»Englisch, Französisch, Arabisch plus die paar Brocken dies und das, die er bei seinen Reisen aufgeschnappt hat.«
»Und Philip – welche Sprachen beherrscht Philip?«
»Französisch, Lingala, ein bißchen Swahili, aber nicht viel.«
»Englisch?«
»Muß er ja wohl. Ist schließlich Engländer.«
»Und der Professor spricht sicher die ganze Palette. Als gebildeter Mann.« Ich hatte es nicht als Spitze gegen Maxies schmale sprachliche Bandbreite gemeint, aber nach seinem mißvergnügten Stirnrunzeln zu urteilen, verstand er es als solche.
»Worauf wollen Sie hinaus?« erkundigte er sich gereizt.
»Na ja, dann brauchen Sie mich doch eigentlich gar nicht, oder? Nicht oben jedenfalls. Als Dolmetscher. Ich meine, wenn der Mwangaza selber Französisch und Swahili spricht? Bleibe ich dann nicht besser bei Spider im Heizungskeller und lausche?«
»Völliger Unfug. Sie sind der Star der Show, schon vergessen? Große Retter, die die Welt verändern wollen, dolmetschen doch nicht für sich selbst! Und Tabizi traue ich in keiner gottverdammten Sprache über den Weg, und wenn’s nur um die Uhrzeit geht.« Kurze Besinnungspause. »Mit Ihnen steht und fällt die Sache. Der Mwangaza besteht darauf, Swahili zu sprechen, weil ihm Französisch zu kolonialistisch ist. Wir haben einen Mitspieler, der perfektes Französisch und fast kein Swahili spricht, und einen, der ein bißchen Swahili spricht, aber dafür fast kein Französisch.«
So geschmeichelt ich von dem Star der Show war, hatte ich doch noch eine Frage. Oder besser gesagt, Hannah hatte eine.
»Und der gewünschte Endeffekt der Konferenz, Skipper? Unser Traumausgang? Wie würden wir den definieren? – das ist etwas, was ich meine Klienten immer frage.«
Eine Lüge, aber immerhin lockte ihn meine Aufsässigkeit aus der Reserve. »Wir räumen den Saustall da unten auf, Sinclair!« erklärte er mit mühsam beherrschter Stimme. »Wir bringen Ordnung in ein gottverdammtes Irrenhaus. Wir geben Leuten, auf denen immer nur rumgetrampelt worden ist und die so scheißarm sind, daß es überhaupt nicht zu sagen ist, ihr Land zurück und zwingen sie, einander zu tolerieren, Geld zu verdienen, sich verdammt noch mal ein Leben zu schaffen. Haben Sie damit ein Problem?«
Die offenkundige Aufrichtigkeit seiner Intentionen, an der ich bis heute keinen Zweifel habe, ließ mich zwar innehalten, lockerlassen jedoch nicht.
»Ganz und gar nicht, Skipper. Nur hatten Sie von Demokratie mit vorgehaltener Knarre gesprochen.
Und da stellt sich mir natürlich die Frage, wen genau Sie im Visier hatten, als Sie das gesagt haben. Wem die Knarre vorgehalten werden soll, meine ich. Schließlich soll es bald Wahlen geben. Warum ihnen vorgreifen? Das verstehe ich nicht.«
Habe ich erwähnt, daß Hannah, wie Mr. Anderson es nennen würde, pazifistische Tendenzen hat? Daß ihr ein paar aufrührerische Nonnen in ihrer Amerikagesponserten pfingstkirchlichen Missionsschule stark quäkerhaft angehauchte Vorstellungen von Gewaltlosigkeit und dem Hinhalten der anderen Wange eingeimpft haben?
»Wir reden hier über den Kongo, richtig?«
Richtig, Skipper.
»Einen der größten Friedhöfe der Welt. Richtig?«
Richtig. Keine Frage. Vielleicht der größte überhaupt.
»Wo die Menschen sterben wie die Fliegen, während wir hier sitzen und quasseln. Ganze Stämme, die sich gegenseitig abschlachten, Seuchen, Hungersnot, Soldaten, die keine zehn Jahre alt sind, jede Menge Vergewaltigungen und Gemetzel, dazu Inkompetenz, daß es der Sau graust. Richtig?«
Goldrichtig, Skipper.
»Wahlen bringen keine Demokratie, sie bringen Chaos. Die Sieger sacken alles ein und verpassen den Verlierern einen Tritt in den Arsch. Die Verlierer schreien Betrug und tauchen in den Dschungel ab. Und da alle sowieso ihre eigenen Volksgruppen gewählt haben, fangen wir wieder bei Null an oder noch drunter. Es sei denn …«
Ich wartete.
»Es sei denn, man schafft es, schon im Vorfeld einem gemäßigten Anführer an die Macht zu helfen, der den Wählern seine Botschaft nahebringt, ihnen beweist, daß seine Methode funktioniert, und damit den Teufelskreis durchbricht. Können Sie mir folgen?«
Durch dick und dünn, Skipper.
»Tja, und das ist der große Plan des Syndikats, und es ist der Plan, für den wir uns hier heute stark machen. Wahlen sind westliche Flachwichserei. Kommen wir ihnen zuvor, bringen wir den richtigen Mann ans Ruder, geben dem Volk zur Abwechslung mal ein ordentliches Stück vom Kuchen und lassen den Frieden ausbrechen. Der normale Multi hat mit den Armen nichts am Hut. Brot für Millionen Hungernde ranschaffen, das ist nicht kosteneffektiv.
Die armen Schweine privatisieren und sie verrecken lassen schon. Tja, unser kleines Syndikat denkt da anders. Und der Mwangaza denkt auch anders. Sie denken in Richtung Infrastruktur, in Richtung Teilen, in Richtung Nachhaltigkeit.«
Meine Gedanken flogen zurück zu Lord Brinkley und seiner multinationalen Gruppe von Mitstreitern. Kleines Syndikat? Noch nie hatte ich so viele der ganz Großen in einem Raum versammelt gesehen!
»Klar wollen die Investoren was verdienen dabei, und warum auch nicht?« hörte ich Maxie sagen. »Wer das Risiko trägt, dem steht dafür auch was zu. Aber es springt immer noch genug für die Heimmannschaft raus, wenn die Aufregung vorbei ist: Schulen, Krankenhäuser, Straßen, sauberes Wasser. Und ein Licht am Ende des Tunnels für die heranwachsende Generation. Haben Sie irgendwas daran auszusetzen?«
Wie könnte ich? Wie könnte Hannah? Und wie ihr Sohn Noah und seine Millionen Altersgenossen?
»Wenn also in den ersten Tagen ein paar hundert dran glauben müssen – und das werden sie –, sind wir dann die Guten oder die Bösen?« Er war aufgestanden und rieb sich energisch die schmerzende Radlerhüfte. »Eine Sache noch, wenn wir schon mal dabei sind.« Er rieb noch einmal. »Kein Fraternisieren mit den Eingeborenen. Sie sind nicht hier, um dauerhafte Beziehungen zu knüpfen, Sie machen hier einen Job. In der Mittagspause heißt es für Sie, ab in den Heizungskeller auf einen Schiffszwieback mit Spider. Noch Fragen?«
Außer Bin ich ein Eingeborener? – keine.
* * *
Philips Ordner fest in der Hand, setze ich mich erst auf die Bettkante, dann in den Shaker-Schaukelstuhl, der vorschaukelt, aber nicht zurück. Eben noch der Star der Show, zerfließe ich plötzlich fast vor Angst, ein Kivusee ganz für mich allein, in den alle Flüsse dieser Welt strömen und seine Ufer überschwemmen. Von meinem Fenster aus wirkt alles trügerisch heiter. Der Garten liegt gebadet im schrägen Sonnenlicht des afrikanischen Sommers, der Europa in diesem Jahr beschert wird. Wen würde es nicht locken, sich hier zu ergehen, fern von neugierigen Augen und Ohren an einem Tag wie heute? Wer könnte dem Grüppchen einladend aufgeklappter Liegestühle im Pavillon widerstehen?
Ich schlage den Ordner auf. Weißes Papier, kein Wasserzeichen. Keine Sicherheitsvermerke am oberen oder unteren Rand. Kein Adressat, kein Verfasser. Armeslänge eben. Meine erste Seite beginnt auf der Seitenmitte und trägt die Nummer siebzehn. Mein erster Absatz ist mit zwölf beziffert, woraus ich schließe, daß Absätze eins bis elf ungeeignet sind für das zarte Auge eines bloßen Dolmetschers, der sich unter wie über Wasser für sein Land aufreibt. Die Überschrift von Absatz zwölf lautet Kriegsherren.
Kriegsherr Numero eins heißt Dieudonné, der von Gott Geschenkte. Dieudonné ist ein Munyamulenge und ethnisch damit ununterscheidbar von den verhaßten Ruandern. Er hat sofort meine Sympathie. Die Banyamulenge, wie sie im Plural heißen, waren meinem seligen Vater der liebste unter allen Stämmen. Romantisch wie je nannte er sie die Juden von Kivu, was als Verbeugung vor ihrer Zurückgezogenheit, ihrem Kampfesmut und ihrer tagtäglichen direkten Zwiesprache mit Gott gemeint war. Von ihren »reinrassigen« Mit-Kongolesen als Tutsi-Eindringlinge geschmäht und damit Freiwild für alle, harren die Banyamulenge seit über hundert Jahren auf dem unzugänglichen MulengePlateau im südlichen Hochland von Kivu aus, wo sie trotz unausgesetzter Verfolgung in schönstem Pluralismus ihre Schafe und Rinder züchten und die kostbaren Rohstoffvorkommen auf ihrem Grund und Boden ignorieren. Von diesem drangsalierten Volksstamm scheint Dieudonné ein Musterexemplar zu sein: