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Er sah in die Kiste, die mit Tüchern ausgelegt war, und wühlte in ihnen herum, bis er etwas Zylinderförmiges ertastete, das tatsächlich eine Konservendose sein konnte. Nein, doch nicht, es war viel zu lang und zu schwer. Vorsichtig zog er mit beiden Händen seinen Fund aus der Kiste und stieß einen überraschten Pfiff aus, als er erkannte, welchen Inhalt die Kisten wirklich hatten.

»Schau mal einer an! Wir haben mehr Glück als du Verstand, Jack. Aber das ist ja keine Kunst.«

Jack starrte auf das lange, schwere Rohr in den Händen seines Vetters. »Was ist das für ein Ding, Bart?«

»Das ist eine Revolverkanone. Vielmehr das Geschützrohr. Und das wiederum kann nur eines bedeuten: Die rothaarige Schlampe schmuggelt Waffen für die Rebellen!«

»Ganz recht«, sagte eine Frauenstimme hinter ihnen.

Die Matrosen fuhren herum und sahen in Vivian Marquands Gesicht und in die Mündung ihres Derringers. Die Frau stand nur ein paar Schritte von ihnen entfernt, da die kleine Waffe nur auf kurze Distanz treffsicher war. Aber da besaß sie eine verheerende Wirkung. Die Rumpoles wußten das und waren deshalb unsicher, was sie unternehmen sollten.

»Sie. Sie werden doch nicht auf uns schießen, Lady?« fragte Bart, der sich zuerst von seiner Überraschung erholt hatte.

»Warum sagen Sie nicht weiter Hure zu mir? Der Ausdruck scheint Ihnen doch zu gefallen.«

»Ich bitte um Entschuldigung, Ma'am. Auch für das, was mein Vetter Jack und ich vorhin auf dem Promenadendeck getan haben. Wir waren betrunken, wissen Sie?«

»Reden Sie nicht!« sagte Vivian scharf und machte eine drohende Geste mit ihrer Waffe. »Legen Sie lieber den Geschützlauf zurück in die Kiste, und vernageln Sie diese wieder!«

»Sofort, Ma'am«, versprach Bart und kam dem Befehl nach.

Als er damit fertig war und sich wieder zu Vivian umdrehte, lag ein Ausdruck auf seinem Gesicht, der ihr gar nicht gefiel. Er hatte nachgedacht und war zu dem Schluß gekommen, daß der einzige Vorteil der Frau ihre Waffe war.

»Vielleicht sollten wir zusammenarbeiten, Ma'am«, schlug er vor.

»Wie meinen Sie das?«

»Nun, Jack und ich könnten in das Geschäft einsteigen. Sie hätten vier kräftige Hände mehr zur Verfügung. Und wenn Sie nicht mit so vielen teilen wollen, stoßen Sie die beiden Dutchmen ab. Was die draufhaben, können Jack und ich schon lange.«

»Ich wüßte nicht, weshalb ich ausgerechnet mit Ihnen gemeinsame Sache machen sollte.«

»Damit wir Sie nicht beim Captain und bei der nächsten Militärbehörde verraten.«

»Und wenn ich dem Kapitän verrate, daß Sie sich unerlaubt an der Fracht zu schaffen gemacht haben?« entgegnete die rothaarige Frau.

»Dann würden wir dem Captain sagen, was sich wirklich in den Kisten befindet.«

»Sie wollen mich also erpressen?«

»Yeah, Lady«, bestätigte Bart Rumpole mit einem breiten Grinsen. Er spürte, daß er wieder Oberwasser bekam. Ein Rumpole ließ sich doch nicht von einem Weiberrock einschüchtern!

Sein Vetter Jack schien das allerdings nicht so zu sehen. Zweifelnd blickte er von Bart auf die Frau und wieder zurück.

Auch Vivian fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut. Sie durfte es nicht dazu kommen lassen, daß Kapitän DeWitt vom wahren Inhalt der Kisten erfuhr. Aber sie wagte es auch nicht, gemeinsame Sache mit den Matrosen zu machen. Diese Säufer waren imstande, im Rausch alles zu verraten.

Im Grunde blieb ihr nur eine Lösung, und die hielt sie in ihrer Rechten. Sie zögerte, den Derringer einzusetzen. Sie haßte das Sterben und fürchtete das Töten.

»Was ist, Lady?« fragte Bart Rumpole und machte zwei Schritte auf Vivian zu. »Kommen wir in der Sache zusammen?«

Er hielt noch das Eisen, mit dem er den Deckel auf die Kiste genagelt hatte, in der Hand. Als die Hand plötzlich hochfuhr, um Vivian die Waffe wegzuschlagen, drückte sie ab.

Das aus nächster Nähe abgefeuerte Weichbleigeschoß verformte sich beim Aufprall auf Bart Rumpoles Körper zu doppelter bis dreifacher Größe und riß ein riesiges Loch in seine Brust. Der Getroffene starrte ungläubig auf dieses Loch, ließ das Brecheisen fallen und sackte dann selbst zu Boden.

Vivian staunte, wie leicht es plötzlich gewesen war, auf den Mann zu schießen. Vielleicht hatte dabei die Abscheu eine Rolle gespielt, die sie ihm gegenüber wegen der versuchten Vergewaltigung empfand.

Jack Rumpole starrte entsetzt auf seinen toten Vetter. Bart war immer sein großes Vorbild gewesen, und jetzt war er so einfach ausgelöscht wie eine Kerzenflamme. Als diese Erkenntnis in sein Gehirn drang, war ihm auch klar, daß die Frau nicht zögern würde, ihn ebenfalls zu töten. Als er in Vivians Augen blickte, las er dort feste Entschlossenheit.

Abwehrend hob er die Hände. »Tun Sie mir nichts, Ma'am, bitte! Ich werde Sie bestimmt nicht verraten!« Er fiel vor ihr auf die Knie und verschränkte flehend die Hände ineinander.

Vivian richtete die Mündung des Derringers auf seinen Kopf und drückte erneut ab.

*

Wie Jack Rumpole seinem Vetter im Leben in allen Dingen gefolgt war, folgte er ihm auch in den Tod.

Für Sekunden stand Vivian Marquand unbeweglich im Frachtraum und starrte auf die beiden Männer, die sie getötet hatte. Sie hatte es tun müssen, für die Sache des Südens, für General Pemberton und seine Männer, für Alec und sich selbst - und für den kleinen George.

Sie zwang sich zum logischen Denken. Ihre nächsten Schritte wollten wohlüberlegt sein, damit der Waffentransport nicht aufflog.

Sie hatte etwas Zeit, denn das laute Stampfen der Schiffsmaschine nebenan hatte die Detonationen der Schüsse verschluckt. Aber sie durfte nicht zu lange zögern. Die Einstiegsluke des Frachtraums stand noch offen. Sobald das jemand von der Besatzung bemerkte und nachsehen kam, hatte sie ihr Spiel verloren.

Deshalb verwarf sie die Idee, die beiden Männer im Ohio zu versenken. Wahrscheinlich hätte sie es gar nicht geschafft, den schweren Bart Rumpole die Treppe hinaufzuziehen. Und wenn doch, hätte es zuviel Zeit in Anspruch genommen. So steckte sie ihren Derringer zurück in die Handtasche und ging schnell hinauf. Oben verschloß sie die Luke und eilte zum Vorschiff.

Ihr war klar, daß der Waffentransport noch immer gefährdet war. Wenn man die Leichen im Frachtraum fand, würde sich Kapitän DeWitt seine Gedanken machen. Er war kein dummer Mann. Sie mußte etwas tun, um ihn vom Frachtraum abzulenken. Der Ort, an dem die Vettern gestorben waren, mußte wie zufällig erscheinen.

Als sie an der Kabine von Jacob Adler und Martin Bauer vorbeiging, kam ihr die rettende Idee. Sie blieb stehen, legte ihren Kopf an die Tür und lauschte, konnte aber nichts hören. Vorsichtig zog sie die Tür auf und hörte jetzt das ruhige Atmen der beiden Männer. Im schwachen Licht der Gestirne, das durch den Türspalt einfiel, sah sie Martin Bauer, der in der Koje lag, und Jacob Adler auf dem Fußboden. Da sich Jacob während seiner Wanderjahre als Zimmermannsgeselle daran gewöhnt hatte, auf dem Boden zu schlafen, hatte er seinem Freund die Koje überlassen.

Auf Zehenspitzen, wie sie vorhin ihre eigene Kabine verlassen hatte, schlich sie in den engen Raum, zog den Derringer aus der Handtasche und steckte ihn zwischen Martins Kleidung, die neben der Koje auf dem einzigen Stuhl lag.

Sie tat das nicht gern, weil sie die beiden Deutschen mochte und sie ihr gegen die Rumpoles geholfen hatten. Aber es war der einzige Ausweg, der ihr einfiel. Es mußte sein, für General Pemberton und die Sache des Südens!

Als Vivian die Kabine wieder verließ, warf sie einen letzten Blick auf Jacob und hoffte, der Verdacht würde nicht auch auf ihn fallen. Sie brauchte den Mann mit dem Ohrring noch.

Sie ging in ihre eigene Kabine und stellte erleichtert fest, daß Irene noch schlief. Rasch zog sich Vivian aus und legte sich hin.

Aber wieder fand sie keinen Schlaf. Wieder sah sie die Gesichter der Rumpoles vor sich. Doch diesmal blickten die Augen in den Gesichtern durch Vivian hindurch, wie es die Augen von Toten an sich hatten.