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Später, als Dörfer zu Städten und Stämme zu Nationen wurden, lachten die Männer dieser Erde in vielen verschiedenen Enklaven. Um mündig zu werden, musste der Witz emanzipiert werden; er musste von seiner geografischen Lage und Sprache befreit werden und seinen Platz auf einem internationalen Markt einnehmen. Die

Lösung kam nach dem Zweiten Weltkrieg. Und zwar in Gestalt des Flugzeugs.

Flugreisen wurden Anfang der fünfziger Jahre populär - und mit ihnen ging der Witz auf Reisen. Piloten schnappten in Hamburg eine Geschichte auf, und 18 Stunden später lachten Leute in New York darüber. Genauso ging's in umgekehrter Richtung.

Flughäfen wurden rasch zum Zentrum des internationalen Humors. Piloten, Stewardessen und Passagiere ließen ihre Koffer fallen, schlugen sich auf die Knie und lachten.

Sie brachten uns Witze aus Australien. Beispielsweise den von dem Känguru ...

...das plötzlich anfängt, sich den Bauch zu kratzen. Schließlich zieht es ein Kängurubaby heraus, schüttelt es wild und schreit: »Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst im Bett keine Kekse essen?«

Oder die Geschichte von der afrikanischen Elefantendame.

Sie war auf einen Strauch getreten, und nun steckte ein langer Dorn in ihrem Fuß. »Kann ich dir helfen, Schätzchen?«, fragte eine kleine Maus. Die Elefantendame hob den Fuß. »Könntest du das bitte herausziehen?« Die kleine Maus machte sich an die Arbeit und hatte den Dorn nach kurzer Zeit mit den Zähnen herausgezogen. Voller Dankbarkeit fragte die Elefantendame: »Gibt es etwas, das ich für dich tun kann?« »Ich würde gern mit dir schlafen«, sagte die Maus. »In Ordnung«, entgegnete die Elefantendame. Die kleine Maus kletterte hoch und gab sich redliche Mühe, aber die Elefantendame spürte, natürlich, überhaupt nichts. Nach einigen Minuten wurde ihr langweilig, und sie lehnte sich an eine Kokospalme. Da löste sich eine Kokosnuss und fiel der Elefantendame auf den Kopf. »Huu-huu-huu!«, schrie sie. Die kleine Maus war äußerst besorgt. »Tut mir leid, Schätzchen. Tu ich dir weh?«

Aus dem Norden Kanadas:

In diesem Teil der Welt wird ein Mann erst dann als echter Mann angesehen, wenn er zwei Aufgaben bewältigt hat: Er muss (a) einen Bären gefangen und (b) mit einer Frau geschlafen haben. Unser Kandidat marschiert also in den Schnee hinaus und kehrt wenige Tage später in schrecklichem Zustand zurück. Sein Gesicht ist zerkratzt, die Kleider hängen in Fetzen herab, überall hat er blaue Flecken.

»Was ist denn mit dir passiert?«, fragt sein Freund.

»Die erste Aufgabe mit dem Bären habe ich erledigt«, antwortet der Möchtegernmann, »aber ich hab vergessen,

was ich mit der Frau machen muss.«

Wer hat nur all diese Witze erfunden?

Auf der Erde leben heute annähernd 5,4 Milliarden Menschen. Einmal angenommen, jeder zehntausendste erfindet einmal in seinem Leben einen neuen Witz. Das würde heißen, es gibt etwa alle 70 Jahre 540 000 neue Witze, und das wiederum bedeutet jeden Tag 21 neue Witze. Gar nicht so viel, oder?

Lentz/Thoma.

1945 -1949

1945, im Wonnemonat Mai, fuhr ein russischer Panzerspähwagen durch die Straßen Berlins. Auf seinem Dach hatte ein Offizier der Roten Armee ein Koffer-Grammophon montiert, darauf kreiste eine alte Schellack-Platte. Das dünne Stimmchen des UFA-Stars Lilian Harvey war zu hören; der >Blonde Traum< sang ein Lied aus dem Film >Der Kongress tanzt<, das die Aufpasser des Propaganda-Ministeriums aus guten Gründen verboten hatten: »Das gibt's nur einmal, das kommt nicht wieder ...«

Da stiegen die Berliner aus ihren Kellern und Bunkern, denn der fröhliche Schlager signalisierte ihnen: Der Krieg ist aus, die Verbote der Nazis gelten nicht mehr.

Eines der blassen Kellerkinder stand damals vor der endlosen Trümmerlandschaft und witzelte beim Anblick der zerstörten Häuser sarkastisch:

Berlin ist die Stadt der Warenhäuser. Da war 'n Haus, da war 'n

Haus, da war 'n Haus ...

Vielleicht der erste Witz der Stunde null.

Frühling 1945 - die Niederlage kam bei strahlendem Wetter. Energisch, doch viel zu früh, schlugen die Bäume aus, und vom blauen Himmel lachte die Sonne. Sie schenkte den besiegten Deutschen, die damals nichts zu lachen hatten, jene Wärme, die sie zur Heilung i hrer Blessuren so dringend benötigten. Auch die erste Parole der neu organisierten Gewerkschaften gab sich wolkenlos und ermunternd: »Ein neues Leben blüht aus den Ruinen« lautete die Botschaft, obwohl sich im Land aus Schutt und Asche, das von den Siegermächten schnell in vier Besatzungszonen aufgeteilt wurde, zunächst nur Veilchen und Löwenzahn regten.

Aber dann besannen sich die verarmten Deutschen auf ihre gründlichste Tugend: den Fleiß. In den Städten räumten die Trümmerfrauen auf. Wer noch die Kraft hatte, Ziegelsteine, Speisvögel (Tragekästen) und Zementsäcke zu schleppen, begann mit dem Wiederaufbau. Doch der Hunger machte den Arbeiterkolonnen zu schaffen, er verschonte nur die Schwarzhändler, die neureichen Schieber und die Bauern. Also fuhren die darbenden Deutschen in überfüllten Zügen aufs Land, um zu »hamstern«. Sie boten an den Türen der Bauernhöfe ihre letzte Habe an, tauschten Teppiche, Schmuck, Familiensilber gegen Kartoffeln, Speck, Eier. Den Landwirten wäre es nach der Währungsreform 1948 leichtgefallen, einen schwungvollen Teppichhandel aufzumachen.

Apropos Eier. Auch das Federvieh hatte es in den ersten Nachkriegsjahren nicht leicht. Der Spruch »Da lachen ja die Hühner« traf nicht mehr zu, weil hungrige Hamsterer oder streunendes Gesindel Hahn und Henne zu nachtschlafender Zeit in ihren Ställen enthaupteten und als Beute heimwärts trugen.

In jenen himmelblauen, hühnerlosen Tagen zog die leichte Muse ihre ersten, auf dem Schwarzmarkt eingekauften Nylonstrümpfe an, überholte ihr Akkordeon und spielte in Dorfkneipen und notdürftig reparierten Sälen zum Tanz auf. Sie besang den Frühling und die Liebe - was sonst? Die Schlagertexter hatten der Muse bald nach dem Krieg die ersten einschmeichelnden Produkte ihrer Phantasie zugeliefert: »Mich hat der Frühling wachgeküsst«, »Rosemarie, wann kommst du wieder, der weiße Flieder blüht schon für dich«. Oder -eine schöne Erfindung des Liederschreibers Robert Gilbert:

»Es wird in hundert Jahren wieder so ein Frühling sein, genauso schön, mein Schatz, wie heut, vielleicht steht unsere Bank dann immer noch im Sonnenschein, doch die da sitzen, das sind leider and're Leut.«

Mit >Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt< schenkte die leichte Muse ihren Zuhörern einen langlebigen »Ohrwurm«; sie weckte damit die Sehnsucht nach südlichen Gestaden, die für »Otto Normalverbraucher« damals noch nicht erreichbar waren. »Otto Normalverbraucher« war die leibhaftige Karikatur des Nachkriegsdeutschen, die Günter Neumann und Robert A. Stemmle für ihre geistreiche Film-Satire >Berliner Ballade< erfunden hatten. Der damals noch spindeldürre Gert Fröbe spielte ihn als hinfälligen Kauz, der durch die Ruinen Berlins stiefelte. Der Wind pfiff ihm durch die Backen, und er trug eine alte Wehrmachtsmütze auf dem Kopf, die vom Volksmund »Arsch mit Griff« genannt wurde.

Am 8. September 1945 eröffnete mit >Orpheus und Eurydike< in Berlin das erste Opernhaus, München folgte am 18. November mit >Fidelio<, und am 10. Dezember öffneten die Hamburger Kammerspiele den reparierten Vorhang.

Wo blieb der Witz? Schlief er noch im Luftschutzkeller, weil sein Hauptlieferant, der Volksmund, nichts zu lachen hatte? Es gab ein paar zeitbezogene Miniaturen.

Tünnes trifft Schäl am Bahnhofsvorplatz in Köln.