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Haj spricht Shi, schlechtes Swahili, scheint sich aber zu Handelszwecken Kinyarwanda beigebracht zu haben. Die Sprache seiner Wahl allerdings ist ein »ausnehmend kultiviertes« Französisch.

So sieht’s also aus, sagte ich in Gedanken zu Hannah, während ich zur Tür ging, gegen die heftig geklopft wurde: ein Bauern-Soldat der Banyamulenge, ein verkrüppelter Mai-Mai-Kämpe und ein studierter, französisierter Asphaltgockel, der für seinen Vater antritt. Wie in aller Welt sollte ein betagter Professor, und sei er noch so idealistisch, aus diesem seltsamen Trio eine friedliebende Allianz für Demokratie schmieden können, ob nun mit vorgehaltener Knarre oder ohne?

»Schönen Gruß von Skipper, hier kommt der Rest von Ihren Hausaufgaben«, sagte Anton und drückte mir einen Aktendeckel in die Hand. »Und dieses pikante kleine Pamphlet nehm ich Ihnen mal lieber ab, wenn ich schon hier bin, Chef. Nicht daß die Kinder noch rankommen.«

Im Klartext: Hier kommt eine Photokopie von Jaspers anonymem Vertrag im Austausch für Philips anonymes Hintergrunddossier.

* * *

In den Schaukelstuhl zurückgelehnt zur vorbereitenden Lektüre, bemerkte ich amüsiert, daß die französischen Akzente mit Todesverachtung von Hand hineingemalt waren. Eine Präambel erklärte die namenlosen Parteien der Vereinbarung.

Partei Nr. 1 ist eine philanthropische Risikokapital-Gesellschaft mit Sitz im Ausland, die kostengünstige landwirtschaftliche Geräte und Leistungen auf Selbsthilfebasis an finanziell angeschlagene oder zahlungsunfähige zentralafrikanische Staaten liefert.

In anderen Worten: das anonyme Syndikat.

Partei Nr. 2, nachstehend der Landwirt genannt, ist ein namhafter Akademiker, der sich eine radikale Neuorganisation veralteter Strukturen zum größeren Wohle aller Teile der indigenen Bevölkerung zum Ziel gesetzt hat.

Oder auf gut französisch: der Mwangaza.

Partei Nr. 3, nachstehend die Allianz genannt, ist ein ehrenwertes Bündnis von Gemeindevorstehern, die sich verpflichtet haben, unter der Führung des oben genannten Landwirts zusammenzuarbeiten …

Ihr gemeinsames Ziel wird es sein, mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln jedwede Reformen voranzutreiben, die der Schaffung einer einheitlichen Gemeinschaft für ganz Kivu, einschließlich einer gemeinsamen Finanzpolitik und der Wiederinbesitznahme von Kivus Bodenschätzen zum größeren Wohlstand aller seiner Einwohner, förderlich sind …

In Anerkennung des finanziellen und technischen Beitrages des Syndikats im Vorfeld dieser Reformen, nachstehend »das Ereignis« genannt, verpflichtet sich der Landwirt in Absprache mit seinen Partnern aus der Allianz zur Einräumung eines Vorrangs an das Syndikat sowie an diejenigen Unternehmen oder Einrichtungen, die das Syndikat nach freiem Ermessen für eine von ihm bestimmte Dauer benennt …

Das Syndikat verpflichtet sich, spezialisierte Leistungen, Fachkräfte und Ausrüstung im Wert von fünfzig Millionen Schweizer Franken per Einmalzahlung zur Verfügung zu stellen, siehe beigefügten Anhang …

Das Syndikat verpflichtet sich ferner, aus eigenen Mitteln alle notwendigen Experten, Techniker, Ausbilder und sonstigen Mitarbeiter bereitzustellen, die zur Schulung des Personals vor Ort bei der Bedienung der genannten Ausrüstung benötigt werden, und diese so lange vor Ort zu belassen, bis das Ereignis zum Abschluß gebracht und ratifiziert ist, unter allen Umständen aber für eine Dauer von nicht weniger als sechs Monaten ab dem Stichtag …

Für ein so unkonkretes Dokument ist der Anhang bemerkenswert detailliert. Die zu liefernde Grundausstattung umfaßt Schaufeln, Spaten, Spitzhacken, Sicheln, schwere und leichte Schubkarren. Zum Einsatz wo, bitte schön? In den Regenwäldern, sofern noch etwas davon übrig ist? Ich schließe die Augen und öffne sie wieder. Wir bringen Kivu den Fortschritt in Gestalt von Sicheln und Hacken und Schubkarren? Die Kosten eventueller weiterer Lieferungen, sollten diese erforderlich sein, werden nicht vom Syndikat übernommen, sondern »werden verrechnet mit dem durch das Ereignis erzielten Bruttoerlös vor sämtlichen Abzügen«. In anderen Worten: die Philanthropie des Syndikats endet bei fünfzig Millionen Schweizer Franken.

Eine Seite mit Zahlen, Konditionen und Auszahlungsmodalitäten regelt die Verteilung der Beute nach Eintritt des Ereignisses. Für die ersten sechs Monate beansprucht das Syndikat das alleinige Anrecht auf alle gezogenen Früchte innerhalb der ausgewiesenen geographischen Regionen, die genauestens mit Längen-und Breitengraden angegeben sind. Ohne die Einräumung der ausschließlichen Rechte ist der Vertrag unwirksam. Jedoch wird das Syndikat als Zeichen seines Entgegenkommens, und immer vorbehaltlich der Vertragstreue seitens der Allianz, letzterer eine monatliche Kulanzzahlung in Höhe von zehn Prozent der Bruttoeinnahmen zukommen lassen.

Zusätzlich zu seiner sechsmonatigen Freifahrt minus zehn Prozent fordert das Syndikat eine »unbefristete Freistellung von jeglichen Abgaben, Steuern und Zöllen in den ausgewiesenen Regionen«. Es besteht zudem auf ein »sicheres Umfeld für Anbau, Ernte und Transport aller Produkte«. Als »alleiniger Kosten- und Risikoträger« verlangt es »siebenundsechzig Prozent der Bruttoerlöse ab dem ersten Dollar und vor Abzug von Personal- und Verwaltungskosten, jedoch erst mit Wirkung ab Beginn des siebten Monats nach dem Stichtag …«

Aber als mich gerade das Gefühl beschleichen wollte, der Handel sei doch etwas arg einseitig, ließ der letzte Absatz meine Hoffnungen mit einem Tusch wieder emporschnellen in die Höhen, aus denen sie seit meinem Tête-à-tête mit Maxie langsam, aber sicher heruntergeholt worden waren.

Sämtliche verbleibenden Erlöse, die nach Ablauf der Sechs-Monats-Periode anfallen, stehen in voller Höhe der Allianz zu, um von dieser gemäß den international anerkannten Regeln für gesellschaftlichen Fortschritt auf den Gebieten Gesundheit, Bildung und Soziales gleichmäßig und angemessen auf alle Gruppen der Gemeinschaft verteilt zu werden, mit dem alleinigen Ziel der Durchsetzung von Eintracht, Einheit und gegenseitiger Toleranz unter einer gemeinsamen Flagge.

Sollten rivalisierende Einzelinteressen einer gerechten Verteilung im Wege stehen, hatte der Mwangaza das Recht, eigenständig eine Kommission vertrauenswürdiger Interessenvertreter einzusetzen, die über den »Anteil für das Volk«, wie er nachstehend genannt wurde, bestimmte. Halleluja! Hier endlich war die Quelle des Geldes für Schulen, Straßen, Krankenhäuser und die heranwachsende Generation, genau wie von Maxie versprochen. Hannah konnte beruhigt sein. Und ich auch.

Ich setzte mich an die altmodische elektrische Schreibmaschine, die auf der Spiegelkommode stand, und ratterte das Ganze auf Swahili in die Tasten. Und als ich fertig war, streckte ich mich auf dem Bett aus und versuchte meinem Überschwang halbwegs Herr zu werden.

Halb zwölf nach Tante Imeldas Uhr. Hannah hat die Nachtschicht hinter sich, aber sie kann nicht schlafen. Sie liegt auf dem Bett, noch in ihrer Schwesterntracht, und starrt hinauf zur staubigen Decke, derselben Decke, zu der wir gemeinsam hochgeschaut haben mit all unseren Hoffnungen und Träumen. Sie denkt: Wo ist er, warum hat er nicht angerufen, werde ich ihn je wiedersehen, oder ist er ein Lügner wie die anderen? Sie denkt an ihren Sohn Noah, an den Tag irgendwann in ferner Zukunft, an dem sie mit ihm nach Goma zurückkehren wird.

Ein kleines Flugzeug flog in niedriger Höhe über den Pavillon. Ich stürzte zum Fenster, um seine Kennzeichnung festzustellen, aber ich kam zu spät. Als der getreue Anton wieder an meine Tür klopfte, um meinen Obolus zu kassieren und mich nach unten zu beordern, hatte ich mir längst gelobt, eine Vorstellung hinzulegen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte.

8

Atemlos trat ich hinter Anton in das Spielzimmer, wo ich vor dem Frühstück auf Jasper getroffen war, und stellte dort rasch einen geschickten Kulissenwechsel fest. Die Mitte der Bühne beherrschte nun eine weiße Tafel auf einer Staffelei, wie sie in Vorlesungen benutzt wird. Aus den acht Stühlen um den Tisch waren zehn geworden. Über dem ziegelgemauerten Kamin hatte man eine Bahnhofsuhr aufgehängt und daneben ein Schild, das auf französisch das Rauchen verbot. Jasper, frisch rasiert und gekämmt, lungerte an der Tür zum Gang herum, Benny immer dicht an seiner Seite.