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Zum Ansprechpartner habe ich mir eine Literflasche Perrier erkoren, die einen halben Meter vor mir steht: Blickkontakt in den ersten Minuten einer Sitzung kann beim Dolmetschen fatal sein. Man schaut sich an, ein Funke der Komplizenschaft springt über, und schon hat der andere einen für den Rest der Zeit in der Tasche. Das Äußerste, was ich mir deshalb zugestehe, sind ein paar verstohlene Seitenblicke durch gesenkte Lider, die mir den Mwangaza als hypnotischen Schatten zeigen, vogelartig hingekauert zwischen seinen beiden Gefolgsmännern: hier der pockennarbige und gestrenge Tabizi, Ex-Schiit und neubekehrter Christ, von Kopf bis Fuß in edle Anthrazittöne gekleidet, dort sein glänzend glatter namenloser Jünger und politischer Berater, den ich insgeheim den Delphin taufe, seiner Unbehaartheit und seines AllwetterLächelns wegen, das, wie auch das schnürsenkeldünne Ringelschwänzchen, das aus seinem rasierten Nacken sprießt, ein Eigenleben zu führen scheint. Maxie hat eine Art Regimentskrawatte umgebunden. Ich bin angewiesen, ihm nichts ins Englische zu übersetzen, wenn er mir nicht das Zeichen dazu gibt.

Ein paar Bemerkungen an dieser Stelle zur Psychologie des Multilinguisten. Menschen, die von einer europäischen Sprache in eine andere wechseln, wechseln damit, wie häufig angemerkt wird, auch die Persönlichkeit. Ein Engländer, der ins Deutsche umschaltet, redet lauter. Seine Mundstellung verändert sich, er verlagert den Stimmsitz nach vorn, verzichtet auf Selbstironie zugunsten von Dominanz. Eine Engländerin, die französisch spricht, macht alles an sich weicher, wirft keck die Lippen auf, während ihr männliches Pendant Gefahr läuft, gestelzt zu klingen. Ich nehme mich da nicht aus. Aber die afrikanischen Sprachen lassen derlei feine Unterscheidungen nicht zu. Sie sind funktional, sie sind robust, selbst das koloniale Französisch. Es sind Bauernsprachen, in denen gut Tacheles reden oder, bei einem Streit, gut schreien ist, was die Kongolesen mit Leidenschaft tun. Ausflüchte macht man weniger mittels verbaler Verrenkungen als mittels Themawechsel oder, wenn man auf Nummer Sicher gehen will, mit einem Sprichwort. Gut, manchmal merke ich beim Umschalten von einer Sprache in eine andere, daß ich weiter hinten in der Kehle artikuliere als sonst, um den richtigen Atem zu haben, den richtigen heiseren Ton. Oder ich habe, wenn ich zum Beispiel Kinyarwanda spreche, einen Moment lang das Gefühl, einen heißen Stein zwischen den Zähnen zu balancieren. Aber alles in allem gilt: Sobald ich an meinem Platz sitze, bin ich mit der Zielsprache eins.

Philip hat seine Begrüßungsrede beendet. Sekunden später komme auch ich ins Ziel. Er setzt sich und belohnt sich mit einem Schluck Wasser aus seinem Glas. Ich trinke einen Schluck aus dem meinigen, nicht weil ich Durst habe, sondern weil Philip meine Bezugsperson ist. Ich wage einen weiteren verdeckten Blick auf den gewaltigen Franco und seinen Nachbarn, den abgezehrten Dieudonné. Über Francos Gesicht zieht sich eine Narbe vom Scheitel bis ganz hinunter zur Nasenspitze. Ob wohl seine Arme und Beine in ähnlicher Weise verziert sind, als Teil des Initiationsritus, der ihn gegen feindliche Kugeln feit? Dieudonnés Stirn ist hoch und mädchenhaft glatt, und sein verträumter Blick scheint auf die Hügel gerichtet, aus denen er herabgestiegen ist. Der Dandy Haj, der sich auf Francos anderer Seite fläzt, ignoriert die beiden geflissentlich.

* * *

»Guten Morgen, meine Freunde! Sind euer aller Augen auf mich gerichtet?«

Er ist so klein, Salvo. Wie kommt es, daß so viele kleingewachsene Männer mehr Mut haben als die großen, starken? Klein von Statur, so klein wie Cromwell der Mann des Volkes, entfaltet er doppelt soviel Energie pro Kilo Lebendgewicht wie alle anderen um ihn. Leichte Baumwolljacke, waschbar, wie sich’s für einen Wanderprediger gehört. Heiligenschein aus graumeliertem Haar, rundum gleich lang: ein schwarzer Einstein ohne den Schnauzbart. Und am Hals, wo bei anderen der Krawattenknoten sitzt, die Goldmünze, von der Hannah mir berichtet hat, so groß wie ein Fünfzig-Pence-Stück: Es ist sein Sklavenhalsband, Salvo. Es zeigt an, daß er nicht käuflich ist. Er ist schon verkauft, Pech gehabt. Er gehört den Menschen von ganz Kivu, und dies ist die Münze, mit der sie für ihn bezahlt haben. Er dient dem Pfad der Mitte!

Ja, aller Augen sind auf dich gerichtet, Mwangaza. Auch meine Augen. Ich muß nicht mehr Zuflucht bei meiner Wasserflasche suchen, während ich darauf warte, daß er zu sprechen beginnt. Unsere drei Delegierten, die es sich als höfliche Afrikaner versagt haben, den Lichtbringer während Philips Begrüßung zu mustern, starren nun, was das Zeug hält. Wer ist er? Welche Geister leiten ihn, welchen Zauber übt er aus? Liest er uns jetzt die Leviten? Droht er uns, spricht er uns frei, macht er uns lachen, macht er uns reich, macht er, daß wir tanzen und uns umarmen und einander unser Herz ausschütten? Oder verspottet er uns, so daß wir uns elend fühlen, voll der Schuldgefühle und Selbstbezichtigungen, die für uns Kongolesen, und für uns Halb-Kongolesen, ohnehin an der Tagesordnung sind: der Kongo, die Lachnummer Afrikas, vergewaltigt, ausgeplündert, verkorkst, bankrott, korrupt, blutrünstig, verhöhnt und für dumm verkauft, in jedem Land des Kontinents berüchtigt für seine Unfähigkeit, seine Sittenlosigkeit und Anarchie?

Wir warten darauf, daß er sich in Schwung redet, uns aufpeitscht, aber er spannt uns auf die Folter, so lange, bis Angst uns den Mund ausdörrt und die Blase uns fast platzen will – oder zumindest dem Kind, das es nicht gibt, was daran liegt, daß unser großer Erlöser eine irritierende Ähnlichkeit mit Père André hat, dem Oberprediger unserer Mission. Wie André läßt er es sich nicht nehmen, sämtliche Gemeindeglieder der Reihe nach mißmutig ins Auge zu fassen, erst Franco, dann Dieudonné, dann Haj und als letzten mich, ein langer finsterer Blick für jeden von uns, mit dem Unterschied allerdings, daß ich zu den Augen auch noch seine Hände auf mir spüre, wenn auch nur in meiner hyperaktiven Erinnerung.

»Nun, meine Herren! Jetzt, wo ihr mich alle anseht, meint ihr da nicht, daß es ein gewaltiger Fehler von euch war, hierherzukommen? Vielleicht hätte Monsieur Philippes hervorragender Pilot euch lieber auf einer anderen Insel absetzen sollen.«

Seine Stimme ist zu mächtig für ihn, aber getreu meiner Gewohnheit spreche ich meine französische Fassung gedämpft, fast wie zu mir selbst.

»Wonach sucht ihr hier, frage ich mich?« donnert er über den Tisch hinweg den alten Franco an, daß der vor Wut mit den Kiefern malmt. »Doch gewiß nicht nach mir, oder? Was wollt ihr mit mir denn anfangen? Ich bin der Mwangaza, ich will harmonische Koexistenz und Wohlstand für ganz Kivu. Ich denke mit meinem Kopf, nicht mit meinem Gewehr oder meiner panga oder meinem Penis. Ich verplempere meine Zeit nicht mit Mörderpack wie den Mai Mai, o nein!« Worauf er Dieudonné aufs Korn nimmt: »Und auch nicht mit Bürgern zweiter Klasse wie den Banyamulenge, o nein!« – jetzt ein herausforderndes Kinnrucken in Richtung Haj – »und erst recht nicht mit reichen jungen Schnöseln aus Bukavu, besten Dank« – aber doch nicht ohne ein Insiderlächeln für den Sohn seines alten Waffenbruders und Stammesgenossen – »nicht einmal, wenn sie mir Freibier und einen Job in einer ruandischen Goldmine anbieten – o nein! Ich bin der Mwangaza, das gute Herz des Kongo und redlicher Diener eines starken vereinten Kivu. Wenn das allen Ernstes die Person ist, deretwegen ihr hierhergekommen seid … wenn das tatsächlich der Fall sein sollte – laßt mich zumindest mit dem Gedanken spielen –, dann seid ihr vielleicht doch auf der richtigen Insel gelandet.«

Die überdimensionale Stimme senkt sich in vertrauliche Tiefen hinab. Meine klettert auf französisch hinterher.

»Sind Sie vielleicht ein Tutsi , mein Herr?« fragt er mit einem bohrenden Blick in die blutunterlaufenen Augen von Dieudonné. Er stellt die Frage einem Delegierten nach dem anderen, dann ihnen allen gemeinsam. Sind sie Tutsi? Hutu? Bembe? Rega? Fulero? Nande? Oder Shi, wie er?

»Wenn ja, dann verlassen Sie bitte sofort diesen Raum. Unverzüglich. Auf der Stelle. Nichts für ungut.« Er zeigt theatralisch auf die offene Terrassentür. »Gehen Sie! Einen schönen Tag noch, meine Herren! Haben Sie Dank für Ihren Besuch. Und schicken Sie mir bitte die Rechnung über Ihre Unkosten.«