»Klingt, als würde der Alte sie sich mal so richtig zur Brust nehmen«, erklärte er in seinem walisischen Singsang, als er mir den Kopfhörer aufsetzte, mein Mikro überprüfte und mich fürsorglich in meinen Schleudersitz drückte. »Schlagt ihnen nur ordentlich die Köppe aneinander, sag ich immer, dann fällt vielleicht doch ein Bröckchen Verstand raus.«
Aber die Stimme, auf die ich eigentlich wartete, war die von Sam, meinem Koordinator: Sam, der mir sagen würde, auf welche der Mikrophone ich mich konzentrieren sollte, Sam, der mich laufend instruieren und sich von mir Bericht erstatten lassen würde. Kannte ich Sam? War er womöglich ein Tondieb wie ich, noch so ein ehemaliger Chatroom-Lemur, der nun aus dem Schatten hervortreten durfte, um seine ganz besonderen Gaben unter Beweis zu stellen? Um so größer meine Überraschung, als die Stimme, die aus dem Kopfhörer drang, die einer Frau war, einer gütig und mütterlich klingenden Frau noch dazu.
Geht’s Ihnen gut, Brian, mein Lieber?
Bestens, Sam. Und selbst?
Sie haben sich großartig geschlagen da oben, Brian. Alle schwärmen von Ihnen.
Entdeckte ich da die winzigste Spur eines schottischen Beiklangs in diesen aufbauenden Worten?
Wo sind Sie zu Hause, Sam? fragte ich in meinem Überschwang – noch ganz berauscht vom Gang der Dinge oben.
Wenn ich sagen würde, Wandsworth, wäre das ein arger Schock für Sie?
Ein Schock? Wir sind Nachbarn, das gibt’s ja nicht! Ich erledige die Hälfte meiner Einkäufe in Wandsworth!
Unbehagliches Schweigen. Schon wieder habe ich vergessen, daß ich ja in einem Postfach zu wohnen habe.
Tja, Einkaufswagen, die sich bei Nacht begegnen, Brian, mein Lieber, erwidert Sam dann sehr förmlich. Wir fangen mit der Sieben an, wenn es Ihnen recht ist. Die Zielpersonen müßten jeden Moment dasein.
Die Sieben ist die Gästesuite. Den Blick auf Spiders U-Bahn-Plan gerichtet, verfolge ich den Weg der Delegierten den Korridor entlang und warte, bis einer von ihnen seinen Schlüssel hervorkramt und ihre gemeinsame Tür aufschließt – schlau von Philip, sie mit Schlüsseln zu versehen, das verstärkt das Gefühl der Sicherheit! Als nächstes das Trommelfeuer von Füßen auf Steinfliesen, das Rauschen von Toilettenspülungen und Wasserhähnen. Jetzt sind sie im Wohnzimmer – schenken sich Wasser und Säfte ein, klappern, klirren, strecken sich, gähnen nervös.
Ihre Suite ist mir ähnlich vertraut wie die öden vier Wände meines derzeitigen Domizils, obwohl ich sie nie gesehen habe und nie sehen werde, sowenig wie das Innere der Königlichen Gemächer des Mwangaza oder Sams Lagezentrum mit seinem abhörsicheren Satellitentelefon für die Kommunikation mit dem Syndikat und anderen ungenannten Personen – so jedenfalls Spider gleich vorhin zwischen Tür und Angel, denn Spider war redselig wie so viele Tondiebe, die walisischen allemal. Nach seinen Aufgaben damals im Chatroom befragt, erklärte er mir, daß er kein Ohrwurm sei, also fürs Übersetzen und Verschriften zuständig, sondern (der alte Witz) nur eine bescheidene kleine Wanze , sprich, ein Installateur geheimer Abhöranlagen zur größeren Freude Mr. Andersons. Aber das wahre Glück war für ihn, wenn die Fetzen flogen.
»Da geht nichts drüber, Brian. Das ist das beste Gefühl überhaupt: wenn von allen Seiten die Kugeln ranzischen und du platt auf dem Gesicht im Schlamm liegst mit ’nem hübschen kleinen Sechzig-Millimeter-Mörser im Arsch.«
Die gestohlenen Töne dringen laut und klar an mein Ohr, bis hin zu den Eiswürfeln, die in die Gläser krachen, und einer Kaffeemaschine, die mehr Baßtöne erzeugt als ein ganzes Symphonieorchester. Spider, der das alles schon zum x-tenmal mitmacht, ist dennoch nicht weniger angespannt als ich, aber es gibt keine Pannen in letzter Minute, keine Kurzschlüsse, keine Aussetzer, die Sache läuft.
Nur läuft sie eben doch nicht, denn niemand spricht. Den Hintergrund haben wir, aber keinen Vordergrund dazu. Aus dem Wohnzimmer der Delegierten ertönen Grunzer und Ächzer, aber nicht ein Wort. Ein Scheppern, ein Rülpser, irgend etwas quietscht. Dann weit weg Gemurmel, aber wer murmelt, und in wessen Ohr, ist ein reines Ratespiel. Und immer noch keine richtigen Stimmen, jedenfalls keine, die sich mithören ließen. Hat die Redegewalt des Mwangaza ihnen allen die Sprache verschlagen?
Ich halte den Atem an. Spider auch. Ich liege mäuschenstill in Hannahs Bett und tue so, als gäbe es mich nicht, während ihre Freundin Grace an der verschlossenen Tür rüttelt und zu wissen verlangt, warum Hannah nicht zum Tennis erschienen ist (das Grace ihr beibringt), und Hannah, der Lügen ein Greuel sind, Kopfschmerzen vorschützt.
Vielleicht sprechen sie nur ihre Gebete, Sam.
Aber zu wem, Brian?
Allzu viel kann Sam nicht über Afrika wissen, denn die Antwort wäre im Zweifel die auf der Hand liegende: zum christlichen Gott, Sam, oder zu ihrer jeweiligen Version des christlichen Gottes. Die Banyamulenge, die meinem seligen Vater so lieb waren, halten zu allen Zeiten Zwiesprache mit IHM, direkt oder durch ihre Propheten. Dieudonné, da bin ich mir sicher, betet, wann immer es ihn überkommt. Die Mai Mai dagegen erhoffen sich von Gott Schutz in der Schlacht und wenig sonst, deshalb kreist Francos Denken wohl mehr darum, was bei dem Ganzen für ihn herausspringt. Ein Medizinmann wird ihm zerdrückte Blätter des Tékébaums auf dem Körper verrieben haben, damit ihre Kräfte auf ihn übergehen. Zu wem Haj betet, darüber läßt sich nur spekulieren. Vielleicht zu Luc, seinem siechen Papa.
Warum sagt niemand etwas? Und warum glaube ich aus dem Knarzen und Scharren und all den anderen zu erwartenden Hintergrundgeräuschen eine zunehmende Spannung im Raum herauszuspüren, als würde jemand unseren Delegierten eine Gewehrmündung an die Schläfe halten?
Sprecht doch, irgendeiner, um Himmels willen!
Im stillen rede ich auf sie ein, beschwöre sie. Schaut her. In Ordnung. Ich versteh’s ja. Vorhin im Besprechungszimmer habt ihr euch eingeschüchtert gefühlt, nicht für voll genommen, gereizt durch die weißen Gesichter rund um den Tisch. Der Mwangaza hat euch von oben herab behandelt, aber so ist er nun mal, er ist ein Prediger, er kann nicht anders. Und ihr habt eure Verantwortung, auch das sehe ich ein. Ehefrauen, Sippen, Stämme, Geister, Propheten, Wahrsager, Medizinmänner, alles mögliche, von dem wir nichts verstehen. Aber bitte, um der Allianz willen, um Hannahs willen, um unser aller willen – sprecht!
Brian?
Sam?
Ich frage mich langsam, ob nicht vielleicht wir gut daran täten zu beten.
Derselbe schreckliche Gedanke ist auch mir schon gekommen: Wir sind durchschaut. Einer unserer Delegierten – im Zweifelsfall Haj – hat den Finger auf die Lippen gelegt und deutet auf die Wände oder das Telefon oder den Fernseher, der kleine Klugscheißer, oder verdreht seine Glupschaugen zum Kronleuchter hoch. Was soviel heißen soll wie: »Jungs, ich bin rumgekommen in der Welt, ich kenn mich aus, und glaubt mir: wir werden abgehört.« Wenn das so ist, dann gibt es jetzt mehrere Möglichkeiten, je nachdem, wer die Zielpersonen sind – die ZPs, wie Maxie sagen würde – und ob sie sich momentan eher als Verschworene oder eher als Verschwörungsopfer fühlen. Im besten Fall sagen sie sich: »Egal, reden wir einfach trotzdem«, was die Reaktion jedes vernünftigen Durchschnittsmenschen wäre, der schlicht nicht die Zeit und die Geduld fürs Abgehört-Werden hat. Aber das hier ist keine Durchschnittssituation. Und was uns beide an den Rand des Wahnsinns treibt, mich genauso wie Sam, ist, daß unseren drei Delegierten, wenn sie sich nur darauf besännen, eine Patentlösung zu Gebote stünde, weshalb ich ja hier unten hocke und lauere.