fließt das Wasser dunkel und rein wie schwarzer Samt, und unter der Oberfläche funkeln Sterne, und der Feenmond auf seinen Fluten ist manchmal heller und schöner als der echte Mond am Himmel. Der Fluß verändert sich auch mit den Jahreszeiten. Während der Frühjahrshochwasser ist er braun und schlammig und schiebt sich hinauf bis zu den Hochwassermarken an den Bäumen und Uferbefestigungen. Im Herbst treiben Blätter in tausend Farben auf der dunkelblauen Oberfläche. Und im Winter friert der Fluß, erstarrt zu Eis, und Schnee bedeckt ihn, und er verwandelt sich in eine weiße Straße, die kein Mensch zu betreten wagt, weil sie so hell ist, daß es in den Augen schmerzt. Unter dem Eis fließt das Wasser weiter. Und schließlich bäumt der Fluß sich wieder auf, und das Eis zerbricht mit furchtbarem Lärm.

Alle Stimmungen des Flusses können vom Friedhof aus verfolgt werden. Von dort oben sieht der Fluß aus wie vor tausend Jahren. Selbst heute noch ist am Iowa‐Ufer nichts anderes als Wald und hohe Felsgebirge. Der Fluß selbst ist still und friedlich. Vor tausend Jahren konnte man ihn stundenlang beobachten und nicht mehr sehen als einen einsamen Indianer in einem Kanu aus Birkenrinde. Heute sieht man dafür eine endlose Prozession von rundum geschlossenen Frachtkähnen, die von einem einzigen Dieselboot geschoben werden.

Zwischen damals und heute gab es eine Zeit, als der Fluß vor Leben sprühte, als Rauch und Dampf und Pfeifen und Feuer überall zu sein schienen. Die Dampfschiffe sind nun alle verschwunden, der Fluß hat seinen Frieden gefunden. Den Toten auf dem Friedhof gefiele es heute nicht mehr. Zur Hälfte ruhen Flußleute da oben.

Auch der Friedhof ist ein Ort des Friedens. Mittlerweile sind auch die Enkelkinder derer längst gestorben, die hier oben liegen. Besucher kommen nur selten, und die wenigen, die kommen, besuchen ein einziges unauffälliges Grab.

Einige der Gräber haben große Grabsteine. Eines hat sogar eine Statue, einen großen Mann in der Kleidung eines Dampfschifflotsen, der ein Stück vom Ruder in der Hand hält und in die Ferne blickt. Mehrere Grabsteine erzählen von Ereignissen eines Lebens, von Kesselexplosionen, vom Krieg oder von Havarien. Aber zu diesen kommen die Besucher nicht. Das Grab, das sie sehen wollen, ist schlicht. Der Stein hat hundert Jahre wechselnder Jahreszeiten erlebt und hat sie gut überstanden. Die Worte, die hineingemeißelt sind, sind kaum mehr zu lesen: ein Name, ein paar Daten und zwei Zeilen eines Gedichts:

CAP’N ABNER MARSH
1805–1873
Niemals mehr auf den Fluß hinaus
In tiefer Nacht.

Über dem Namen, mit großem Geschick in den Stein graviert, befindet sich eine kleine Verzierung, leicht erhaben und sorgfältig ausgeführt. Sie zeigt zwei Raddampfer in einem Wettrennen. Zeit und Wetter haben ihr Werk geleistet, aber man kann noch immer den Rauch aus den Schornsteinen aufsteigen sehen, und man kann fast die Geschwindigkeit der Schiffe spüren. Wenn man nahe genug herangeht und mit den Fingerspitzen über den Stein streicht, dann sind sogar die Namen zu entziffern. Das Verfolgerschiff ist die Eclipse, ein berühmter Dampfer ihrer Zeit. Das führende Schiff ist den meisten Flußhistorikern unbekannt. Der Name scheint Fiebertraum zu lauten.

Der Besucher, der sich am häufigsten einfindet, berührt das Schiff fast immer, als brächte es ihm Glück.

Seltsamerweise kommt er immer nur nachts.

Fiebertraum

HEYNE SCIENCE FICTION FANTASY