Monsieur Jasper drückte den Rücken durch, legte die Hände flach auf die grüne Tischbespannung und bedachte mich mit dem verächtlich düsteren Blick, den Anwälte für ihre minderbegüterten Mandanten auf Lager haben.
»Dann beantworten Sie mir folgende Frage«, sagte er. »Wenn ein Vertrag Menschen betrifft – sich aber namentlich nicht auf Menschen bezieht, sondern auf Kühe –, ist dieser Vertrag dann hypothetisch oder landwirtschaftlich!«
Wo er recht hatte, hatte er recht. »Und über was für eine Hypothese reden wir – im vorliegenden Fall zum Beispiel?«
»Die Hypothese ist ein Ereignis.«
»Was für ein Ereignis?«
»Ein unspezifiziertes. Vielleicht ein Todesfall.« Er reckte den knochigen Zeigefinger, um mich vor einer übereilten Schlußfolgerung zu warnen. »Vielleicht ist es aber auch ein Hochwasser oder eine Eheschließung, höhere oder menschliche Gewalt. Vielleicht ist es die Einhaltung beziehungsweise Nichteinhaltung einer Vertragsbedingung durch eine andere Partei. Das wird nicht näher ausgeführt.« Er hatte das Wort, und er würde es sich von niemandem mehr nehmen lassen, schon gar nicht von mir. »Bekannt ist, daß bei Eintritt dieses unspezifizierten Ereignisses bestimmte landwirtschaftliche Bestimmungen und Bedingungen in Kraft treten, daß bestimmte landwirtschaftliche Güter ge- und verkauft, bestimmte landwirtschaftliche Rechte übertragen und bestimmte hypothetische Anteile an bestimmten landwirtschaftlichen Erträgen an ungenannt bleibende Personen fließen werden. Aber nur in dem Fall, daß dieser Fall eintritt.«
»Aber wie ist dieses anonyme Syndikat bloß auf Sie gekommen?« hakte ich nach. »Wenn ich mir das vorstelle, Sie mit Ihrem unendlichen Fachwissen, ganz bescheiden in Besançon, wie ein Veilchen im Moose …«
Mehr Ermunterung brauchte er nicht. »Vor einem Jahr habe ich etliche Verträge für Timeshare-Ferienhäuser in Valence ausgehandelt. Ich habe mich selbst übertroffen, der Abschluß war die Krönung meiner bisherigen Karriere. Die Häuser wurden dann nicht gebaut, doch dafür konnte ich nicht haftbar gemacht werden. Meine Mandantin war eine ausländische Immobiliengesellschaft, inzwischen insolvent, mit Sitz auf den Kanalinseln.«
Es kam über mich wie eine Erleuchtung. Timeshare-Ferienhäuser in Valence. War das nicht der Skandal, der Lord Brinkley auf die Titelseiten von Penelopes Zeitung katapultiert hatte? Doch, sicher! Luftschlösser eines Lords.
»Und diese Gesellschaft ist jetzt wieder im Geschäft?« fragte ich.
»Ich hatte persönlich die Ehre, sie zu liquidieren. Die Gesellschaft existiert nicht mehr.«
»Aber die Vorstände gibt es noch.«
Er setzte seine überhebliche Miene wieder auf, falls er sie denn zwischendurch überhaupt abgelegt hatte. »Nein, denn sie haben keinen Namen. Wenn sie einen Namen haben, existieren sie. Wenn nicht, sind sie abstrakte Konzepte.« Offenbar langweilte ihn unser Gespräch, oder er war zu dem Schluß gekommen, daß wir die Grenzen des juristischen Anstands verletzten, denn er fuhr sich mit der Hand über das unrasierte Kinn und schaute mich an, als sähe er mich zum erstenmal. »Wer sind Sie? Was machen Sie hier am Ende der Welt?«
»Ich bin der Konferenzdolmetscher.«
»Welche Sprachen?«
»Swahili, Französisch und Englisch«, antwortete ich widerwillig, während in meiner Taucherbrille das Wasser wieder stieg.
»Wieviel zahlt man Ihnen?«
»Ich glaube nicht, daß ich Ihnen das sagen darf.« Aber meine Eitelkeit gewann die Oberhand, ein Fehler, der mir gelegentlich unterläuft. Der Kerl hatte sich lange genug vor mir aufgespielt. Es wurde Zeit, daß er meinen wahren Wert erfuhr. »Fünftausend Dollar«, sagte ich lässig.
Er riß den Kopf hoch, den er kurz in die Hände gestützt hatte. »Fünf?«
»Ganz richtig. Fünf. Wieso?«
»Keine Pfund?«
»Dollar. Das sagte ich doch.« Sein triumphierendes Lächeln gefiel mir ganz und gar nicht.
»Ich bekomme« – jedes Wort gnadenlos betonend – »zweihunderttausend – Schweizer – Franken.« Und zum krönenden Abschluß: »Bar auf die Hand. In Hundertern. Keine großen Scheine.«
Ich war sprachlos. Warum gab es für Salvo, den Meister seltener Sprachen, die er verschweigen mußte, nur einen Bruchteil dessen, was ein hochnäsiger französischer Notar einstrich? Meine Empörung reichte weiter – viel weiter –, bis zurück zu meinen mühevollen Anfängen, als mir Mr. Osman von der WorldWide and Legal Translation Agency von jedem Honorar fünfzig Prozent abgeknöpft hatte. Doch ich beherrschte mich. Ich heuchelte Bewunderung. Schließlich war er der große Rechtsexperte und ich nur ein popeliger kleiner Dolmetscher.
»Wissen Sie vielleicht, wo diese verwünschte Insel liegt?« fragte er, indem er sich wieder über den Laptop beugte.
Was ich verneinen mußte – ob verwünscht oder nicht.
»Davon war bei unserer Abmachung nie die Rede. Dafür werde ich einen Erschwerniszuschlag verlangen.«
Der Gong des Herz-Jesu-Heims rief uns zum Gebet. Ich war noch nicht ganz an der Tür, da tippte Monsieur Jasper schon wieder gedankenschwer vor sich hin. Unser Gespräch, daran ließ sein Verhalten keinen Zweifel, hatte nie stattgefunden.
Von der lächelnden Janet in die Eingangshalle geleitet, spürte ich sofort, daß es mit unserem Team nicht zum Besten stand. Das Frühstücksbüfett der Extraklasse – britische Bratwürstchen, Speck und Rührei – erfreute sich bei unseren Jungs, die mit verquollenen Augen in kleinen Grüppchen beisammensaßen und Trübsal bliesen, keines besonderen Zuspruchs. An einem Tisch unterhielt sich Anton leise mit zwei ebenfalls düster blickenden Anoraks; an einem anderen stierte Benny, das riesige Kinn in die noch riesigere Pranke gestützt, blind in seine Tasse. Ich paßte mich der vorherrschenden Stimmung an, nahm mir still ein paar Scheibchen Räucherlachs und setzte mich allein an einen Tisch, um den Gang der Ereignisse abzuwarten. Ich hatte kaum den ersten Bissen gegessen, als das rasche Quietschen von Gummisohlen auf Steinfliesen das Nahen unseres Skippers Maxie ankündigte. Er trug einen vergilbten Pullover der Rudermannschaft von Oxford, knielange, ausgefranste Shorts und alte Turnschuhe ohne Socken. Die roten Flecken auf seinen jungenhaften Wangen glühten von der Morgenluft, die bebrillten Augen strahlten. Ihm dicht auf den Fersen folgte Spider.
»Entwarnung«, verkündete Maxie, sobald er das Glas frisch gepreßten Orangensaft hinuntergestürzt hatte, das Gladys ihm hinhielt. »Volltreffer an allen Fronten« – nicht weiter auf das Aufatmen ringsum achtend –, »das heißt, es läuft alles nach Plan. Philip und seine Dreierbande landen in zwei Stunden und zehn Minuten.« Philip, endlich! Philip, dem Maxie untersteht! »Uhrenvergleich …«
Tante Imeldas Uhr ging eine Minute vor. Ich stellte sie schnell zurück. Pater Michael hätte sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können, daß das Geschenk, das er mir auf dem Sterbebett gemacht hatte, mir einmal derartige Dienste leisten würde.
»Majestät samt Gefolge treffen zwanzig Minuten später ein. Konferenzbeginn Punkt elf Uhr dreißig, Pinkelpausen werden von Philip ad hoc angesetzt. Lunchbüfett für die Delegierten – nur für die Delegierten – um vierzehn Uhr fünfzehn, immer vorausgesetzt, Philip gibt sein Okay und wir haben den größten Teil der Arbeit bis dahin hinter uns. Und bitte immer schön locker bleiben, daß mir ja keiner Krisenstimmung verbreitet. So hat er es geplant, und so werden wir es machen. Der Wetterbericht ist erste Sahne, ideale Bedingungen für Frischluftaktivitäten. Abpfiff allerspätestens um siebzehn Uhr dreißig. Janet. Ein Rauchen-verboten-Schild in den Konferenzraum, bitte. Und zwar ein großes. Sinclair, ich brauche Sie. Wo zum Henker steckt Sinclair?«
Zeit für Teil zwei meiner Geheimbefehle.
7
I ch will nicht leugnen, daß ich eine Spur nervös war, als ich Maxie die enge Kellertreppe hinabfolgte, obwohl schon der Anblick Spiders, der in spaßhaftem Salut die Mütze vor uns zog, seine Augen blitzend von redlicher walisischer Durchtriebenheit, mich freier atmen ließ. Und ich atmete vollends auf, als ich mich, statt wie erwartet auf unbekanntem Terrain, in einer Miniausgabe des Chatroom wiederfand. Hinter einer unauffälligen Eisentür nicht unähnlich ihrem Pendant in Whitehall führte ein rußgeschwärzter Gang, an dessen Decke sich Kabelstränge entlangrankten, zu einem zum Tonstudio umfunktionierten Heizungskeller. Gut, ausstattungsmäßig waren wir Welten entfernt von Mr. Andersons Hightech-Wunderland, aber mit etwas grüner Farbe und zweien oder dreien seiner berühmten Mahnsprüche an der Wand hätte ich mich leicht in unseren heimatlichen Katakomben in der Northumberland Avenue wähnen können, vor deren Kellerfenstern die schattenhafte Prozession unindoktrinierter Füße dahinzog.