Bei dem Anblick meldeten sich zugegebenermaßen all die Ängste zurück, die der Gedanke, Maxies ganz speziellen Anforderungen genügen zu müssen, in mir aufgerührt hatte und die trotz aller Entschlossenheit, meinen Beitrag zu der großen Sache zu leisten, in der Nacht immer wieder meinen Schlaf gestört hatten. Besonders ein Traum fiel mir wieder ein, in dem ich im tiefen Wasser schnorchelte. In meiner Taucherbrille stieg das Wasser immer höher. Wenn ich nicht aufwachte, würde es bis ganz nach oben steigen, und ich würde ertrinken. Um mich abzulenken und die negativen Gedanken abzuschütteln, beschloß ich, die Räume im Erdgeschoß zu erkunden und mich bei der Gelegenheit schon einmal mit dem Schauplatz meines bevorstehenden Martyriums vertraut zu machen.
Als ehemaliges Herrenhaus, für das ich das Gebäude hielt, besaß es auf der Gartenseite eine Reihe von Durchgangszimmern, deren Terrassentüren auf eine ebene Rasenfläche hinausgingen. Von dort führte eine breite Steintreppe zu dem Säulenpavillon auf dem Hügel hinauf. Nachdem ich mich vorsorglich nach den Anoraks umgeblickt und behutsam die Tür zum ersten Raum geöffnet hatte, fand ich mich in einer ansehnlichen Bibliothek in Wegdewood-Blau mit eingebauten Bücherschränken aus Mahagoni wieder. Ich drückte die Nase gegen die Glastüren, weil ich mir von den Büchern dahinter einen Hinweis auf ihren Besitzer erhoffte, sah aber nur einheitliche Ausgaben der großen Weltschriftsteller in der jeweiligen Originalsprache: Dickens auf Englisch, Balzac auf Französisch, Goethe auf Deutsch und Dante auf Italienisch. Als ich versuchte, die Türen zu öffnen, um womöglich in dem einen oder anderen Band ein Exlibris oder eine Widmung zu finden, waren sie verschlossen, oben wie unten.
An die Bibliothek schloß sich ein holzgetäfeltes Billardzimmer an. Der Tisch, dem Anschein nach eine Dreiviertelgröße, hatte keine Taschen, was auf Frankreich oder ein anderes kontinentaleuropäisches Land hindeutete, aber das Zählwerk aus Mahagoni stammte von Burroughes of London. Der dritte Raum war ein herrschaftlicher Salon mit vergoldeten Spiegeln und einer teilvergoldeten Bronzeuhr, die weder die britische noch die kontinentale Zeit anzeigte, sondern stramm um Punkt zwölf Uhr stehengeblieben war. Auf einer Konsole aus Marmor und Messing lag eine verlockende Auswahl an Zeitschriften bereit, von der französischen Marie Claire über den T a t l e r bis zum Schweizer Du. Während ich sie noch durchsah, vernahm ich plötzlich aus dem benachbarten vierten Raum einen unterdrückten französischen Fluch. Die Verbindungstür war nur angelehnt. Ich huschte über das blanke Parkett und spähte hinein. Es war ein Spielzimmer. In der Mitte stand ein ovaler, mit grünem Tuch bespannter Kartentisch, um ihn herum acht bequeme Stühle mit breiten hölzernen Armlehnen. Am entfernten Ende saß, kerzengerade hinter einem Computerbildschirm verschanzt, Monsieur Jasper ohne die Baskenmütze, aber dafür mit Tonsur, und tippte im Zweifingersystem vor sich hin. Die rötlichen Stoppeln, die über Nacht in seinem langen Gesicht gesprossen waren, verliehen ihm das Aussehen eines Meisterdetektivs. Er faßte mich ins Auge und musterte mich streng.
»Warum spionieren Sie mir nach?« fragte er schließlich auf Französisch.
»Ich spioniere Ihnen nicht nach.«
»Und warum haben Sie dann Ihre Schuhe nicht an?«
»Weil sie nicht passen.«
»Sie haben sie gestohlen?«
»Geliehen.«
»Sie sind Marokkaner?«
»Brite.«
»Warum sprechen Sie dann Französisch wie ein piednoir?«
»Ich bin in Äquatorialafrika aufgewachsen. Mein Vater war Ingenieur«, erwiderte ich steif. Auf das Beleidigende an seiner Bemerkung ging ich nicht ein. »Und wer sind Sie?«
»Ich komme aus Besançon. Ich bin ein französischer Provinznotar mit einer bescheidenen Kanzlei, die sich auf bestimmte technische Sphären der internationalen Rechtsprechung spezialisiert hat. Ich habe französisches und Schweizer Steuerrecht studiert. Ich bin Lehrbeauftragter an der Universität Besançon, wo ich Vorlesungen über die Vorteile von Steueroasen halte. Ich bin alleiniger Rechtsvertreter eines bestimmten anonymen Syndikats. Habe ich Ihre Frage damit zufriedenstellend beantwortet?«
Seine Ausführlichkeit war entwaffnend. Zu gern hätte ich das soeben angedeutete Bild meiner fiktiven Person noch korrigiert, doch die Vorsicht siegte. »Aber wenn Ihre Kanzlei so bescheiden ist, wie kommt es dann, daß Sie einen derart wichtigen Auftrag an Land ziehen konnten?« fragte ich.
»Ich habe eine blütenweiße Weste, ich bin ein ehrbarer Akademiker, ich praktiziere ausschließlich Zivilrecht. Ich vertrete weder Drogenhändler noch Kriminelle. Interpol hat noch nie etwas von mir gehört. Ich bewege mich streng innerhalb der Grenzen meiner Fachkompetenz. Möchten Sie zufällig auf Martinique eine Holding gründen, die handelsgerichtlich in der Schweiz eingetragen ist und sich im Besitz einer anonymen Liechtensteiner Stiftung befindet, deren Treuhänder Sie selbst sind?«
Ich lachte bedauernd.
»Möchten Sie auf Kosten des französischen Steuerzahlers schmerzlos in Konkurs gehen?«
Wieder schüttelte ich den Kopf.
»Aber vielleicht können Sie mir wenigstens verraten, wie man diesen vermaledeiten angelsächsischen Computer bedient. Erst verbieten sie mir, meinen Laptop mitzubringen. Dann geben sie mir einen Laptop ohne Handbuch, ohne Akzente, ohne Logik, ohne …« Doch die Liste der Unterlassungssünden war zu lang, und er endete mit einem Achselzucken astreiner gallischer Verzweiflung.
»Und woran arbeiten Sie, daß Sie überhaupt nicht ins Bett gekommen sind?« fragte ich mit einem Blick auf die Papierstapel und die leeren Kaffeebecher, die ihn umringten.
Seufzend ließ er seinen langen, hageren Körper auf dem Stuhl nach hinten sinken. »Konzessionen. Feige Konzessionen, immer wieder neue, die ganze Nacht. ›Warum geben Sie diesen Freibeutern nach?‹ frage ich sie. ›Warum sagen Sie ihnen nicht, sie sollen sich zum Teufel scheren?‹«
Und wen hatte er gefragt? Doch ich hielt mich zurück. Ein falscher Schritt, und sein Redefluß würde versiegen.
»Jaspen, sagen sie zu mir. ›Wir können es uns nicht leisten, diesen lebenswichtigen Vertrag platzen zu lassen. Die Zeit ist kostbar. Wir sind nicht das einzige Pferd am Start.‹«
»Dann setzen Sie also den Vertrag auf«, rief ich. Jetzt wußte ich es wieder: Maxie hatte als Sinn und Zweck des ganzen Unternehmens einen Vertrag genannt.
»Meine Güte. Da haben Sie aber eine ziemliche Verantwortung. Das ist ja bestimmt eine hochkomplizierte Sache, oder?«
Ich hatte ihm mit meiner Frage schmeicheln wollen, aber ich erntete nur einen verächtlichen Blick.
»Der Vertrag ist nicht kompliziert, denn er ist von mir in verständlicher Sprache aufgesetzt worden. Ein Proforma-Vertrag, der nicht einklagbar ist.«
»Wie viele Parteien sind daran beteiligt?«
»Drei. Wir wissen nicht, wer sie sind, aber sie wissen es. Der Vertrag nennt die Vertragsparteien nicht und beinhaltet unspezifizierte hypothetische Eventualitäten. Wenn etwas eintritt, zieht es vielleicht etwas anderes nach sich. Wenn nicht …« Noch so ein gallisches Schulterzucken.
Vorsichtig machte ich mich daran, ihn aus der Reserve zu locken.
»Aber wenn ein Vertrag anonym ist und die hypothetischen Eventualitäten nicht spezifiziert sind und der Vertrag sowieso nicht einklagbar ist, wie kann es dann überhaupt ein Vertrag sein?«
Ein süffisantes Lächeln überzog sein Totenkopfgesicht.
»Weil dieser Vertrag nicht nur hypothetisch ist, sondern auch landwirtschaftlich.«
»Hypothetisch landwirtschaftlich?«
Das Lächeln bestätigte mir, daß dem so war.
»Wie soll das gehen? Ein Vertrag kann doch wohl nur landwirtschaftlich oder hypothetisch sein. So etwas wie eine hypothetische Kuh gibt es nicht – oder etwa doch?«