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Es war zu spät, um die für Louisville bestimmte Ladung zu löschen und neue an Bord zu nehmen. Deshalb sollte der Dampfer über Nacht in Louisville bleiben. Das verschaffte Kapitän DeWitt die Gelegenheit, die notwendigen Formalitäten wegen des Doppelmordes zu erledigen. Von einer bewaffneten Gruppe Matrosen begleitet, wurden Jacob und Martin zum Gefängnis gebracht.

Sheriff Ledbetter, der Polizeichef von Louisville, den man vom Abendessen wegholte, führte in seinem Büro ein ausführliches Verhör durch und ließ alle Aussagen aufnehmen, was sich bis gegen Mitternacht hinzog.

Das Verhör dauerte noch immer an, als Vivian Marquand durch die düsteren Gassen des Hafenviertels zum Anlegeplatz der ONTARIO zurückging. Sie war beim Telegrafenbüro gewesen und hatte ein Telegramm nach Pittsburgh aufgegeben, um sich nach Alecs Zustand zu erkundigen. Zwar hatte sie auch von Cincinnati telegrafiert, aber die ONTARIO hatte nicht lange genug dort gelegen, um die Antwort abzuwarten. Sie hoffte, spätestens morgen vormittag vor der Abfahrt von Alec zu hören.

Jetzt wollte sie zum Dampfer zurück, um sich wieder um Irene Sommer zu kümmern. Zu dem Schnupfen hatte sich hohes Fieber gesellt, weshalb Irene zusammen mit den beiden Männern der Wache an Bord geblieben war. Vivian fühlte sich gegenüber der Deutschen verantwortlich. Hätte sie nicht den Derringer zwischen Martin Bauers Sachen versteckt, wäre der Aufruhr vermutlich nicht so stark eskaliert.

Sie hatte den Anlegeplatz fast erreicht und sah bereits die hohen Schornsteine der Ohio-Steamer vor sich, die sich gegen den Sternenhimmel abzeichneten, als sie einen leisen Ruf hörte. Sie glaubte, ihren Namen gehört zu haben, und hielt an.

Sie stand vor der Einmündung einer unbeleuchteten Seitengasse und fragte sich, ob es richtig war, hier länger zu verweilen. Sie dachte daran, was die Rumpoles auf dem Schiff mit ihr vorgehabt hatten. Zudem war sie jetzt unbewaffnet.

In der Gasse bewegte sich etwas, und wieder hörte sie einen leisen Ruf: »Mrs. Marquand, hierher!«

Zögernd machte sie ein paar Schritte in die dunkle Gasse hinein. Einerseits empfand sie Furcht vor dem unbekannten Rufer. Andererseits war sie neugierig zu erfahren, woher der Mann sie kannte.

»Kommen Sie, Mrs. Marquand!« verlangte die schemenhafte Gestalt. »Ich muß mit Ihnen sprechen!«

»Wer sind Sie?«

»Sie kennen mich. Kommen Sie nur näher!«

Es klang fast wie ein Befehl, den Vivian Marquand befolgte. Ihre Neugier hatte über die Angst gesiegt.

Als sie den Mann erreichte und im schwachen Sternenlicht sein Gesicht sah, wußte sie, daß sie richtig gehandelt hatte.

»Mr. Quidor!« stieß sie überrascht hervor, als sie den Mann erkannte, der im Osten viele Waffen für den Süden besorgte. Sie hatte ihn bei einem Treffen in Pittsburgh kennengelernt. »Was machen Sie hier?«

»Ich habe auf Sie gewartet.«

»Ich dachte, Sie hätten in New York genug zu tun.«

»Nicht mehr. Aber das ist eine längere Geschichte, die ich Ihnen später erzähle. Kommen Sie erst einmal mit, damit wir nicht länger hier auf der Straße herumstehen. Niemand braucht zu hören, worüber wir uns unterhalten.«

Das erschien Vivian Marquand vernünftig, und sie begleitete den schlanken Mann in dem teuren Anzug tiefer in die Gasse hinein. Ihr Weg endete vor einem alten, heruntergekommenen Haus, das kaum bewohnbar aussah, in dem aber einige Lichter brannten.

»Hier, hier wohnen Sie?« fragte die Frau ungläubig.

»Nur vorübergehend. Ich brauchte für mich und meine Leute ein großes Haus in Hafennähe.«

Tatsächlich befand sich ein ganzer Trupp in dem Haus, etwa ein Dutzend schwerbewaffneter Männer. Aber auch eine Frau mit französischem Akzent, die der rothaarigen Besucherin eifersüchtige Blicke zuwarf. Max Quidor führte Vivian Marquand in ein ruhiges Zimmer im Obergeschoß und wies seinen Leibwächter Tom an, dafür zu sorgen, daß niemand sie störte.

»Wofür brauchen Sie die vielen Männer, Mr. Quidor?« fragte Vivian, nachdem sie sich auf einen Stuhl mit herausquellender Polsterung gesetzt hatte.

»Vielleicht, um die ONTARIO zu kapern. Nach allem, was ich gehört habe, hat es an Bord einige Schwierigkeiten gegeben.«

»Das stimmt, leider.«

Die Frau berichtete, was sich zugetragen hatte, und Quidors Gesicht wurde immer länger.

»Wie lauteten noch die Namen dieser Deutschen?« fragte er nach, als Vivian geendet hatte. »Jacob Adler und Martin Bauer?«

»Ja, weshalb?«

»Ist etwa auch eine junge Frau mit einem Kind auf dem Schiff, eine Irene Sommer?«

»Ja«, antwortete Vivian erstaunt.

»Sie liegt mit hohem Fieber in ihrer Kabine. Woher wissen Sie das alles?«

»Ich kenne die Leute aus New York«, antwortete Quidor und berichtete knapp von seinem Zusammentreffen mit den Deutschen, schönte dabei aber seine eigene zwielichtige Rolle. Dann berichtete er von seiner Flucht aus der Stadt. »Ich bin größtenteils mit der Eisenbahn gefahren. Zweimal habe ich einen Sonderzug gemietet, um die ONTARIO einzuholen.«

»Wozu dieser Aufwand?«

»Ich kann nicht in New York auf mein Geld aus dem Verkauf der Revolverkanonen warten, also bin ich meiner Ware nachgereist, um das Geld beim Verkauf selbst in Empfang zu nehmen. Nach allem, was ich von Ihnen gehört habe, war das die richtige Entscheidung. Es sieht ja wohl nicht besonders gut für das Gelingen Ihrer Mission aus.« »Vielleicht ist es tatsächlich das Beste, wenn Sie das Schiff übernehmen.«

»Meine Rede. Wir sollten uns beeilen und zuschlagen, solange nur zwei Wachen an Bord sind.«

»Aber uns fehlt dieser Jacob Adler. Aus Sicherheitsgründen ist meinem Mann und mir unsere Kontaktperson in Cairo nicht bekannt. Die Kontaktperson weiß nur, daß ein Mann mit einem goldenen Ring im Ohr mit einem Dampfer aus Pittsburgh kommt.«

»Dann werden wir eben einem meiner Männer einen goldenen Ring durchs Ohr ziehen«, meinte Quidor schulterzuckend. »Oder mir selbst.«

»Eine gute Idee«, fand Vivian und wunderte sich, daß sie nicht selbst darauf gekommen war.

*

Zwanzig Minuten später ging Vivian Marquand erneut auf den Anlegeplatz der ONTARIO zu. Jetzt steckte ein Revolver in ihrer Handtasche, und ihr folgte ein Dutzend schattenhafter Gestalten im Schutz der Warenstapel, die am Kai aufgetürmt waren.

Sie ging über die Gangway an Bord und traf dort auf einen dunkelhäutigen Mann, der einen Karabiner in den Händen hielt. Es war der Ex-Sklave und Matrose namens Sam.

Sie grüßte ihn und fragte, ob von den anderen schon jemand zurückgekehrt sei.

»Nein, Sie sind die erste, Mrs. Marquand. Wird wohl eine lange Nacht für den Captain und seine Leute.«

»Dafür ist die Wache für dich zu Ende, Nigger«, entgegnete Vivian, als sie ihren Revolver aus der Handtasche zog, den Hahn spannte und auf den Matrosen richtete. »Sei hübsch still und brav, sonst mache ich mit dir das, was ich auch mit diesen Rumpoles gemacht habe.« »Sie. Sie waren das?« fragte der Schwarze ungläubig. »Aber warum?«

»Das geht dich nichts an, Mann.«

Sams Augen weiteten sich, als die lange Reihe der Bewaffneten über die Gangway an Bord kam.

»Wo ist die zweite Wache?« fragte die rothaarige Frau.

Der Matrose sah zum Heck. »Jim mußte mal.«

Sobald er die Antwort gegeben hatte, knickte er unter dem Hieb eines Karabinerkolbens ein.

Max Quidor schickte ein paar seiner Männer nach achtern, als ihnen auch schon der zweite Wachtposten entgegenkam. Der war noch damit beschäftigt, sein Hemd richtig in die Hose zu stecken, weshalb er die anderen erst spät bemerkte. Er wollte noch seine Waffe in Anschlag bringen, aber Tom war schneller. Die Klinge seines Messers durchbohrte Jims Hals, und der Matrose sackte mit einem gurgelnden Laut zu Boden.