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Als die Kabinentür aufgerissen wurde, war Jacob schlagartig wach. Die plötzliche Helligkeit, die durch die Türöffnung hereindrängte, hatte ihn weniger geweckt als der aufgeregte Lärm, der nichts Gutes verhieß.

Er setzte sich auf, rieb sich den Schlaf aus den Augen und blickte in die wütenden Gesichter der Matrosen, die sich vor der Tür zusammendrängten und die Deutschen mit wüsten Beschimpfungen überfielen.

Aber sie schienen mehr von ihnen zu wollen. Jacob sah Knüppel in ihren Händen, Messer und ein Beil.

Was sollte das bedeuten? Was war geschehen so früh am Morgen? Die Sonne hatte sich kaum hinter dem Horizont hervorgewagt, und ihr Licht war noch recht blaß.

Auch Martin wurde jetzt wach, drehte sich unwillig um, blinzelte die Matrosen an, murmelte eine Verwünschung und fragte, was los sei.

»Das wißt ihr doch am besten, Dutchmen!« zischte ein sehniger Blonder, der Bo Svenson gerufen wurde und die Rumpoles schon bei der Auseinandersetzung in Schulzes Restaurant begleitet hatte. Er gehörte zu Bart Rumpoles treuesten Gefolgsleuten. Und jetzt hielt er einen dicken Knüppel in der Hand und schien begierig darauf zu sein, ihn gegen Jacob und Martin einzusetzen.

»Was wissen wir?« fragte Jacob vorsichtig, dem die Situation von Sekunde zu Sekunde weniger gefiel. Ein harmloser Spaß war das ganz sicher nicht. »Wenn ihr uns etwas vorzuwerfen habt, dann sprecht es aus!«

»Jetzt tun die Dutchmen so unschuldig wie Lämmer!« empörte sich einer der Matrosen.

»Yeah, dabei sind es gemeine Mörder!« schimpfte ein anderer und spuckte vor Jacob aus.

»Machen wir kurzen Prozeß mit ihnen!« schlug ein dritter vor. »Sie haben es nicht anders verdient.«

Der Vorschlag fand allgemeine Zustimmung, und die aufgebrachte Meute drängte in die Kabine.

Jacob war klar, daß Worte allein ihm und Martin nicht weiterhalfen. Schnell griff er zwischen seine wenigen Habseligkeiten, die neben ihm an der Kabinenwand lagen, und zog den handlichen Rider-Taschenrevolver heraus, den sie in New York James Duncan abgenommen hatten. Er war nicht an Schußwaffen gewöhnt und konnte ihnen auch nicht viel abgewinnen, aber die Situation schien den Einsatz des Fünfschüssers zu erfordern. Jacob hoffte sehr, nicht abdrücken zu müssen.

»Halt, keinen Schritt weiter!« sagte er scharf, stieß den Rider nach vorn und zog den Hahn mit einem lauten Klacken zurück. »Wer noch einen Zoll weiter in die Kabine kommt, dem verpasse ich eine Kugel!«

Die Matrosen blieben stehen, als wären sie gegen eine unsichtbare Mauer geprallt. Unschlüssig sahen sie Jacob an.

»Seht ihr, es sind eiskalte Killer!« schrie Bo Svenson. »Sie gehen über Leichen!«

Martins verwirrter Blick wanderte von den Matrosen zu seinem Freund. »Sind über Nacht alle an Bord verrückt geworden? Was wollen die von uns?«

»Wenn ich das wüßte, wäre mir wohler«, knurrte Jacob und versuchte die Schweißperlen auf seiner Stirn zu ignorieren. Er wußte, daß er seine Aufmerksamkeit keine Sekunde von den Matrosen abwenden durfte.

»Tut nicht so unschuldig!« ereiferte sich Svenson. »Das wird euch auch nicht helfen!«

Unter den Matrosen entstand Unruhe. Sie bildeten eine Gasse, in der Kapitän DeWitt und die beiden Frauen erschienen.

DeWitt ließ seinen Blick mit offensichtlichem Befremden über die Szene gleiten. »Was soll der Aufruhr? Hatten wir nicht schon genug Ärger an Bord? Stecken etwa wieder Bart und Jack Rumpole dahinter?«

»Wie man's nimmt, Captain«, antwortete Svenson.

DeWitts Blick heftete sich auf den blonden Matrosen. »Was soll das heißen, Svenson? Drücken Sie sich gefälligst klarer aus! Was ist mit den Rumpole-Vettern?«

Svenson wartete mit seiner Antwort, um deren Wirkung auf den Kapitän zu erhöhen. »Bart und Jack sind tot, Sir.«

»Tot?« wiederholte DeWitt leise, als läge dies außerhalb seiner Vorstellungskraft.

»Yeah, Sir«, fuhr Svenson fort. »Sie liegen unten im Frachtraum. Wir haben sie zufällig entdeckt, weil die Einstiegsluke nicht richtig geschlossen war. Beide wurden erschossen. Von Jacks Kopf ist nicht allzuviel übriggeblieben.«

»Und Sie haben Mr. Adler und Mr. Bauer in Verdacht?«

Svenson nickte. »Natürlich, Sir. Wen sonst? Schon in Pittsburgh hatten die beiden eine Auseinandersetzung mit den Rumpoles. Bauer und Bart haben sich einen regelrechten Kampf geliefert, und Adler hat Jack angegriffen.«

»Weil der meinen Freund hinterrücks niederstechen wollte«, fügte Jacob hinzu.

»Dann stimmt es also«, meinte der Kapitän, »Sie hatten schon in Pittsburgh Streit mit den Rumpoles?«

»Ja«, antwortete Jacob. »Aber wir haben sie nicht umgebracht.«

»Wer sonst?«

»Das weiß ich nicht.« Jacob sah die Matrosen an. »Aber es gibt noch mehr Menschen an Bord.«

Unter den Matrosen wurden wütende Rufe laut, aber DeWitt brachte die Männer mit einer Geste seiner Arme zum Schweigen.

»Legen Sie erst mal Ihre Waffe weg, Mr. Adler!« verlangte der Kapitän.

»Vorher müssen Sie mir versprechen, daß Ihre Männer nicht über uns herfallen.«

»Das verspreche ich.«

»Also gut«, seufzte Jacob, entspannte den Hahn und reichte dem Kapitän die Waffe.

»Captain, Sie sehen ja selbst, er hat einen Revolver!« rief Svenson. »Damit hat er Bart und Jack umgebracht!«

DeWitt klappte die Trommel aus. »Alle fünf Patronenkammern sind voll.« Dann roch er an der Waffe. »Nein, aus diesem Revolver ist schon lange nicht mehr geschossen worden. Sie sind auf dem Holzweg, Svenson.«

»Dann verlaßt endlich die Kabine!« verlangte Martin und wollte aus der Koje aufstehen.

Dabei stieß er gegen den Stuhl mit seinen Sachen, und etwas fiel polternd auf den Boden. Eine kleine Schußwaffe.

»Ein Derringer!« entfuhr es Svenson. »Die verfluchten Weichbleigeschosse hinterlassen große Wunden, so wie bei Bart und Jack!«

Wieder erschollen laute Rufe, die forderten, mit den Deutschen kurzen Prozeß zu machen.

»Ruhe, Leute!« übertönte Kapitän DeWitt seine Männer und hob die Waffe auf, um sie auf dieselbe Art zu untersuchen wie zuvor den Rider-Revolver.

»Und?« fragte Svenson gespannt.

»Tja, jetzt sieht die Sache anders aus«, meinte DeWitt mit betrübtem Gesichtsausdruck. »Zwei Kammern des Vierschüssers sind leer. Und man riecht das Pulver sehr gut. Die Waffe ist erst vor wenigen Stunden abgefeuert worden!«

Die Matrosen schienen nicht mehr zu bändigen zu sein. Sie drängten ihren protestierenden Kapitän einfach zur Seite, strömten in die Kabine und zerrten Jacob und Martin unsanft heraus. Die beiden Freunde setzten sich nicht zur Wehr. Die Übermacht war einfach zu erdrückend. Manch einer der Besatzungsmitglieder schien nur auf einen Anlaß zu warten, den Deutschen ein Messer zwischen die Rippen zu rammen.

Auf dem Promenadendeck drängte sich Irene, deren Sohn noch friedlich in der Koje schlief, zwischen die Männer und versuchte zu ihren Freunden durchzukommen. »Laßt sie in Ruhe! Sie sind bestimmt keine Mörder!«

»Weg hier!« schrie Svenson und wischte die junge Frau mit einer kräftigen Armbewegung zur Seite.

So stark, daß Irene das Gleichgewicht verlor und mit einem Aufschrei über das Geländer fiel. Sie prallte mit dem Kopf gegen die Reling des Hauptdecks und stürzte dann in die Fluten des Ohio.

*

Als Jacob sah, was mit Irene geschah, wurden ungeahnte Kräfte in ihm wach. Mit einem Aufschrei riß er sich von den Matrosen los, streckte zwei von ihnen mit Fausthieben zu Boden und bahnte sich so einen Weg zum Geländer. Aber dort sah er nur noch, wie Irenes blaues Kleid dicht am Rumpf der

ONTARIO im Wasser versank. Die Matrosen wollten ihn zurückreißen, aber er befreite sich erneut aus ihren Griffen, kletterte auf das Geländer und folgte Irene mit einem Kopfsprung ins Wasser.