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Ich ließ den Blick über den Tisch wandern. Was steht bei einer anonymen Konferenz auf den Namensschildchen? Der Mwangaza hieß schlicht Mzee und hatte den Ehrenplatz in der Mitte der Wandseite zugewiesen bekommen. Flankiert wurde er von seinem treuen Jünger M. Le Secretaire und seinem nicht ganz so treuen M. Le Conseiller alias Tabby, dem laut Maxie nicht einmal bei der Uhrzeit zu trauen war. Auf der anderen Seite des Tisches, mit dem Rücken zu den Terrassentüren, war das Trio infernale plaziert, benamt lediglich mit Monsieur plus Initialen: D für Dieudonne, F für Franco und H für Honore Amour-Joyeuse, den Mister Big von Bukavu, besser bekannt als Haj. Franco als der Älteste durfte in der Mitte sitzen, gegenüber dem Mwangaza.

Die Längsseiten des ovalen Tisches waren demnach besetzt, womit sich das Gastgeberteam zwischen den beiden Enden aufteilen durfte: an dem einen Monsieur Le Colonel – Maxie, wie ich annahm – und neben ihm Monsieur Philippe, am anderen Jasper und ich. Und wie ich nicht umhinkonnte zu bemerken, tat man mich, während Jasper ehrerbietig mit Monsieur L’ avoc at tituliert wurde, schnöde als Interprete ab.

Und vor Philips Platz eine Messingglocke. Ich höre sie heute noch. Sie hatte einen schwarzen Holzgriff und war eine Miniaturnachbildung jener Glocke, von der wir Herz-Jesu-Insassen jede einzelne Sekunde unseres Tages terrorisiert worden waren. Ihr Bimmeln hatte uns aus den Betten gerissen, uns zum Beten geordert, zum Essen geordert, auf die Toilette geordert, in die Turnhalle, ins Klassenzimmer und auf den Fußballplatz, wieder zum Beten und von da ins Bett, wo wir lagen und mit unseren Dämonen rangen. Und wie Anton mir fürsorglich erklärte, würde dieses selbe Bimmeln mich in Kürze hinunter in den Heizungskeller und wieder hoch jagen wie ein menschliches Jojo: »Er läutet damit, wenn er Sie in die Pause schickt, und er läutet wieder, wenn er euch an den Tisch zurückholen will, weil ihm langweilig ist. Aber für ein paar von uns wird’s keine Pausen geben, was, Chef?« fügte er augenzwinkernd hinzu. »Ein paar von uns werden ganz mucksmäuschenstill in einem gewissen kleinen Kabuff sitzen und warten, was sich in Spiders Spinnennetz alles so fängt.«

Ich zwinkerte zurück, dankbar für seine Kameradschaftlichkeit. Ein Jeep fuhr im Hof vor. Wieselflink huschte er zur Terrassentür hinaus und war verschwunden, vermutlich, um sein Bewachungsteam zu instruieren. Ein zweites Flugzeug brummte über uns hinweg, und wieder war ich zu langsam. Einige Minuten vergingen, während derer mein Blick gleichsam ohne mein Zutun aus dem Spielzimmer schweifte, hinaus in die herrschaftlichen Anlagen vor den Fenstern. Und dieser Umstand bescherte mir den Anblick eines hocheleganten weißen Gentleman in Panamahut, zartbraunen Hosen, roséfarbenem Hemd, roter Krawatte und einem maßgeschneiderten marineblauen Blazer jenes Typs, der in Gardekreisen als boating jacket firmiert. Er hob sich als Silhouette vor dem Himmel ab, dieser Gentleman, während er das grasbewachsene Hügelchen emporstieg bis zum Pavillon, wo er sich zwischen zwei Säulen lehnte wie ein britischer Ägyptologe alten Schlags und zurücklächelte in die Richtung, aus der er gekommen war. Und schon dieser erste, verdeckte Blick machte mir klar, daß hier eine Schlüsselfigur die Bildfläche betreten hatte: unser unabhängiger Afrika-Berater und – wieder Maxies Worte – Strippenzieher Philip (oder Philippe), der fließend Französisch und Lingala sprach, nicht aber Swahili, Wegbereiter unserer Konferenz, Botschafter beim Mwangaza und bei unseren Delegierten.

Der nächste am Horizont war ein schlanker, ungemein würdevoller Schwarzafrikaner. Er trug einen Bart und einen nüchternen europäischen Anzug, und er schritt so versonnen einher, daß er mich an Pater Michael bei der Fastenprozession rund um den Innenhof des Herz-Jesu-Heims erinnerte. Es bedurfte darum keiner großen seherischen Gaben meinerseits, um ihn als unseren pfingstbewegten Viehzüchter zu identifizieren, den Kriegsherrn Dieudonné, bevollmächtigter Abgesandter der verachteten und verfolgten Banyamulenge, die meinem seligen Vater so lieb gewesen waren.

Ihm folgte ein zweiter Afrikaner, der als der bewußte Gegenentwurf zu ihm gedacht schien: ein haarloser Riese im braunen Glitzeranzug, dessen Jacke über seiner Leibesfülle spannte, während er seines Weges humpelte, das linke Bein nachziehend unter gewaltsamen Seitwärtsdrehungen des ganzen Torsos. Wer anders konnte dies sein als Franco, unser hinkender Haudegen, ehemaliger Mobutu-Schläger und derzeitiger Colonel-oder-mehr bei den Mai Mai, erklärter Intimfeind und gelegentlicher Zweckverbündeter des Mannes, der nur ein kleines Stück vor ihm ging?

Und ganz zum Schluß, gleichsam als achtloses Zugeständnis an den Rest, der Dritte im Bunde, das enfant terrible, Haj, der Sorbonne-Absolvent und ungekrönte Kaufmannsprinz von Bukavu: aber dermaßen verachtungsvoll, dermaßen geckenhaft, dermaßen betont hinter seinen Mitdelegierten herbummelnd, daß ich mich fragte, ob er nicht vielleicht bereute, für seinen Vater eingesprungen zu sein. Haj war weder ausgemergelt wie Dieudonné noch öligkahl wie Franco. Er war ein Großstadt-Dandy. Sein Haar war an den Seiten kurzgeschoren, und in die Stoppeln waren Wellenlinien rasiert. Über der Stirn prangte eine prächtig in Form gegelte Tolle. Und was seine Kleider betraf: nun, Hannahs hehre Leitsätze mochten mein Verlangen nach derlei Äußerlichkeiten zwar gedämpft haben,

aber bei den Lumpen, in die Mr. Anderson mich gesteckt hatte, ließ Hajs Aufmachung den Schmerz wieder frisch auflodern. Was ich hier vor mir sah, war der letzte Schrei aus der Zegna-Sommerkollektion: ein Dreiteiler aus graubraunem Mohair für den Mann, der schon alles hat oder gern hätte, und als Kontrast dazu ein Paar spitzer lindgrüner italienischer Krokodillederschuhe, die ihn, so sie echt waren, pro Fuß gut und gern zweihundert Pfund gekostet haben mußten.

Wie mir seitdem bestätigt worden ist, bildete die Szene auf dem Grashügel den Schlußpunkt einer Besichtigungstour, bei der Philips Schützlinge sämtliche Highlights des Anwesens vorgeführt bekamen, von der verwanzten Suite, in der sie zwischen den Sitzungen sie selbst sein konnten, bis hin zu dem verwanzten Park, wo sie in den Genuß jenes zusätzlichen Quentchens Privatsphäre kamen, das für einen offenen, fruchtbaren Meinungsaustausch so unerläßlich ist.

Ausladende Geste von Philip, und die drei Delegierten spähen folgsam aufs Meer hinaus, dann hinüber zum Friedhof. Und als Haj sich mit den anderen dreht, schwingt das Jackett seines Zegna-Anzugs auf und läßt senfgelbes Seidenfutter hervorblitzen und dazu etwas Stählernes, das im Sonnenlicht blinkt. Was kann das sein, überlege ich. Eine Messerklinge? Ein Handy, und wenn ja, sollte ich es Maxie melden? – oder lieber versuchen, es mir zu borgen für einen heimlichen kleinen Anruf bei Hannah? Und jemand, vermutlich Philip, muß gerade einen Witz gemacht haben, möglicherweise einen schlüpfrigen, denn alle vier brechen sie in Gelächter aus, das den Hügel hinab bis ins Spielzimmer schallt, wo die Türen der Hitze wegen weit offenstehen. Aber das beeindruckt mich nur mäßig, denn meine Erfahrung von klein auf ist es, daß die Kongolesen, denen Höflichkeit über alles geht, nicht immer aus den richtigen Gründen lachen, und Mai-Mai-Krieger schon gar nicht.

Und als alle sich von ihrer Heiterkeit erholt haben, rückt die Prozession in Richtung der breiten Steintreppe vor, wo unter Philips gestenreichem Zureden Franco, der humpelnde Mai-Mai-Riese, seinen Arm um den Hals des zarten Dieudonné schlingt und ihn, Erzfeind hin oder her, zu seinem Krückstock befördert, aber mit solch impulsiver Herzlichkeit, daß mir ein glücklicher Ausgang unseres Wagnisses plötzlich nicht mehr so ausgeschlossen scheint. Und so vereint beginnen sie den Abstieg, vorneweg Philip, dann das zusammengeschweißte Paar und als letzter, hinter den anderen herschlendernd, Haj. Und der Nordmeerhimmel über ihnen war eisblau, auch das weiß ich noch, und der dicke Mai-Mai-Kriegsherr mit seinem zerbrechlichen Gehstock unterm Arm wurde den Hügel hinabeskortiert von einer Wolke winziger Vögel, die beim Fliegen Luftsprünge vollführten. Und als Haj in den Schatten trat, wurde auch das Geheimnis seiner Jackettinnentasche enthüllt: Er war stolzer Besitzer einer Batterie von Parker-Füllern.