Выбрать главу

Das ihn umschließende Naß war kalt, eiskalt. Die Sonne hatte noch keine Zeit gehabt, es zu erwärmen. Jacob kümmerte sich nicht darum. Schlimmer war der viele Schlamm, der ihn unter Wasser keine zwei Fuß weit sehen ließ.

Mit ein paar kräftigen Stößen schoß er an die Oberfläche, sog gierig die Luft ein und sah sich um. Der Rumpf des Dampfers glitt gefährlich nah an ihm vorbei.

Endlich sah er Irene, die einfach im Wasser zu treiben schien, weiter auf das Heck der ONTARIO zu. Mit Schrecken dachte er an das große schwere Schaufelrad, das ihr immer näher kam. Als er Irene folgte, schwamm er so schnell wie noch nie in seinem Leben.

Oben auf dem Promenadendeck sah Kapitän DeWitt, in welch gefährlicher Situation sich die über Bord gegangene Frau befand. Er stürzte die Treppe zur Brücke hinauf und rief dem am Steuer stehenden Skip Horton zu, sofort die Maschine zu stoppen.

Ein gewaltiger Ruck ging durch den Ohio-Steamer, als die Antriebswellen plötzlich stillstanden und sich das Schaufelrad nicht mehr drehte. Die Menschen auf dem Promenadendeck wurden durcheinandergewirbelt. Einige verloren den Halt und stürzten hin.

Martin nutzte das allgemeine Durcheinander, um sich ebenfalls aus dem Griff der Matrosen zu befreien und seinem Freund zu folgen.

Obwohl Jacob alle Kraft in seine langen, kräftigen und schnellen Schwimmstöße legte, schien es doch aussichtslos zu sein, Irene erreichen zu wollen, bevor sie vom Schaufelrad erfaßt wurde. Dann, als sie fast am Heck war, erstarb das Stampfen der Maschine plötzlich. Das Schaufelrad drehte sich noch ein paarmal ganz langsam und stand schließlich still. Von den Schaufeln lief Wasser herunter.

Aber diese letzten Bewegungen hatten genügt, um Irene zu erfassen. Offenbar verfing sich ihr Kleid an einer der Schaufeln. Sie wurde unter Wasser gezogen und verschwand.

Als Jacob endlich das Heck erreichte, war sie noch nicht wieder aufgetaucht. Er holte tief Luft und tauchte unter.

Da sah er sie auch schon undeutlich in dem schlammigen Wasser. Ihr Kleid hatte sich um die Schaufel gewickelt, und die reglose Frau war zwischen dem Schaufelrad und dem Ruderblatt eingeklemmt.

Er schwamm zu ihr und riß ihr Kleid in Fetzen, um es von der Schaufel zu lösen. Dann griff er unter ihre Arme und zog sie nach oben.

Als er mit Irene an die Wasseroberfläche kam, bemerkte er etwas Dunkles hinter sich. Es war Martin.

»Was ist mit Irene?« fragte der Freund und spuckte schmutziges Wasser aus.

Jacob schüttelte ratlos den Kopf.

DeWitt und einige Matrosen liefen auf dem Hauptdeck zum Heck der ONTARIO und warfen ein Tau ins Wasser.

Martin schwamm zu dem Tauende und hielt es fest, bis Jacob mit Irene zu ihm aufschloß. Die Matrosen holten das Tau Stück für Stück ein, und bald erreichten die drei Deutschen den Schiffsrumpf.

Die Matrosen beugten sich zum Wasser hinaus und streckten ihnen helfende Hände entgegen. Alle Feindschaft und aller Zorn schienen vergessen zu sein. In diesen Minuten galt es nur, den Kampf gegen den Fluß zu gewinnen, der schon so vielen Menschen, die über Bord gegangen waren, das Leben gekostet hatte. Wahrscheinlich hätten die Matrosen sogar dem Teufel selbst geholfen, wäre er ins Wasser gefallen.

Jacob und Martin hoben Irene hoch, und die Männer von der ONTARIO zogen sie an Bord. Martin folgte ihr und schließlich Jacob.

Irene lag an einer Wand der Achterdecksaufbauten. Kapitän DeWitt und Vivian Marquand kümmerten sich um sie. In beiden Gesichtern stand ehrliche Besorgnis.

Vivian Marquand machte sich Vorwürfe, für das Geschehen verantwortlich zu sein. Aber sie sagte nichts, um die Sache des Südens nicht zu verraten.

»Wie geht es Irene?« fragte Jacob keuchend.

Die andere Frage, ob sie überhaupt noch lebte, wagte er nicht zu stellen.

DeWitt antwortete nicht, drückte nur immer wieder auf Irenes Brustkasten. Fast eine Minute tat sich nichts.

Dann flatterten die Augenlider der jungen Deutschen. Sie bewegte den Kopf zur Seite und hustete. Irene hörte gar nicht mehr auf zu husten und gab dann das geschluckte Wasser wieder von sich. Danach kauerte sie erschöpft auf dem Deck und sah ihre Retter dankbar an.

Als er Irenes Blick auf sich spürte und sah, daß es ihr zusehends besserging, vergaß Jacob allen Ärger und schickte glücklich ein Dankgebet gen Himmel.

*

Irene wurde in ihre Kabine gebracht, wo sich Vivian Marquand um sie kümmerte.

Es war, als sei der Zorn der Matrosen durch den Unfall und die Rettungsaktion gedämpft worden. Sie verhielten sich jetzt zurückhaltend gegen Jacob und Martin.

Um diese Stimmung nicht zu gefährden, erklärten sie sich bereit, den Rest der Fahrt bis Louisville in ihrer Kabine zu verbringen, bewacht von einem bewaffneten Matrosen. In der Stadt sollte die örtliche Polizeibehörde entscheiden, was weiter mit ihnen geschehen sollte. Kapitän DeWitt nahm den Vorschlag dankbar und erleichtert darüber an, daß es auf seinem Dampfer keine weiteren Unruhen gab.

Die Maschine wurde wieder angeworfen, und langsam nahm die ONTARIO Fahrt auf.

Eingesperrt in ihrer engen Kabine, grübelten Jacob und Martin darüber nach, wer die beiden Rumpoles ermordet haben konnte. Sie selbst waren es nicht, und die beiden Frauen schlossen sie wie selbstverständlich aus dem Kreis der Verdächtigen aus. Also mußte sich der Mörder unter der Mannschaft der ONTARIO befinden.

Auch wenn die Männer am Morgen fast geschlossen Front gegen die beiden Deutschen gemacht hatten, schloß das nicht aus, daß sich der Mörder unter ihnen befand. Um sich nicht zu verraten, hatte er sich vermutlich den anderen angeschlossen.

Dieser Verdacht erschien den Freunden keineswegs abwegig. Bart Rumpole war ein rauher Geselle gewesen und hatte sich mit seiner Härte sicher Feinde unter den Matrosen gemacht. Jacob und Martin hatten selbst miterlebt, wie Besatzungsmitglieder der ONTARIO ihren Ersten Bootsmaat hinter dessen Rücken verfluchten.

»Ich bin richtig erleichtert, daß du mich nicht in den Kreis der Verdächtigen einschließt«, sagte Martin.

»Weshalb sollte ich das?« fragte Jacob überrascht.

»Nun, immerhin hat man die Mordwaffe bei mir gefunden.«

»Wenn du der Mörder wärst, hättest du den Derringer besser versteckt. So blöd bist du nicht, das weiß ich. Am einfachsten wäre es gewesen, die Waffe ins Wasser zu werfen. Nein, die Sache dürfte klar sein. Der wahre Täter hat sich nachts in unsere Kabine geschlichen und den Derringer zwischen deinen Sachen versteckt. Er wußte von unseren Auseinandersetzungen mit den Rumpoles.«

»Aber wer war es bloß?«

»Mir geht dieser blonde Svenson nicht aus dem Kopf«, sagte Jacob nachdenklich. »Weshalb hat er ein so großes Interesse daran, uns möglichst rasch umzubringen?«

»Er war ein Freund der Rumpole-Vettern.«

»War er das wirklich? Oder hatte er einen Grund, sie zu hassen? Er war bei der Auseinandersetzung in Schulzes Hotel dabei und wußte, daß der Mordverdacht aufgrund dieser Streitigkeit um so leichter auf uns fallen würde.«

»Da könnte etwas dran sein«, stimmte Martin seinem Freund zu.

Sie konnten nicht ahnen, daß sie vom wahren Mörder nur durch eine Kabinenwand getrennt waren.

Vivian Marquand kümmerte sich gleich nebenan aufopferungsvoll um Irene, die sich gut erholte. Sie hatte eine dicke Beule am Kopf davongetragen und sich im kalten Wasser einen Schnupfen eingefangen; mehr war ihr zum Glück nicht geschehen. Aber sie sorgte sich um Jacob und Martin.

»Ihnen wird nichts geschehen«, versuchte ihre Pflegerin Irene zu beruhigen. »Ich bin sicher, daß sich bald ihre Unschuld herausstellen wird und sie wieder auf freien Fuß kommen.«

Zumindest Jacob Adler muß freikommen, fügte Vivian Marquand in Gedanken hinzu. Ich brauche den Mann mit dem goldenen Ohrring noch!

*

Die ONTARIO erreichte Louisville ungefähr eine Stunde vor Sonnenuntergang und suchte sich einen Anlegeplatz noch vor der Einfahrt zum Louisville & Portland Canal. Durch diesen Kanal, der bei Sand Island wieder in den Fluß mündete, wurden die gefährlichen Stromschnellen umgangen, die ab der kleinen Insel Corn Island auf einer zwei Meilen langen Strecke spitze Kalksteinriffs umschäumten.