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Was als nächstes geschah, war eine dieser Pannen, die auf keiner anständigen Konferenz fehlen dürfen. Es war ein Begrüßungsdefilee geplant. Anton hatte uns vorher genau instruiert. Philip würde mit seinem Dreiertrupp von der Gartenseite hereinmarschiert kommen, Maxie würde im gleichen Augenblick von der Hausseite her mit dem Troß des Mwangaza Einzug halten, ein raffiniert eingefädelter Auftakt für das große historische Aufeinandertreffen der Parteien bei unserer Konferenz. Wir übrigen würden uns aufreihen und uns die Hände schütteln lassen oder auch nicht, je nachdem, wonach unseren Gästen gerade zumute war.

Statt dessen: ein Rohrkrepierer. Ob nun Maxie und die Seinen ihre Hausbesichtigung eine Spur verspätet beendeten oder Philip und die Delegierten ihre Tour zu flott absolviert hatten, vielleicht, weil der alte Franco mit Dieudonnés knöchrigem Gestell als Gehhilfe ein schnelleres Tempo vorgelegt hatte als geahnt: hinaus lief es aufs Gleiche. Philip und Gefolge rauschten herein, gehüllt in die süßen Gerüche meiner afrikanischen Kindheit, und die einzigen, die zu ihrer Begrüßung bereitstanden, waren ein Spitzendolmetscher, der seine kleinen Sprachen verleugnen mußte, ein französischer Provinznotar und der pferdegeschwänzte Riese Benny – wobei letzterem ein Blick genügte, und schon war er zur Tür hinaus, um Anton zu alarmieren.

Bei jeder gewöhnlichen Konferenz wäre nun ich in die Bresche gesprungen, denn ein Spitzendolmetscher muß auch Diplomat sein können, wenn Not am Mann ist, was öfter passiert, als man denkt. Aber das hier war Philips Operation. Und Philips Augen, die bezwingend aus den faltenlosen Polstern seines fleischigen Gesichts hervorblitzten, hatten die Lage im Nu erfaßt. Beide Zeigefinger in die Höhe gereckt in simultanem Entzücken, rief er Ah parfait, vous voilà! und zog schwungvoll seinen Panamahut vor mir, wobei er einen dichten Schopf weißen Haupthaars enthüllte, schön gewellt und über den Ohren zu zwei Hörnchen gezwirbelt.

»Gestatten Sie mir, mich vorzustellen!« erklärte er in geschliffenstem Pariser Französisch. »Ich bin Philippe, Agrarberater und unverbesserlicher Freund des Kongo. Und Sie, Monsieur, sind …?« Der wohlfrisierte weiße Kopf neigte sich mir entgegen, als hörte er nur auf einem Ohr.

»Mein Name ist Sinclair, Monsieur Philippe«, antwortete ich in genauso lebhaftem Ton, ebenfalls auf französisch. »Meine Sprachen sind Französisch, Englisch und Swahili.« Philips flinker Blick glitt weiter zu Jasper, und ich reagierte kaum weniger flink. »Darf ich vorstellen: Monsieur Jasper Albin, unser Fachanwalt aus Besançon«, fuhr ich fort. Und um des zusätzlichen Effekts willen: »Und erlauben Sie mir, im Namen von uns allen hier unsere verehrten afrikanischen Delegierten ganz herzlich willkommen zu heißen.«

Meine spontane Beredsamkeit zeitigte ungeahnte Folgen – ungeahnt, so glaube ich, auch für Philip. Der alte Franco hatte Dieudonné, seinen menschlichen Krückstock, beiseite gerempelt und umfing nun meine beiden Hände mit seinen Pranken. Und jeder normale Durchschnittseuropäer hätte in ihm vermutlich nur einen fetten Afrikaner in einem Glitzeranzug gesehen, der sich mit unseren westlichen Gebräuchen schwertut. Aber nicht Salvo, das Kind, das es nicht gab. Für Salvo war er der rauhbeinige selbsternannte Beschützer unserer Mission, bei Patres und Dienstboten gleichermaßen als Beau-Visage bekannt, einsamer Räuber und Vater zahlloser Kinder, der bei Einbruch der Nacht, Urwaldmagie im Blick, ein vorsintflutliches belgisches Schießeisen in der Hand und eine Jagdtasche über der Schulter, aus der ein Fäßchen Bier und eine frisch erlegte Antilope hervorlugten, in unser Missionshaus aus rotem Backstein geschlichen kam – einen Weg von zwanzig Meilen auf sich nahm, um uns vor Gefahr im Verzug zu warnen. Am Morgen fand man ihn dann mit dem Gewehr über den Knien auf der Türschwelle sitzend, die Augen geschlossen, lächelnd im Schlaf. Und noch am gleichen Nachmittag konnte man ihn auf dem Marktplatz der Stadt antreffen, wo er den unglücklichen Safari-Touristen seine grausigen Souvenirs andrehte: eine abgeschlagene Gorillapfote oder den geschrumpften augenlosen Schädel eines Impala.

»Bwana Sinclair«, begann nun dieser ehrwürdige Gentleman, wobei er die geballte Faust hochhielt, um sich Ruhe zu verschaffen. »Ich bin Franco, ein hoher Offizier der Mai Mai. Die Mai Mai sind eine Kriegsmacht, von unseren Vorvätern ins Leben gerufen zum Schutz unseres heiligen Landes. Ich war noch ein Kind, da hat ruandisches Gesindel unser Dorf überfallen, unsere Felder abgebrannt und drei von unseren Kühen in Stücke gehackt, alles aus purem Haß. Unsere Mutter hat sich mit uns im Wald versteckt. Als wir zurückkamen, hatten sie meinem Vater und zweien meiner Brüder die Sehnen durchgeschnitten und sie danach in Stücke gehackt.« Mit gekrümmtem Daumen wies er auf Dieudonné hinter ihm. »Als meine Mutter todkrank war und ins Krankenhaus sollte, hat dieses Banyamulenge-Gewürm sich geweigert, uns passieren zu lassen. Sechzehn Stunden lag sie sterbend am Wegrand, vor meinen Augen. Darum bin ich kein Freund der Fremden und Eindringlinge.« Ein tiefer Atemzug, gefolgt von einem noch tieferen Seufzer. »Nach der Verfassung sind die Mai Mai offizieller Teil der Armee von Kinshasa. Aber dieser Zusammenschluß besteht nur auf dem Papier. Mein General bekommt von Kinshasa eine prächtige Uniform, aber keinen Sold für seine Männer. Er bekommt einen hohen Rang verliehen, aber keine Waffen. Darum haben die Geister meines Generals ihm befohlen, den Worten dieses Mwangaza Gehör zu schenken. Und da ich meinen General achte und von denselben Geistern geleitet werde, und da ihr uns gutes Geld und Waffen versprochen habt, bin ich hier, um zu tun, wie mein General mich geheißen hat.«

Beflügelt von solch starken Worten, öffnete ich schon den Mund, um sie auf französisch kundzutun, als ein weiterer vielsagender Blick von Philip mich jäh innehalten ließ. Hörte Franco mein Herz hämmern? Hörte Dieudonné es, der direkt hinter ihm stand? Hörte der Stutzer Haj es? Alle drei sahen mich ermunternd an, ihre Blicke eine einzige Aufforderung, Francos Wortschwall zu übersetzen. Aber dank Philip hatte ich gerade noch rechtzeitig geschaltet. Vor lauter Feierlichkeit war Franco in seine Muttersprache verfallen, Bembe – und Bembe beherrschte ich offiziell nicht.

Nicht daß Philips Gesicht irgend etwas davon widerspiegelte. Er lachte vergnügt in sich hinein, schmunzelnd über den Lapsus des alten Mannes. Haj hinter ihm stieß in ein hyänenartiges Hohngelächter aus. Aber Franco, keineswegs aus der Fassung gebracht, sagte sein Sprüchlein unverdrossen noch einmal von vorn auf, in einem mühseligen Swahili nun. Und er war noch mitten im Reden und ich noch mitten im beifälligen Nicken, als zu meiner innigen Erleichterung die Tür auf der Hausseite aufflog und Benny den atemlosen Maxie hereingeleitete, auf dem Fuß gefolgt von seinen drei Gästen, der Mwangaza in ihrer Mitte.

* * *

Ich bin nicht im Boden versunken, niemand hat mit dem Finger auf mich gezeigt und mich bloßgestellt. Irgendwie haben wir um den Spieltisch zusammengefunden, und ich übersetze Philips Willkommensworte ins Swahili. Das Swahili hat seine übliche befreiende Wirkung auf mich. Irgendwie habe ich auch das Händeschütteln und die Vorstellungen überlebt, und alle sitzen an ihrem Platz bis auf Jasper, der nach der Begrüßung durch den Mwangaza und seine Ratgeber von Benny sogleich aus dem Raum expediert worden ist, zum Schutze seines zarten professionellen Gewissens, nehme ich an. Philips Ansprache ist launig und knapp, und seine Pausen setzt er da, wo ich sie mir wünsche.