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Maxies Papierpfeile dienen rein strategischen Zwecken. Sie weisen auf das Haus des Gouverneurs, die Radio- und Fernsehsender, das UNO-Hauptquartier und die Kaserne. Doch kein Pfeil zeigt auf die Straßenstände, an denen wir Ziegen-Brochettes aßen, wenn mein Vater mit mir an meinem Geburtstag in die Stadt ging; keiner zeigt auf die Kathedrale mit ihrem grünen, zwei gestrandeten Schiffsrümpfen gleichsehenden Doppeldach, in der wir für meine unsterbliche Seele beteten, oder auf die trutzig gemauerte Katholische Universität, an der ich, wenn ich nur recht fleißig lernte, eines Tages vielleicht würde studieren dürfen. Und keiner zeigt auf die Mission der Weißen Schwestern, die das Kind, das es nicht gab, mit Zuckerplätzchen fütterten und ihm sagten, was für einen lieben netten Onkel es doch habe.

Maxie steht mit dem Rücken zu uns. Philip sitzt neben ihm. Seine Mimik ist so im Fluß, daß man sich beeilen muß, um ihn bei einem bestimmten Ausdruck zu ertappen. Man meint einen zu sehen, aber wenn man das nächste Mal hinschaut, ist er bereits wieder verschwunden. Unsere drei Delegierten sitzen wie zuvor, Franco in ihrer Mitte. Dieudonné schaut jetzt grimmiger drein. An Francos Hals treten die Muskelstränge hervor wie Stricke. Einzig Haj legt eine provozierende Verachtung gegenüber dem Fortgang der Dinge an den Tag. Die Zegna-gewandeten Ellenbogen auf das grüne Tuch gestützt, scheint er interessierter am Blick aus dem Fenster als an seinem Lehen auf der Staffelei. Ist er mit dem Herzen bei der Sache? Liebt er Bukavu, wie ich es in meiner Erinnerung liebe? Schwer zu glauben.

Auftritt Anton, ein Billardqueue in der Hand. Sein Erscheinen verwirrt mich einen Moment lang. Warum ist er nicht draußen bei seinem Beobachtertrupp, wo er hingehört? Dann erst wird mir klar, daß es für ihn, solange unsere Delegierten schön brav im Besprechungszimmer sitzen, gar nichts zu beobachten gibt, was nur wieder zeigt, daß man noch so sehr auf Zack sein kann, sämtliche Nerven bloßgelegt und das dritte Ohr, das Dolmetscher-Ohr, gespitzt bis zum Gehtnichtmehr – der gesunde Menschenverstand setzt manchmal doch aus.

»Jetzt kommt ein bißchen Soldatenjargon, alter Junge«, warnt Maxie mich gedämpft. »Kommen Sie damit klar?«

Ob ich damit klarkomme, Skipper? Sie haben gefragt, ob ich Militärausdrücke draufhabe, und das habe ich. Anton reicht Maxie das Billardqueue: seine Waffe, sein Zauberstock. Eine Exerzierübung, Soldat an Offizier. Maxie faßt das Queue so, daß beide Enden genau austariert sind. Die Stimme klar, abgehackt. Einfache Sätze, wirksame Pausen. So, und jetzt hört. Ich höre, und dann lege ich mich ins Zeug.

»Das Wichtigste zuerst, Gentlemen. Es wird keine, ich wiederhole, keine bewaffnete Intervention durch nichtkongolesische Truppen in der Provinz Kivu geben. Machen Sie ihnen das unmißverständlich klar, alter Junge.«

Trotz meiner Überraschung tue ich wie mir geheißen. Haj stößt einen ironischen kleinen Juchzer aus, kichert und schüttelt ungläubig den Kopf. Francos knorriges Gesicht verzieht sich unwillig. Dieudonné senkt grübelnd die Lider.

»Alles, was passiert, wird ein spontaner Zusammenstoß zwischen traditionsgemäß feindlichen Stammesgruppen sein«, fährt Maxie unbeeindruckt fort. »Es wird ohne, ich wiederhole, ohne Beteiligung nichtkongolesischer Kräfte vonstatten gehen – ohne sichtbare jedenfalls –, ob das in Goma oder in Bukavu ist oder sonstwo. Sorgen Sie dafür, daß das bei Haj ankommt. Das ist das, was sein Vater uns zugesichert hat. Sagen Sie ihm das.«

Ich sage es ihm. Haj läßt den Blick wieder zum Fenster hinausschweifen, wo eine Luftschlacht zwischen rivalisierenden Geschwadern von Krähen und Möwen im Gange ist.

»Ein prekäres Kräftegleichgewicht im Inneren wird vorübergehend gestört«, nimmt Maxie den Faden wieder auf. »Keine Kraft von außen, ob nationale Streitkräfte, Söldnertruppen oder Sonstiges, gießt dabei Öl ins Feuer. Was die internationale Gemeinschaft angeht, wird die Sache business as usual sein. Stellen Sie das für mich klar, okay, alter Junge?«

Ich stelle es klar für den Skipper. Hajs Krähen sind auf dem Rückzug, von der Übermacht der Möwen in die Flucht geschlagen.

»Das UNO-Hauptquartier in Bukavu ist ein einziger Sauhaufen«, verkündet Maxie mit Nachdruck, eine Formulierung, die ich lieber etwas abschwäche. »Genau eine mechanisierte Infanteriekompanie mit minensicheren gepanzerten Truppentransportern, eine uruguayische Wachkompanie, eine chinesische Pioniereinheit, auf den Gängen laufen sich Ruander und MaiMai-Repräsentanten in die Arme, und das Kommando über das Ganze führt ein nepalesischer Oberstleutnant kurz vor der Pensionierung. Beim kleinsten Furz hängen die schon an der Strippe und jammern New York um Beistand an. Wir wissen, wovon wir sprechen. Philip hat die Telefonate abgehört, stimmt’s?«

Mit einer kleinen Verbeugung quittiert Philip die Heiterkeit, die meine Übersetzung auslöst. Ein unabhängiger Berater, der im UNO-Hauptquartier spioniert? Insgeheim bin ich perplex, lasse mir aber nichts anmerken.

»Wenn die Kämpfe als rein kongolesische Angelegenheit durchgehen, werden die Blauhelme in Bukavu oder Goma oder sonstwo nur seufzend die Zivilisten evakuieren, sich in ihre Quartiere verkriechen und abwarten, wer gewinnt. Aber – und das sollte ein verdammt großes ABER werden, alter Junge – sobald die UNO oder wer auch immer Wind davon bekommt, daß das Ausland die Finger im Spiel hat, sitzen wir bis Oberkante Unterlippe in der Scheiße.«

Swahili bietet eine reiche Auswahl an Kraftausdrücken, darum maße ich es mir an dieser Stelle nicht an, die deftige Sprache unseres Skippers zu verwässern. Aber während meine Wiedergabe bei Franco noch mehr beifälliges Lachen hervorruft und auch Dieu-donné ein schwaches Lächeln entlockt, kommt von Haj nur ein kurzes Hohnmeckern.

»Was zum Teufel meint er damit?« knurrt Maxie mich aus dem Mundwinkel an, als wäre der Übeltäter nicht Haj, sondern ich.

»Einfach Übermut, Skipper.«

»Ich frage ihn, nicht Sie.«

Ich gebe die Frage an Haj weiter, oder vielmehr an die Rückansicht seines Zegna-Anzugs.

»Vielleicht hat an dem Tag ja keiner Lust zum Putschen«, sagt er dann mit einem trägen Achselzucken. »Vielleicht schifft es.«

Flink wie nur je schiebt sich Philip in die Bresche.

»Der Colonel redet hier von ein paar eingeschlagenen Schaufenstern, Haj, weiter nichts. Gut, ein klein bißchen Schießen und Plündern vielleicht auch noch. Ein brennendes Auto hier oder dort, aber niemand verlangt von Ihnen, daß Sie Ihre eigene Stadt in Brand stecken, Gott behüte. Ihr Vater dringt darauf, daß es in Goma nicht mehr als ein Minimum an Zerstörung geben darf, und Ihre Haltung, was Bukavu betrifft, wird eine ähnliche sein. Alles, was wir brauchen, ist genügend Feuerzauber – genügend allgemeinen Aufruhr –, um eine Situation herbeizuführen, in der eine beliebte und charismatische Führerfigur, die eine starke Botschaft zu verkünden hat – in diesem Falle der lebenslange Weggefährte Ihres Vaters, der Mwangaza –, triumphal als Friedensstifter auftreten kann. Luc hatte die sehr überzeugende Idee, die Sache in Goma mit einer Protestkundgebung auf den Weg zu bringen, die leicht aus dem Ruder läuft, und dann das Bier den Rest besorgen zu lassen. Sie wären vielleicht nicht schlecht beraten, wenn Sie in Bukavu auf ähnliche Weise vorgingen.«

Doch auch Philips diplomatische Künste können Haj nicht aus seinem Schmollwinkel hervorlocken. Eher scheinen sie sogar das Gegenteil zu bewirken, denn er schlenkert mit schlaffer Gebärde die Hände überm Kopf, als wollte er alles hier Vorgebrachte entnervt abtun. Und das wiederum veranlaßt Felix Tabizi zu einem Ausbruch in kehligem, arabisch gefärbtem Französisch.

»Folgendes wird passieren«, donnert er Haj an wie einen unfähigen Diener. »Im richtigen Augenblick werden der Mwangaza und seine Berater ihren geheimen Aufenthaltsort außerhalb der Landesgrenzen verlassen und am Flughafen von Bukavu eintreffen. Eine jubelnde Menge, die Ihr Vater und Sie organisieren werden, nimmt ihn dort in Empfang und geleitet ihn im Triumphmarsch in die Stadt. Verstanden? Mit seinem Einzug in Bukavu wird augenblicklich mit jeder Gewalt Schluß sein. Ihre Leute lassen die Waffen fallen, sie hören auf mit dem Plündern und Herumknallen, und sie feiern. Die, die den Mwangaza bei seiner großen Mission unterstützt haben, werden belohnt werden, allen voran Ihr Vater. Die ihn nicht unterstützt haben, werden nichts zu lachen haben. Ein Jammer, daß Ihr Vater heute nicht hiersein kann. Ich hoffe, er wird bald wieder gesund. Er liebt den Mwangaza. Seit zwanzig Jahren haben sie für diese Sache gekämpft. Jetzt zahlt ihr Kampf sich aus. Auch für Sie.«