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»Schafft die beiden von Bord!« befahl Quidor, und seine Leute legten die Matrosen zwischen die Kistenstapel auf dem Kai.

»Was ist mit der Frau und ihrem Kind?« fragte Vivian Marquand.

»Die bleiben an Bord«, entschied Quidor.

»Warum?«

»Weil ich es so will.«

Er bemerkte nicht die wütenden Blicke, die Jeanette Latour, jetzt in Männerkleidern, ihm zuwarf.

Rasch besetzten seine Männer, von denen die meisten Erfahrung als Flußschiffer besaßen, die wichtigsten Posten. Der Kessel wurde eilig angeheizt. Sobald der Dampfdruck groß genug war, banden zwei Männer die Leinen los, und die ONTARIO verließ den Hafen ohne das übliche Dampfpfeifensignal. Langsam schob sich das Schiff auf die enge Kanaleinfahrt zu.

*

Als Kapitän DeWitt mit seinen Männern weit nach Mitternacht zum Frachthafen zurückkam, konnte er erst nicht glauben, was er sah. Besser gesagt, was er nicht sah. An der Stelle, wo sich eigentlich sein Schiff befinden mußte, klaffte eine Lücke in der Reihe der Frachtschiffe.

DeWitt rieb über seine Augen, aber die Lücke blieb. Dann sah er sich in der schwachen Hoffnung um, sich vielleicht an einer falschen Stelle im Hafen zu befinden. Aber die Hoffnung erfüllte sich nicht. Kein Zweifel, an dieser Stelle hatte vor ein paar Stunden noch die ONTARIO gelegen.

»Captain, die ONTARIO ist weg«, bemerkte der Mann an seiner Seite, Skip Horton.

»Wenn Sie das auch meinen, Skip, kann es keine Halluzination sein - leider.«

DeWitt hatte in seinem langen Leben als Schiffer - erst auf dem Ontario-See, an dem er aufgewachsen war, und später auf den Flüssen des mittleren Westens - schon viel erlebt. Manches davon grenzte ans Unglaubliche. Aber ein ganzes Schiff war ihm noch nie abhanden gekommen.

Mit weit ausholenden Schritten ging er zum benachbarten Anlegeplatz, wo ein großer Dampfer mit dem Namen OHIO QUEEN lag. Er rief so lange, bis sich ein verschlafenes Besatzungsmitglied an Deck zeigte und fragte, was los sei.

»Wir suchen unser Schiff, die ONTARIO.«

»Die ist ausgelaufen, mitten in der Nacht, ohne sich zu verabschieden.«

»Wann denn?«

»So vor ein bis zwei Stunden. Ihr habt wohl zuviel gesoffen und die Zeit verpennt, was?«

DeWitt antwortete nicht, sondern ging zurück zu seinen Männern, unter denen plötzlich Unruhe entstand. Er hörte laute Flüche.

»Captain!« rief Skip Horton ihm entgegen. »Wir haben Jim zwischen den Kisten gefunden. Er ist tot!«

»Tot?« fragte der Kapitän und beschleunigte seine Schritte.

»Mausetot«, sagte der zum Ersten Bootsmaat aufgestiegene Horton. »Jemand hat ihm ein Messer in den Hals gerammt.«

Da sah DeWitt auch schon die Leiche mit dem großen blutigen Loch im Hals.

Horton wollte noch etwas sagen, aber ein lautes Stöhnen ganz in der Nähe zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Zwischen den Kisten tauchte Sams dunkles Gesicht auf. Benommen erhob sich der schwarze Matrose und setzte sich auf eine Kiste.

»Sam, verdammt, was ist geschehen?« fragte DeWitt.

Der Schwarze fuhr vorsichtig mit der Hand über seinen Kopf und verzog das Gesicht vor Schmerz. »Sie haben mir was über den Schädel gegeben, nachdem diese verfluchte Schlange mich mit dem Revolver bedroht hat.«

»Wer hat dich bedroht, Sam?«

»Mrs. Marquand, diese Hexe. Sie kam an Bord, sprach mit mir und zog plötzlich die Waffe aus ihrer Handtasche. Sie drohte, mit mir dasselbe zu machen wie mit Bart und Jack, wenn ich nicht gehorchen würde.«

»Dasselbe wie mit Bart und Jack?« DeWitt starrte ihn mit offenem Mund an. »Willst du damit sagen, Mrs. Marquand hat die beiden umgebracht?«

»Ich will das nicht sagen, Captain. Sie hat es zu mir gesagt.«

»Teufel auch«, sagte der Kapitän kopfschüttelnd. »Das hätte ich nie gedacht.« Er konzentrierte sich wieder auf den Schwarzen. »Was geschah weiter, Sam?«

»Hinter ihr kam ein ganzer Trupp Männer an Bord, schwer bewaffnet. Die rothaarige Hexe erkundigte sich nach Jim. Danach weiß ich nichts mehr. Wo ist eigentlich Jim?«

»Er liegt hier«, sagte Horton. »Tot.«

*

»Gehört das zur Strafe, daß man im Gefängnis nicht mal richtig schlafen kann?« fragte Martin, als eine Gruppe Männer laut lamentierend in den Zellentrakt kam. Zu ihr gehörten Kapitän DeWitt und der weißhaarige Sheriff Ledbetter.

»Ich weiß nicht«, meinte Jacob, der gar nicht geschlafen, sondern die ganze Zeit über nachgedacht hatte. »Aber vielleicht bringt unser Besuch ja gute Nachrichten.«

»Wie man 's nimmt«, knurrte DeWitt. »Wie es aussieht, ist Ihre Unschuld am Tod der Rumpoles erwiesen.«

»Sie sagen das so, als gäbe es auch schlechte Nachrichten«, erwiderte Jacob skeptisch, während ein Deputy die Zellentür auf schloß.

»Die gibt es in der Tat. Die beiden Wachen auf der ONTARIO wurden überfallen. Einer der Männer ist tot. Das Schiff ist weg.«

»Weg?« fragte Martin, als er die Zelle verließ. »Was heißt das, weg?«

»Soviel wie nicht mehr da. Es ist schlicht und einfach verschwunden, hat den Hafen vor zwei bis drei Stunden verlassen. Jemand hat es gestohlen.«

»Was ist mit Irene und Jamie?« fragte Jacob, als ihm die volle Bedeutung von DeWitts Worten bewußt wurde.

»Von ihnen fehlt jede Spur. Wahrscheinlich befinden sie sich noch an Bord der ONTARIO.«

Jacob stieß, was er nicht oft tat, einen Fluch aus. »Wer hat das Schiff gestohlen?«

»Eine Gruppe Männer, bei der sich Mrs. Marquand befand«, sagte Sheriff Ledbetter. »Was wissen Sie über die Frau?«

Sie befanden sich jetzt im Büro des Sheriffs, und Ledbetter nahm hinter seinem Schreibtisch Platz.

»Nichts. Was sollen wir schon über Mrs. Marquand wissen?«

Ledbetter sah Jacob an, als glaube er ihm nicht. »Sie müssen etwas über sie wissen. Immerhin haben Sie für diese Frau gearbeitet.«

Jacob erzählte, wie sie von Mrs. Marquand gebeten worden waren, sie auf der Reise zu begleiten.

»Dann besitzen Sie also keine Kenntnis über die Art der Fracht?«

»Es sollen Fleischkonserven sein«, meinte Martin. »Das hat uns Mrs. Marquand jedenfalls gesagt.«

Jacob zog nachdenklich die Stirn in Falten. Die Frage des Sheriffs nach der Fracht hatte ihn stutzig gemacht. »Wieso fragen Sie nach der Fracht, Sheriff? Glauben Sie, Mrs. Marquand hat uns belogen?«

Ledbetter lächelte leicht. »Ich halte es zumindest für möglich. Seit es den Konföderierten schlechter geht, versuchen sie im zunehmenden Maße, Nachschub für ihre Truppen durch die Front zu schmuggeln.«

»Und so eine Schmugglerin soll Mrs. Marquand sein?« hakte Jacob nach.

»Das könnte sein. Vielleicht schmuggelt sie ja tatsächlich Fleisch durch die Front. Die in Vicksburg eingeschlossenen Truppen von General Pemberton könnten es sicher gut gebrauchen. Vielleicht war in den Kisten aber auch etwas ganz anderes.«

Jacob schnippte mit den Fingern. »Etwas, das die beiden Rumpoles entdeckt hatten. Sie mußten sterben, damit sie ihre Entdeckung niemandem mitteilen konnten!«

»So denke ich es mir«, bestätigte Ledbetter. »Ich habe bereits Colonel McNab, den Kommandanten der hiesigen Garnison, verständigt. Er wollte ein Eiltelegramm nach Pittsburgh aufgeben, um dort Erkundigungen über Mrs. Marquand einzuziehen.«

Als hätten sie nur auf dieses Stichwort gewartet, traten in diesem Augenblick, ohne vorher angeklopft zu haben, zwei Offiziere ins Büro. Der Ältere von ihnen, ein leicht gebeugt gehender Mann mit eisgrauen Augen und gleichfarbigem Spitzbart, war McNab. Der andere, ein hochaufgeschossener Blonder, war sein Adjutant, ein Lieutenant Greene.

»Gibt es Neuigkeiten aus Pittsburgh, Colonel?« fragte der Sheriff.