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Haj hat sich vom Fenster abgewandt und lehnt sich über den Tisch, fingert an einem seiner großen goldenen Manschettenknöpfe herum.

»Ein kleiner Krieg also«, sagt er schließlich nachdenklich.

»Also kommen Sie. Doch kein richtiger Krieg«, räsoniert Philip. »Ein Krieg nur dem Namen nach. Und der Frieden ist gleich um die Ecke.«

»Wo er immer ist«, ergänzt Haj, aber fürs erste scheint er Philips Logik zu akzeptieren.

»Und nach einem kleinen Krieg kräht ja kein Hahn« – nun redet er sich erneut in Schwung, wieder auf französisch –, »ich meine, was ist schon ein kleiner Tod? Pfft. Nichts. Genau wie ein bißchen schwanger.« Und zur Bekräftigung läßt er eine Kanonade von Kriegsgeräuschen auf uns los, ähnlich denen, die ich schon unter Wasser über mich ergehen lassen mußte: »Krach! Bumm! Ratta-ratta!« – worauf er mit ausgebreiteten Armen tot auf dem Tisch zusammenbricht, nur um gleich wieder in die Höhe zu schnellen, die eine Geste so unnütz wie die andere.

* * *

Maxie wird den Flughafen von Bukavu einnehmen, und wehe dem, der ihn daran hindern will! Kavumu, wie der Flughafen heißt, liegt fünfunddreißig Kilometer nördlich von Bukavu und ist der Schlüssel zu unserem Erfolg. Ein Luftbild des Flughafens ist auf der Staffelei erschienen. Hatte Bukavu vor zwanzig Jahren einen Flughafen? In meiner Erinnerung taucht eine bucklige Wiese auf, auf der Ziegen weiden, und ein silbergerippter Doppeldecker mit einem bärtigen polnischen Priester namens Pater Jan am Steuerknüppel.

»Wer den Flughafen hat, der hat Süd-Kivu in der Tasche. Zweitausend Meter Asphalt, das ist unerreicht in ganz Ostkongo. Ihr könnt reinbringen, was ihr wollt, wen ihr wollt und wann ihr es wollt. Und ihr blockiert den einzigen Flughafen, über den Kinshasa ernsthaft Verstärkung beziehen könnte.« Das Billardqueue klatscht den Takt: »Von Kavumu aus könnt ihr in östlicher Richtung nach Nairobi exportieren« – klatsch –, »südlich nach Johannesburg« – klatsch –, »nördlich nach Kairo und weiter. Oder ihr vergeßt gleich alles unterhalb der Sahara und stoßt direkt auf die europäischen Märkte vor. Eine Boeing 767 faßt vierzig Tonnen und muß nicht mal zwischenlanden. Und die Ruander und die Tansanier und die Ugander können euch mal. Denkt drüber nach.«

Ich übersetze, und wir denken darüber nach, Haj ganz besonders tief. Den Kopf in die überlangen Hände gestützt, Glupschaugen starr auf Maxie gerichtet, gibt er das unbewußte Gegenstück zu Dieudonné ab, der neben ihm in gleicher Haltung brütet.

»Keine Zwischenhändler, keine Banditen, keine Schutzgelder, keine Zöllner und Soldaten, die entlohnt werden müssen«, verheißt Maxie uns, also verheiße ich es ebenfalls. »Die Minen werden vom Standort aus versorgt, die Käufer werden direktbeliefert, und Kinshasa guckt in die Röhre. Lassen Sie’s uns laut und deutlich hören, alter Junge.«

Das tue ich, und sie sind gebührend beeindruckt – das heißt, bis auf Haj, der uns gleich mit dem nächsten absurden Einwand die Wände hochtreibt.

»Die Startbahn in Goma ist länger«, sagt er und schlenkert mit dem Arm.

»Und am einen Ende mit Lava überkrustet«, kontert Maxie, und sein Billardqueue vollführt einen Trommelwirbel auf einem Grüppchen von Vulkanen.

»Sie hat zwei Enden, oder? Dafür ist sie doch eine Startbahn.«

Franco stößt ein schnaubendes Lachen aus, Dieu-donné gestattet sich ein seltenes Lächeln. Maxie atmet tief durch, und ich auch. Wenn ich mir Haj nur fünf Minuten allein vorknöpfen könnte, auf Shi, von Mann zu Mann! Dann würde er schon begreifen, wie sehr er die Operation mit seinen kleinlichen Einwänden ins Straucheln bringt.

Entschlossen fährt Maxie fort: »Es bleibt bei Kavumu. Ende der Diskussion.«

Er wischt sich derb mit der Faust über den Mund und setzt neu an. Langsam aber sicher, so fürchte ich, zerrt Haj ernstlich an seinen Nerven. »Ich will es von ihnen hören, von jedem einzelnen. Sind sie mit an Bord oder nicht? Starten wir mit einem Paukenschlag und besetzen Kavumu, oder verzetteln wir uns lieber mit Kleinscheiß, lassen die Konkurrenz zum Zug kommen und verspielen die reellste Fortschrittschance, die sich dem Ostkongo auf viele Jahre hin bieten wird? Fangen Sie mit Franco an.«

Ich fange mit Franco an. Wie üblich läßt er sich Zeit. Wirft finstere Blicke auf mich, auf die Karte, auf Maxie. Aber der finsterste Blick bleibt dem verhaßten Dieudonné neben ihm vorbehalten.

»Es ist die Ansicht meines Generals, daß der Plan von Monsieur le Colonel vernünftig ist«, knirscht er schließlich hervor.

»Das ist mir zu vage. Und das gilt für sie alle. Nehmen wir den Flughafen – Kavumu –, bevor wir auf die Städte und Minen zugreifen? Die Frage ist klar gestellt, ich will eine klare Antwort. Fragen Sie ihn noch mal.«

Ich wiederhole die Frage. Franco öffnet die Faust, starrt grimmig auf etwas in seiner Hand, ballt sie dann erneut. »Mein General hat sich entschlossen. Wir werden als erstes den Flughafen einnehmen und dann die Minen und Städte.«

»Als Verbündete?« insistiert Maxie. »Zusammen mit den Banyamulenge? Als Waffenbrüder, die ihre angestammten Differenzen überwinden?«

Ich fixiere meine Perrierflasche, mir dabei Hajs manischen Blicks bewußt, der vom einen zum anderen flackert und sich dann auf mich richtet.

»Es ist abgemacht«, bestätigt Franco.

Dieudonné scheint seinen Ohren nicht zu trauen.

»Mit uns?« fragt er leise. »Mit den Banyamulenge als gleichwertigen Partnern bei dieser Mission?«

»Wenn es sein muß, ja.«

»Und nachher, wenn wir gewonnen haben? Erhalten wir dann gemeinsam den Frieden? Ist das tatsächlich die Abmachung?«

»Mein General sagt, mit euch, also ist es so«, knurrt Franco. Und zur Besiegelung spendiert er uns allen ein weiteres Sprichwort aus seinem offenbar unerschöpflichen Vorrat: »Die Freunde meiner Freunde sind auch meine Freunde.«

Jetzt ist Dieudonné an der Reihe. Er hat nur Augen für Franco, während er unter schmerzhaftem Keuchen zu Atem kommt. »Wenn euer General Wort hält. Und wenn auch ihr Wort haltet. Und wenn der Mwangaza Wort hält. Dann werden die Banyamulenge in diesen Handel einwilligen«, erklärt er.

Woraufhin sich schlagartig aller Blicke, meine inbegriffen, auf Haj richten. So jäh in den Brennpunkt der Aufmerksamkeit gerückt, langt der in sein senfgelb gefüttertes Jackett und will das goldene Zigarettenetui zücken. Dann sieht er zu dem Rauchen-verbotenSchild hoch, verzieht das Gesicht, läßt das Etui in die Tasche zurückfallen und zuckt die Achseln. Für Maxie ein Achselzucken zuviel.

»Können Sie Haj etwas von mir ausrichten, alter Junge?«

Zu Diensten, Skipper.

»Ich hab nicht viel am Hut mit diesem Rumgeeiere. Wir wollen hier schließlich zu Potte kommen, nicht nur ewig mit der Hose um die Knöchel rumstehen. Wenn er schon für seinen Vater einspringt, warum macht er dann nicht, was sein Vater ihm sagt, statt hier dauernd querzuschießen? Können Sie das dem kleinen Arschloch irgendwie begreiflich machen, ohne daß es zu grob klingt?«

Selbst der versierteste Dolmetscher kann eine Breitseite nur bis zu einem gewissen Grad abmildern, zumal wenn ein so freimütiger Klient wie Maxie sie abfeuert. Ich tue mein Bestes und mache mich dann, da ich Hajs unbeherrschte Ausbrüche mittlerweile über wie unter Wasser miterlebt habe, auf die unvermeidliche Explosion gefaßt. Um so größer meine Verwunderung, als ich mich statt dessen mit der durchdachten Argumentation eines Top-Absolventen der Sorbonne konfrontiert sehe.