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Die Seeleute bildeten eine Gasse, durch die Irene zögernd ein paar Schritte zurückging. Sie ließ ihre Freunde nicht gern allein, aber sie konnte ihnen nicht helfen und mußte Rücksicht auf Jamie nehmen. Hinter ihr schloß sich die Gasse sofort wieder, so daß Jacob und Martin nur ins Wasser springen konnten, um dem Kampf auszuweichen.

Aber das hatten sie nicht vor. Sie stellten das Gepäck ab und warteten ruhig auf die beiden Vettern, die langsam auf sie zukamen.

Es war sicher kein Kinderspiel, mit den beiden Bewaffneten fertig zu werden. Auch die beiden Deutschen besaßen Messer sowie den Revolver, den sie in New York James Duncan abgenommen hatten. Aber sie einigten sich mit einem kurzen Blickwechsel darauf, ihre Waffen nicht einzusetzen. Sie wollten den Streit nicht eskalieren lassen.

Jacob fragte sich allerdings, ob sie es nur mit den beiden Vettern zu tun hatten oder ob denen im Notfall ihre Kollegen beispringen würden.

»Gleich treibe ich eure Schulden ein!« verkündete Bart Rumpole mit einem dreckigen Lachen und ließ das Tauende dicht an den Gesichtern der Deutschen vorbeifliegen.

Jacob konzentrierte sich auf das Tau, um es beim nächsten Mal mit den Händen zu packen und es dem Matrosen zu entreißen.

Aber er kam nicht dazu, weil eine verärgerte Stimme irgendwo von achtern laut fragte, was los sei und weshalb die Männer nicht arbeiteten. Ein nicht besonders großer, dafür aber in den Schultern breiter Mann drängte sich durch die Matrosen, die ihm respektvoll Platz machten. Er trug die Kapitänsuniform. Eine dunkle Schirmmütze saß über einem strengen Gesicht mit langen Koteletten, deren dunkler Schopf von ein paar silbergrauen Haaren durchsetzt war. Der Mann mochte vierzig oder fünfzig Jahre alt sein und strahlte in seinem ganzen Auftreten Autorität aus.

Er blieb bei den Deutschen stehen und sah sie verwundert an. »Darf ich fragen, was Sie hier an Bord zu suchen haben?«

Jacob erklärte es ihm.

Der Kapitän nickte. »Mein Name ist Francis DeWitt, Kapitän und Eigner der ONTARIO. Mrs. Marquand hat mich bereits unterrichtet und die Passage für alle bezahlt. Aber warum sorgen Sie für solchen Aufruhr, daß meine Leute ihre Arbeit einfach liegenlassen?«

»Nicht wir sind an dem Aufruhr schuld, sondern Ihre beiden streitlustigen Matrosen, die uns unbedingt aufschlitzen oder mit einem Tau in Stücke schlagen wollen«, erwiderte Jacob und zeigte auf die Rumpole-Vettern, die ihren Unmut über DeWitts Auftauchen nicht verbergen konnten.

»Aha, mal wieder die Rumpoles, ich verstehe«, brummte der Kapitän und wandte sich den Vettern zu. »Mr. Rumpole«, er sah Bart an, »ich weiß nicht, worum es bei diesem Streit geht, und will es auch gar nicht wissen. Aber eines sollten Sie wissen: Ich wünsche nicht, daß an Bord meines Schiffes Raufereien und Messerstechereien ausgetragen werden. Sie sind Erster Bootsmaat der ONTARIO. Wenn Sie diesen Posten behalten wollen, richten Sie sich in Zukunft gefälligst nach meinen Wünschen!«

»Ay, Sir«, sagte der zottige Maat zerknirscht, aber aus seinen Augen sprühte den Deutschen weiterhin unverhohlener Haß entgegen.

Er drehte sich um und trieb die Männer zurück zu ihrer Arbeit. Bevor sein Vetter den Blick von Jacob und Martin wandte, spuckte er vor ihnen auf die Planken und sah dann sehnsüchtig auf die Klinge seines Messers.

»Vergessen Sie diesen Vorfall bitte«, sagte Kapitän DeWitt. »Sie müssen entschuldigen, daß sich meine Männer Passagieren gegenüber etwas ungehobelt benehmen, aber die ONTARIO ist ein reines Frachtschiff und hat nur selten Gäste an Bord. Wir können Ihnen deshalb auch nur zwei Kabinen zur Verfügung stellen, die des Ersten Steuermannes und die des Ersten Maats. Eine ist für die beiden Damen und das Kind gedacht, die andere für Sie beide.«

Die Passagiere erklärten sich einverstanden und wurden von DeWitt zu ihren Unterkünften geführt, die vor dem Ruderhaus auf dem Promenadendeck lagen. Es waren kleine, spartanisch eingerichtete Kabinen mit Kojen, die jeweils nur für eine Person gedacht waren. Aber die Deutschen waren an räumliche Enge von der ALBANY her gewöhnt.

»Es ist nicht wie im besten Hotel von Pittsburgh«, meinte DeWitt. »Aber für die Fahrt nach Cairo sollte es reichen.«

»Wie lange werden wir unterwegs sein?« fragte Jacob.

»Eine Woche, wenn wir gut vorankommen. Zehn Tage, wenn wir Pech haben.«

Damit verabschiedete sich der Kapitän fürs erste von seinen Passagieren, weil er den Abschluß der Verladearbeiten persönlich überwachen wollte.

»Immerhin eine Flußreise, die für uns nicht nur kostenlos ist, sondern für die wir auch noch Geld bekommen«, meinte Martin nach einem skeptischen Blick auf die nackten Wände von Bart Rumpoles Kabine, die sich die beiden Freunde teilten.

»Und selbst Irenes Fahrt hat die großzügige Mrs. Marquand bezahlt. Wir können wirklich von Glück sagen, daß wir sie getroffen haben.«

Er konnte zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, daß die rothaarige Frau gerade ihm alles andere als Glück bringen sollte.

*

Eine Stunde später wurden die Leinen losgemacht, und die ONTARIO verabschiedete sich mit einem langgezogenen Signal der Dampfpfeife von den wenigen Menschen, die am Kai standen und dem vollbeladenen Ohio-Steamer nachwinkten. Vornehmlich ein paar Frauen und ihre Kinder, die Angehörigen einiger Matrosen. Von den übrigen Schiffen im Hafen drangen ein paar Rufe zur ONTARIO herüber. Man wünschte viel Glück für die Fahrt oder auch viel Spaß im Vergnügungsviertel von Cairo.

Die letzten Gebäude der Stadt verschwanden und machten grünen Feldern mit vereinzelten Farmhäusern Platz, als sich der Heckraddampfer immer weiter durch die Fluten des Ohio River, des wichtigsten linken Nebenflusses des großen Mississippi, wühlte. Die drei deutschen Passagiere und Vivian Marquand standen vor den Aufbauten und den großen Schornsteinen auf dem Promenadendeck und betrachteten das im strahlenden Licht der Vormittagssonne prachtvoll aussehende Land, das sich links und rechts von ihnen bis in die Unendlichkeit zu erstrecken schien.

»Hier kann ein Bauer wie ich noch etwas werden«, sagte Martin versonnen und dachte daran, daß er Deutschland verlassen hatte, weil sein älterer Bruder nach des Vaters Tod den elterlichen Hof übernommen hatte und das Land nicht groß genug war, um beide Brüder zu ernähren.

Er dachte an Oregon, von dem er in den letzten Wochen viel gehört und viel geträumt hatte. Träume von saftigen Wiesen und endlosen Feldern, auf denen das Korn im Sonnenlicht golden schimmerte. Er fühlte, daß ein Mann wie er, jung, stark und tatkräftig, in diesem großen Land Amerika sein Glück machen konnte.

»Wie friedlich das alles aussieht«, meinte Irene, während sie Jamie in ihren Armen sanft hin- und herwiegte. »Man sollte nicht glauben, daß hier schon seit zwei Jahren Krieg herrscht.«

Bei dem Wort »Krieg« sah Vivian Marquand zu dem Sternenbanner hinauf, das direkt über ihnen am Fahnenmast hing und lustig im Fahrtwind flatterte. Sosehr sie sich auch bemühte, äußerlich die gelöste Stimmung der drei Deutschen nachzuahmen, sie konnte die Schatten des Krieges nicht vertreiben, die über ihrer Seele lagen. Erst hatte der Krieg sie ihren Sohn gekostet - und jetzt auch noch ihren Mann?

Zwar hatte Dr. Watkins eine günstige Prognose gestellt, aber was war, wenn Komplikationen auftraten? Der Gedanke, dann nicht bei Alec sein zu können, sondern irgendwo auf diesem fast eintausend Meilen langen Fluß, verursachte ihr fast physische Schmerzen. Aber sie sah ein, daß sie dieses Opfer für die Sache des Südens bringen mußte. Und sie betete, daß nicht auch noch Alec mit der Armee der Kriegstoten marschieren mußte.

Erst nach einer Weile bemerkte sie, daß die drei Deutschen sie verwundert anstarrten. Offenbar hatte Vivian, in Gedanken versunken, nicht bemerkt, daß sie etwas gefragt worden war.

»Entschuldigen Sie, ich war geistig abwesend. Was sagten Sie?«