Mit zweiunddreißig ein kampferprobter Krieger. Wurde in einer Urwaldmission bei skandinavischen Pfingstkirchlern erzogen, bis er alt genug zum Kämpfen war. Nach vorliegenden Erkenntnissen keinerlei Interesse daran, sich selbst zu bereichern. Bringt die uneingeschränkte Ermächtigung seiner Stammesältesten zur Durchsetzung folgender Ziele mit:
Beteiligung der Banyamulenge an einer provisorischen neuen Regierung von Süd-Kivu im Vorgriff auf die Wahlen Beilegung der Territorialkonflikte auf dem Hochplateau Rückkehrrechte für die zu Tausenden aus dem Kongo vertriebenen Banyamulenge, insbesondere diejenigen, die durch die Unruhen in Bukavu 2004 zur Flucht gezwungen wurden Integration der Banyamulenge in die Zivilgesellschaft des Kongo und ein vertraglich gesichertes Ende der Verfolgungen der letzten fünfzig Jahre Sprachen: Kinyamulenge und Kinyarwanda, Shi, Swahili, rudimentäres Französisch (sehr).
Ich wende mich Kriegsherrn Numero zwei zu. Sein Name ist Franco, nach dem großen afrikanischen Sänger, mit dessen Œuvre ich noch von Père Andres gesprungener Schallplatte im Missionshaus vertraut bin. Franco ist ein Bembe-Krieger alten Stils aus der Umgebung von Uvira, um die fünfundsechzig Jahre alt. Er hat keinerlei Schulbildung, ist dafür aber extrem gewieft und ein leidenschaftlicher kongolesischer Patriot. Den folgenden Zeilen hätte Philip allerdings besser einen Totenschädel zur Warnung vorangestellt:
Diente unter Mobutu inoffiziell als Schläger in einer von dessen Polizeieinheiten in den Walungu-Bergen. Kam im Krieg ’96 ins Gefängnis, konnte entkommen, floh in den Urwald und schloß sich, um der Verfolgung zu entgehen, den Mai-Mai-Milizen an. Derzeitiger Rang vermutlich der eines Colonels oder höher. Linksseitig gehbehindert aufgrund alter Verletzung. Eine seiner Ehefrauen ist die Tochter von Mai-Mai-General Soundso. Hat beträchtlichen Landbesitz und sechs reiche Brüder. Halber Analphabet. Spricht sein heimatliches Bembe, Swahili, schlechtes Französisch und erstaunlicherweise auch Kinyarwanda, das er sich im Gefängnis angeeignet hat, wie auch das verwandte Kinyamulenge.
Aus der Distanz heraus läßt sich schwer beschreiben, welch bizarre Bilder diese dürren Worte im Kopf des Kindes wachriefen, das es nicht gab. Auch wenn die Mai Mai nicht die gefürchteten Simba aus den Tagen meines Vaters waren, so standen sie ihnen an Barbarei doch kaum nach. Und niemand lasse sich von dem »Colonel« täuschen! Wir reden hier nicht von frisch gestärkten und geplätteten Uniformen, zackigem Salutieren, roten Divisionsabzeichen, Ordensbändern und dergleichen mehr. Wir reden von Federschmuck oder Baseballmützen, Affenfellwesten, Fußballshorts, Trainingsanzügen und geschminkten Augen. Wir reden von abgeschnittenen Gummistiefeln als bevorzugtem Schuhwerk, und in der Rubrik Zauberkräfte von der Fähigkeit, Gewehrkugeln in Wasser zu verwandeln, was den Mai Mai, genau wie den Simba vor ihnen, ein Leichtes ist, sofern sie nur die vorgeschriebenen Tabus beachten, die ihnen abwechselnd verbieten, Regenwasser in den Mund zu bekommen, von einem bunten Teller zu essen und Gegenstände zu berühren, die nicht mit Zaubertränken besprengt worden sind, da die magischen Kräfte direkt aus dem unbefleckten Boden des Kongo in sie einströmen, den mit ihrem Leben zu verteidigen sie geschworen haben, und so weiter und so fort. Wir reden außerdem über willkürliches, sinnloses Morden, Vergewaltigungen wie am Fließband sowie eine Fülle anderer Greueltaten, begangen unter dem Einfluß ausgereiftester Hexenkünste oder auch nur einer potenten Mischung aus Primus-Bier und Palmwein.
Wie in aller Welt sich diese beiden Gruppen – die Mai Mai und die Banyamulenge – jemals versöhnen und Partner in einem souveränen und einheitlichen Kivu unter einer aufgeklärten Führung werden sollen, ist mir darum mehr als schleierhaft. Gut, vereinzelt haben sie taktische Bündnisse mit den Banyamulenge geschlossen, doch das konnte sie nicht davon abhalten, ihre Dörfer zu plündern, ihre Ernte zu verbrennen oder ihr Vieh und ihre Frauen zu stehlen.
Was erhofft sich Franco von der heutigen Zusammenkunft?
sieht den Pfad der Mitte als potentielle Expreßroute zu Geld, Macht sowie Waffen für seine Milizen dringt auf substantielle Beteiligung der Mai Mai an neuer Regierung von Süd-Kivu, d.h.: Kontrolle über Grenzübergänge (Einnahmen durch Bestechungsgelder und Zölle) und Schürfgenehmigungen (Mai Mai verkaufen trotz ihrer anti-ruandischen Gesinnung Rohstoffe an Ruander)
rechnet auf Stärkung des Mai-Mai-Einflusses bei der Bundesregierung in Kinshasa durch Einfluß in Kivu will den Kongo von sämtlichen ruandischen Einflüssen säubern, sofern die Mai Mai andere Abnehmer für ihre Rohstoffe finden betrachtet die anstehenden Wahlen als existenzbedrohend für die Mai Mai und will sie mit allen Mitteln verhindern Kriegsherr Numero drei ist gar kein Kriegsherr, sondern der reiche, in Frankreich ausgebildete Erbe eines ostkongolesischen Handelsimperiums. Sein vollständiger Name lautet Honoré Amour-Joyeuse, aber man kennt ihn gemeinhin nur unter dem Akronym Haj. Dem Stamm nach ist er ein Shi wie der Mwangaza, das heißt »reinblütig« kongolesisch. Er ist erst kürzlich aus Paris in den Kongo zurückgekehrt, nach einem mit Bravour absolvierten Wirtschaftsstudium an der Sorbonne. Seine Macht liegt laut Philip nicht im südlichen Hochland begründet wie die der Banyamulenge und auch nicht in den Bastionen im Norden und Süden wie die der Mai Mai, sondern stützt sich auf die aufstrebende junge Unternehmerschaft von Bukavu. Ich sehe aus dem Fenster. Wenn es in meiner Kindheit ein Paradies gab, dann die ehemalige Kolonialstadt Bukavu, die sich am südlichen Ende des Kivusees zwischen sanfte Täler und nebelverhangene Berge schmiegt.
Die Familienunternehmen umfassen Kaffee- und Gemüseplantagen, mehrere Hotels, eine Brauerei mit eigenem Fuhrpark, ein Mineralienkontor, das mit Diamanten, Gold,
Kassiterit und Coltan handelt, sowie seit kurzem zwei Diskotheken, die Hajs ganzer Stolz sind. Der Großteil dieser Unternehmen ist auf grenzüberschreitende Geschäfte mit Ruandern angewiesen.
Ein Kriegsherr also, der kein Kriegsherr ist und seinen Lebensunterhalt mit Hilfe seiner Feinde verdient.
Haj ist ein geschickter Organisator, der bei seiner Arbeiterschaft Respekt genießt. Mit der entsprechenden Motivation könnte er dank guter Beziehungen zu den Dorfführern in den Kaziba- und Burhinyi-Distrikten um Bukavu aus dem Stand eine fünfhundert Mann starke Miliz aufstellen. Hajs Vater Luc, Begründer des Familienimperiums, leitet ein ähnlich eindrucksvolles Firmenkonglomerat in der Hafenstadt Goma am Nordende des Sees.
Ich gestatte mir ein rasches Lächeln. Wenn Bukavu mein Kindheitsparadies ist, dann ist Goma das von Hannah.
Luc ist ein Veteran der Großen Revolution und langjähriger Kampfgenosse des Mwangaza. Steht in Kontakt mit anderen einflußreichen Händlern in Goma, die sich wie er über die wirtschaftliche Gängelung Kivus durch Ruanda ärgern. Luc wollte der heutigen Konferenz ursprünglich persönlich beiwohnen, unterzieht sich aber derzeit in einer Spezialklinik in Kapstadt einer kardiologischen Behandlung, weshalb Haj für ihn einspringt.
Was genau hat es also zu bieten, dieses Vater-Sohn Duo von modernen Räuberbaronen?
Mit dem rechten Mann zum rechten Zeitpunkt wären Luc und seine Unterstützer in Nord-Kivu bereit, einen Volksaufstand in den Straßen von Goma loszutreten und dem Mwangaza unter der Hand militärische und politische Unterstützung zukommen zu lassen. Als Gegenleistung fordern sie Macht und Einfluß in der neuen Provinzregierung.
Und Haj?
In Bukavu würde es Haj leichtfallen, die Unternehmer und Intellektuellen um ihn, die ein Ventil für ihren Haß auf Ruanda suchen, für den Pfad der Mitte zu gewinnen.
Aber vielleicht gibt es ja noch einen etwas prosaischeren Grund, weshalb uns Haj heute mit seiner Anwesenheit beehrt:
Als Zeichen seiner Bereitschaft, sich für den Pfad der Mitte einzusetzen, hat Luc eine Vorabprovision in Höhe von [AUSGESTRICHEN] akzeptiert, deren Empfang er schriftlich quittiert hat.