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Leise rauschte der Baum, obwohl es windstill war; zart und klagend klang sein Rauschen, wie der Ton des Glases. Es schien, als fühle er die Nähe Dschaffars. »Jüngling!« – hub der Greis nun an – »pflücke dir nach Belieben eine von diesen Früchten, doch wisse: pflückst du und ißt du die weiße – dann wirst du klüger werden als alle Menschen; pflückst du und ißt du die rote – dann wirst du so reich wie der Jude Rothschild; pflückst du und ißt du aber die gelbe – dann wirst du allen alten Weibern gefallen. Entscheide dich!... und zaudere nicht. In einer Stunde verwelken die Früchte, und der Baum selber versinkt in den stummen Schoß der Erde!«

Dschaffar senkte sein Haupt und sann nach. – »Wie wähle ich hier am besten?« sprach er halblaut vor sich hin, gleich als ginge er mit sich selbst zu Rate. – »Wer allzu weise wird, könnte des Lebens überdrüssig werden; wer reicher wird als alle Menschen, wird ihrem Neide verfallen; besser, ich pflücke und esse den dritten Apfel, den runzligen!«

Und so tat er auch; der Greis aber lächelte mit seinem zahnlosen Munde und sprach: »O du weisester aller Jünglinge! Du hast das beste Teil erwählt! – Was sollte dir auch der weiße Apfel? Auch so bist du ja klüger als Salomo. – Den roten Apfel brauchst du gleichfalls nicht... Auch ohne ihn wirst du reich werden. Aber deinen Reichtum wird dir niemand neiden können.«

»Sag an, Alter,« entgegnete Dschaffar sich aufrichtend, »wo wohnt die ehrwürdige Mutter unseres gottgeliebten Kalifen?«

Der Greis verneigte sich bis zur Erde – und wies dem Jüngling den Weg.

Wer kennt nicht in Bagdad die Sonne des Weltalls, den großen, ruhmreichen Dschaffar?

Zwei Vierzeiler

Einst gab es eine Stadt, deren Bewohner in solch leidenschaftlicher Weise der Poesie ergeben waren, daß, wenn einmal einige Wochen verstrichen, ohne daß neue schöne Verse bekannt wurden, sie eine solche Mißernte als ein öffentliches Unglück empfanden.

Dann zogen sie ihre schlechtesten Kleider an, streuten sich Asche aufs Haupt, sammelten sich in Scharen auf den Plätzen und haderten unter bitteren Tränen mit der Muse, weil sie sich von ihnen abgewendet habe.

An einem solchen Trauertage erschien der junge Dichter Junius auf dem Platze, der von einer wehklagenden Volksmenge erfüllt war.

Mit raschen Schritten bestieg er die eigens dazu hergerichtete Kanzel und verkündete durch ein Zeichen, daß er ein Gedicht vorzutragen wünsche.

Sofort schwangen die Liktoren ihre Stäbe. »Ruhe, Aufmerksamkeit!« schrien sie laut – und erwartungsvoll verstummte die Menge.

»Genossen! Freunde!« begann Junius mit tönender, aber etwas unsicherer Stimme:

»Genossen! Freunde all! Der Dichtkunst Gönner ihr!

Bewundrer alles des, was edel und vollendet!

Laßt euch vom trüben Leid des Augenblicks nicht beugen!

Die frohe Stunde naht... und Dunkel weicht dem Licht.«

Junius hielt inne... aber als Antwort erscholl von allen Enden des Platzes her Lärmen, Pfeifen und Hohngelächter.

Alle ihm zugewandten Gesichter flammten vor Unwillen, alle Augen blitzten vor Zorn, alle Hände erhoben sich, drohten, ballten sich zu Fäusten!

»Mit solchen Stümpereien dachte er unseren Beifall zu erringen!« schrien zornige Stimmen. »Herunter von der Kanzel mit dem unbeholfenen Reimschmied! Fort mit dem Dummkopf. Faule Äpfel und Eier auf den hohlen Narren! Gebt Steine! Steine her!«

Hals über Kopf flüchtete Junius von der Kanzel... aber noch war er nicht bis an sein Haus gelangt, als donnerndes Händeklatschen, Beifallsruf und Freudengeschrei an sein Ohr drang.

Von Zweifeln erfaßt, aber voll Sorge, erkannt zu werden – denn es ist gefährlich, ein wütendes Tier zu reizen –, kehrte Junius auf den Platz zurück.

Und was sah er?

Hoch über der Menge, von deren Schultern getragen, stand auf einem flachen goldenen Schilde, in einen purpurnen Mantel gehüllt, einen Lorbeerkranz auf dem wallenden Lockenhaar, sein Nebenbuhler, der junge Dichter Julius... Rings aber schrie das Volk: »Heil! Heil! Heil dem unsterblichen Julius! In unserer Trübsal, in unserem großen Kummer hat er uns getröstet! Er hat uns mit Versen beschenkt, süßer als Honig, wohlklingender als Zimbelton, würziger als Rosenduft, klarer als Himmelsbläue! Tragt ihn in Jubel einher, salbt sein begnadetes Haupt mit köstlichem Balsam, kühlt seine Stirn durch sanftes Fächeln mit Palmenzweigen, streut zu seinen Füßen alle Wohlgerüche arabischer Myrrhen! Heil!«

Junius näherte sich einem dieser Beifallsrufer. »Sage mir doch, lieber Mitbürger, mit welchen Versen Julius uns beglückt hat! Leider war ich nicht hier auf dem Platze, als er sie vortrug! Wiederhole sie mir doch, wenn du sie behalten hast, tu mir den Gefallen!«

»Wie sollte man – solche Verse nicht im Gedächtnis behalten?« antwortete erregt der Gefragte. »Wofür hältst du mich denn? So höre – und jauchze, jauchze mit uns!

‘Der Dichtkunst Gönner ihr!’ so begann der göttliche Julius...

‘Der Dichtkunst Gönner ihr! Genossen! Freunde all!

Bewundrer alles des, was edel, groß und herrlich!

Laßt euch vom schweren Harm des Augenblicks nicht trüben!

Die freudge Stunde naht – und Tag verscheucht die Nacht!’

Herrlich, nicht wahr?«

»Um Himmels willen!« rief Junius aus, »das sind ja doch meine eigenen Verse! – Julius hat sich gewiß unter der Volksmenge befunden, als ich sie vortrug – er hat sie gehört und dann wiederholt, wobei er nur einige Ausdrücke – und keineswegs zum Vorteil – veränderte!«

»Aha! Jetzt erkenne ich dich... du bist Junius,« entgegnete stirnrunzelnd der angesprochene Bürger. »Ein Neidhammel bist du oder ein Dummkopf!... So überlege doch nur dies eine, Unglücklicher! Wie erhaben heißt es bei Julius: ‘Und Tag verscheucht die Nacht!’... Bei dir dagegen – so recht abgeschmackt: ‘Und Dunkel weicht dem Licht!’ – Welches Licht?! Welches Dunkel?!«

»Ja, ist das denn nicht ein und dasselbe?« wagte Junius einzuwenden...

»Ein einziges Wort noch,« unterbrach ihn der Bürger, »und ich rufe das Volk auf... das dich zerreißen wird!«

Junius schwieg wohlweislich still, indes ein grauhaariger alter Mann, der sein Gespräch mit dem Bürger gehört hatte, auf den niedergeschlagenen Dichter zutrat, ihm die Hand auf die Schulter legte und sprach:

»Junius! Du gabst Selbstgeschaffenes, aber zur Unzeit; der andere gab nicht Selbstgeschaffenes, doch zur rechten Zeit. – Folglich hat er recht – dir aber bleibt der Trost deines reinen Gewissens.«

Doch während das reine Gewissen – so gut und so weit es irgend vermochte... in Wahrheit jedoch nur sehr schlecht – den Junius tröstete, der sich stumm in einen Winkel gedrückt hatte, schwebte in der Ferne, unter tosendem Beifallsjauchzen, im goldenen Siegesglanz der Sonne, strahlend in Purpur, beschattet vom Lorbeerkranz, von frischem Balsamduft umweht, in feierlicher Langsamkeit, gleich einem Könige, der zur Krönung schreitet, – in gemessener, stolzer Haltung die Gestalt des Julius dahin... und Reihen langer Palmenzweige hoben und neigten sich vor ihm, gleich als wollten sie mit ihrem stummen Sichaufrichten, ihrem demütigen Sichneigen die beständig sich erneuernde Verehrung ausdrücken, welche die Herzen seiner durch ihn bezauberten Mitbürger erfüllte.

Der Sperling

Auf der Heimkehr von der Jagd durchschritt ich die Gartenallee. Mein Hund lief vor mir her.

Plötzlich hemmte er seinen Lauf und begann zu schleichen, gleich als wittere er vor sich ein Wild.