Würden Sie sie nicht auch am liebsten anbrüllen, Brian?
Doch, Sam, und ob ich es möchte, aber in meinem Kopf nistet sich eine viel schlimmere Angst ein. Nicht Spiders Mikrophone sind aufgeflogen – ich, Salvo, bin es. Philips Rettung in letzter Minute hat mich doch nicht gerettet. Während Franco sein Begrüßungssprüchlein in der falschen Sprache auf den falschen Mann losließ, hat Haj meine Spätzündung beobachtet, deshalb auch sein ständiges glotzäugiges Starren. Er hat gesehen, wie ich meinen dummen Mund auf- und wieder zugeklappt habe, um in aller Eile ein verblüfftes Gesicht aufzusetzen.
Mit derlei Gedanken foltere ich meine Seele, als wie eine Heilsbotschaft die Baßstimme des alten Franco an mein Ohr dringt, nicht auf Bembe jetzt, sondern in dem Kinyarwanda, das er im Gefängnis gelernt hat. Und diesmal darf ich ihn verstehen, statt mich dummstellen zu müssen.
* * *
Tondiebesbeute, das schärft Mr. Anderson seinen Schülern immer wieder ein, ist ihrer Natur nach unzusammenhängend, häufig wertlos und frustrierend bis dorthinaus. Die Geduld eines Hiob, so Mr. Anderson, reicht kaum aus, das gelegentliche Goldkörnchen aus dem Meer von Unrat herauszusieben, in dem es schwimmt. So gesehen weichen die Eröffnungsbemerkungen unserer drei Delegierten in keiner Weise von der Norm ab: ganz die erwartete Mischung aus deftigen Erleichterungsbekundungen und vereinzelten Probeschüssen für eine Schlacht, in der die Seiten noch gewählt werden müssen.
Franco: (Zitiert in beißendem Ton ein kongolesisches Sprichwort) Von schönen Worten wird die Kuh nicht satt.
Dieudonné: (Ergänzt Francos Sprichwort um ein anderes) Die Zähne lächeln, aber lächelt auch das Herz?
Haj: Mannomann! Mein Vater hatte mich ja vorgewarnt, daß der alte Knabe ganz schön vom Leder ziehen würde – aber meine Fresse! Aw-aw-aw. Warum spricht er Swahili wie ein Tansanier mit einer Papaya im Arsch? Ich denke, er ist ein gestandener Shi!
Niemand antwortet ihm, was typisch ist, wenn man drei Männer zusammen in ein Zimmer steckt. Der mit dem größten Mundwerk reißt das Gespräch an sich, und die beiden, deren Meinung man erfahren wollte, verstummen.
Haj: Wer ist eigentlich das hübsche Zebra? (Perplexes Schweigen, in das ich nur einstimmen kann) Dieser Dolmetscher in der Linoleumjacke. Was für einer ist das?
Haj nennt mich ein Zebra? Ich habe mir schon einiges an Namen anhören müssen. In der Missionsschule hieß ich Métis, Café-au-lait oder auch das rasierte Schwein. In Herz-Jesu war ich alles vom Brikett bis zum Mohrenkopf. Aber Zebra war ein bisher ungekanntes Schimpfwort für mich, und ich mußte annehmen, daß es Hajs ganz persönliche Schöpfung war.
Haj: Ich kannte mal einen, der sah auch so aus. Vielleicht sind sie ja verwandt. Ein Buchhalter. Hat bei meinem Vater die Zahlen frisiert. Und ansonsten sämtliche Weiber in der Stadt gebumst, bis ein wütender Ehemann ihm den Arsch weggeballert hat. Kraboom! War aber nicht ich. Ich bin nicht verheiratet, und ich niete keine Leute um. Wir haben uns auch so schon genug dezimiert. Scheiße. Nie wieder. Zigarette?
Haj hat ein goldenes Zigarettenetui, das mich schon oben im Besprechungszimmer aus dem senfgelben Seidenfutter seines Anzugs angeblitzt hat. Jetzt höre ich das satte Klicken, mit dem er es aufschnappen läßt. Franco steckt sich eine Zigarette an, und ein Totengräberhusten schüttelt ihn.
Und worum ging’s da jetzt, Brian?
Um meine ethnische Zugehörigkeit.
Ist das normal?
Ziemlich.
Dieudonné, der erst abgelehnt hatte, murmelt ein fatalistisches »Ach, was soll’s?« und zündet sich auch eine an.
Haj: Bist du krank oder so was? Dieudonné: So was.
Sitzen sie oder stehen sie? Horch genau hin, und du hörst ein ungleichmäßiges Quietschen von Turnschuhsohlen, das ist Francos Hinkebein, während Haj mit seinen lindgrünen Krokodillederschuhen auf dem harten Boden herumtänzelt. Horch noch genauer hin, und du hörst einen unterdrückten Ächzer und das Seufzen eines Schaumstoffkissens, das ist Dieudonné, der sich in einen Lehnstuhl sinken läßt. So gut werden wir Tondiebe unter Mr. Andersons Führung.
Haj: Eins gleich mal vorneweg, mein Lieber.
Dieudonné: (Mißtrauisch ob dieser herzlichen Anrede) Nämlich?
Haj: Die Menschen in Kivu sind tausendmal mehr an Frieden und Versöhnung interessiert als diese Arschlöcher in Kinshasa. (Mit Volksverhetzerstimme) Bringt sie alle um! Stecht ihnen ihre ruandischen Augen aus! Wir stehen geschlossen hinter dir, Mann! Zweitausend Kilometer hinter dir, genauer gesagt. Und fast alles davon Dschungel. (Wartet, vermutlich auf eine Reaktion, bekommt aber keine. Erneutes Klacken der Krokosohlen) Und der Alte haut genau in dieselbe Kerbe (äfft den Mwangaza nach, gar nicht schlecht): Laßt uns unser schönes grünes Land säubern von diesem verderbenbringenden Ungeziefer, meine Freunde. O ja. Laßt uns unser Heimatland an unsere geliebten Landsleute zurückgeben! Und recht hat er! Wer findet das nicht? (Wartet. Keine Antwort) Antrag einstimmig angenommen. Schmeißt sie raus, sage ich. Zack! Batsch! V e r p i ß t e u c h ! (Keine Antwort) Aber natürlich gewaltlos. (Kleiner Trommelwirbel der Krokosohlen) Das Problem ist bloß, wo hören wir auf? Ich meine, was ist mit den armen Schweinen, die sich ’94 zu uns geflüchtet haben? Schmeißen wir die auch raus? Schmeißen wir unseren Dieudonné raus? Nehmt eure Blagen mit, aber eure Kühe laßt ihr gefälligst hier!
Haj entpuppt sich als genau der Saboteur, als den ich ihn oben schon in Verdacht hatte. Auf nonchalante und doch zersetzende Weise hat er es geschafft, binnen Minuten das Thema mit dem größten Spaltungspotential überhaupt anzuschneiden: den ungeklärten Status der Banyamulenge und Dieudonnés Eignung oder Nicht-Eignung zum Verbündeten in unserem Unterfangen.
Franco: (Ein weiteres Sprichwort, diesmal im Ton einer Kampfansage) Ein Baumstamm kann zehn Jahre im Wasser liegen. Aus ihm wird doch nie ein Krokodil.
(Lange, angespannte Pause)
Dieudonné: Franco!
Ein Kreischen in meinem Kopfhörer schleudert mich fast aus meinem Sitz: Der wütend auffahrende Dieu-donné hat seinen Sessel über den Steinboden zurückgestoßen. Ich meine ihn vor mir zu sehen, die Hände um die Armlehnen gekrampft, Schweißperlen auf der Stirn, während er den Kopf in leidenschaftlicher Beschwörung zu Franco hochreckt.
Dieudonné: Wann wird das je enden, Franco? Ihr gegen uns? Die Banyamulenge mögen Tutsis sein, aber wir sind keine Ruander! (Sein Atem macht ihm zu schaffen, aber er achtet nicht darauf) Wir sind Kongolesen, Franco, so kongolesisch wie die Mai Mai! Doch! (Übertönt Francos höhnischen Einspruch) Der Mwangaza begreift das, und ihr doch manchmal auch! (Und noch einmal auf französisch, des größeren Nachdrucks wegen) Nous sommes tous Zaïrois! Erinnerst du dich, was die Kinder zu Mobutus Zeiten in der Schule gesungen haben? Warum können wir das jetzt nicht auch singen? Nous sommes tous Congolais!
Nein, Dieudonné, nicht wir alle, berichtige ich ihn im Geist. Auch ich habe diese Worte in der Schule stolz im Chor mit meinen Klassenkameraden gesungen, bis sie eines Tages mit dem Finger auf das Kind zeigten, das es nicht gab, und schrien: Pas Salvo, pas le métis! Pas le cochon rasé!
Dieudonné: (Setzt seine Suada fort) Beim Aufstand ’64 kämpfte mein Vater, ein Banyamulenge, Seite an Seite mit deinem Vater, einem Simba (rasselndes Atemschöpfen), und du selbst als junger Mann hast Seite an Seite mit ihnen beiden gekämpft. Hat euch das zu unseren Verbündeten gemacht? (Rasseln) Zu unseren Freunden! (Rasseln) Nein, das hat es nicht. (In zornigem Französisch bricht es aus ihm heraus) C’était une alliance contre la nature! Die Simba haben nicht aufgehört, uns zu töten und unser Vieh für ihre Soldaten zu stehlen, ganz genau wie die Mai Mai heute. Wenn wir Vergeltung üben, nennt ihr uns Banyamulenge-Abschaum. Wenn wir uns Zurückhaltung auferlegen, nennt ihr uns Banyamulenge-Feiglinge (ersticktes Keuchen nun). Aber wenn wir uns zusammenschließen könnten unter diesem … (Rasseln) … aufhörten mit dem Töten und dem Hassen (Rasseln) … aufhörten damit, unsere Toten und unsere Verstümmelten zu rächen … wenn wir uns selber im Zaum halten könnten … und uns vereinen … unter diesem Anführer oder welchem Anführer auch immer …