Hajs Rede muß gut fünf Minuten gedauert haben,
und doch erinnere ich mich an kein Zögern, keine Redundanz. Sie ist komplex, sie ist nüchtern. Nichts an ihr weist darauf hin, daß er über das Schicksal seiner – und meiner – geliebten Heimatstadt spricht. Was nachstehend folgt, ist eine Kurzfassung:
Die Minen können nicht ohne Einwilligung der örtlichen Bevölkerung betrieben werden.
Militärische Überlegenheit allein ist nicht genug. Voraussetzung für eine dauerhafte Lösung ist eine Zeit ohne Krieg, gemeinhin auch Frieden genannt.
Die Frage, die sich den Delegierten stellt, ist darum nicht, ob der Plan des Colonel die effektivste Methode zu Gewinnung und Transport von Bodenschätzen darstellt, sondern ob der Mwangaza und sein Pfad der Mitte ihr Versprechen wahrmachen und einen gesellschaftlichen Konsens herbeiführen können.
Zugang. Mit Zugang meint Haj weniger den faktischen Zugang zu den Minen als den gesetzlichen. Zwar wird die avisierte neue Regierung von Kivu unter dem Mwangaza dem Syndikat sämtliche nötigen Konzessionen, Rechte und Genehmigungen erteilen, die die örtlichen Gesetze vorschreiben.
Aber was ist mit dem kongolesischen Gesetz? Kinshasa ist immer noch die Hauptstadt, auch wenn es zweitausend Kilometer entfernt liegt. Auf internationaler Ebene vertritt es die Demokratische Republik Kongo als Ganze, und seine Hoheit über die östlichen Regionen ist in der Verfassung verankert. Auf lange Sicht geht es nicht ohne Kinshasa.
Haj heftet seine vorquellenden Augen auf Philip.
»Meine Frage, Mzee Philip, lautet also: Wie gedenkt Ihr Syndikat die Autorität Kinshasas zu umgehen? Der Mwangaza hat für Kinshasa nur Hohn und Spott übrig. Der Colonel verspricht uns, daß Kinshasa keinerlei finanziellen Nutzen aus dem Coup ziehen wird. Aber wenn sich der Staub gelegt hat, wird dennoch Kinshasa das letzte Wort haben, nicht der Mwangaza.«
Philip ist Hajs Darlegungen aufmerksam gefolgt, und nach seinem zufriedenen Lächeln zu urteilen, hatte er seine Freude daran. Er fährt sich mit der hohlen Hand über das gewellte weiße Haar, wobei er es fertigbringt, es nicht zu berühren.
»Unser Vorhaben wird starke Nerven und starke Männer erfordern, Haj«, erklärt er mit unverändertem Lächeln. »Männer wie den Mwangaza selbst oder auch Ihren geschätzten Vater. Es wird außerdem Zeit erfordern, was ganz in unserem Sinne ist. Es gibt ein paar Punkte im Verhandlungsprozeß, mit denen wir uns besser erst dann befassen, wenn es soweit ist. Ich würde sagen, das hier ist einer dieser Punkte.«
Haj gibt sich verblüfft; für mein Empfinden ein bißchen zu verblüfft, aber warum? »Soll das heißen, keine Vorwegabsprachen mit den Profitgeiern in Kinshasa? Sind Sie ganz sicher?«
»Hundertprozentig.«
»Ihr wollt sie euch nicht jetzt kaufen, solange sie noch billig zu haben sind?«
»Ganz gewiß nicht!« – tugendhaftes Lachen.
»Ihr spinnt, Leute! Wenn ihr wartet, bis ihr sie wirklich braucht, zocken sie euch ab!«
Aber Philip läßt sich nicht provozieren, wofür ich ihn bewundere. »Keinerlei Vorwegabsprachen mit Kinshasa, tut mir leid, Haj. Keine Sonderdeals, keine Schmiergelder, kein Stück vom Kuchen. Kann sein, daß uns das letztlich teurer kommt, aber Absprachen liefen allem zuwider, wofür wir stehen.«
Maxie springt wie frisch gestärkt wieder auf die Füße, die Spitze seines Billardqueues tippt erst auf Goma und folgt der Straße sodann Richtung Süden, das Westufer des Kivusees entlang.
»Mzee Franco. Ich habe gehört, Gruppen Ihrer hochverdienten Miliz legen entlang dieser Straße von Zeit zu Zeit Hinterhalte.«
»Das wird gesagt«, erwidert Franco zurückhaltend.
»Am fraglichen Tag sollten die Überfälle vom Morgengrauen an derart intensiviert werden, daß die Straße in beide Richtungen für Transporte unpassierbar wird.«
Entsetzensruf von Haj. »Sie meinen, auch für die Lastwagen meines Vaters? Für unsere Bierfuhren – unsere Lieferungen nach Norden?«
»Könnte sein, daß Ihre Kunden ein paar Tage auf dem Trockenen sitzen müssen«, bescheidet Maxie ihn und wendet sich wieder Franco zu. »Ich habe außerdem gehört, Ihr verehrter General steht in Kontakt mit Mai-Mai-Milizen hier – zwischen Fizi und Baraka.«
»Was Sie gehört haben, ist möglich«, räumt Franco widerstrebend ein.
»Und im Norden um Walikale sind die Mai Mai ebenfalls stark.«
»Das sind militärische Geheimnisse.«
»Am fraglichen Tag möchte ich, daß die Mai Mai auf Bukavu vorrücken. Sie haben außerdem Milizen um Uvira. Die sollten zur Verstärkung herbeordert werden.«
Und wieder muß Haj unterbrechen. Will er Maxie aus dem Konzept bringen, oder ist es Zufall? Ich fürchte ersteres.
»Ich wüßte gern, mit Verlaub, wie sich der Colonel die Übernahme des Flughafens im einzelnen vorstellt. Gut, die Soldaten sind bekifft. Sie sind frustriert, und sie kriegen keinen Sold. Aber sie haben Knarren, und sie haben Spaß daran, Menschen zu erschießen.«
Maxie spricht betont kontrolliert und präzise. »Was ich mir vorstelle, ist eine kleine Truppe von Elitesöldnern in Zivil, die genügend Erfahrung und Disziplin hat, um unauffällig reinzuspazieren, ohne daß auch nur ein einziger Schuß fällt. So weit genehmigt?«
Haj läßt die gegelte Stirnlocke nicken. Er hat das Kinn in die Hand gestützt und beugt sich in einer übertriebenen Pose der Aufmerksamkeit über den Tisch.
»Entweder kommen sie in der Früh mit dem Personal rein, oder sie kreuzen Samstag abend auf, als Fußballmannschaft, die auf ein Spiel aus ist. Es gibt zwei Fußballplätze, das Bier fließt in Strömen, dazu kommen Frauen aus den umliegenden Dörfern – es geht also ziemlich lässig zu. In Ordnung?«
Wieder ein Nicken.
»Wenn sie erst mal drin sind, dann rennen sie nicht, sie gehen. Alles ganz locker. Sie passen auf, daß man ihre Knarren nicht sieht, lächeln, winken. Innerhalb von zehn Minuten haben wir den Tower, die Landebahn und das Munitionsdepot im Sack. Wir verteilen Zigaretten, Bier und Geld, klopfen den Jungs auf die Schultern, reden mit den Bossen, machen einen Deal. Soviel sie wissen, passiert nichts weiter, als daß wir den Flughafen inoffiziell mieten, um ein paar Ladungen Bergbauausrüstung einzufliegen, von denen der Zoll nichts wissen muß.«
Hajs Ton wird unnatürlich servil. »Bei allem Respekt vor dem überlegenen militärischen Können des Colonel, wie genau wird diese Truppe von Elitesöldnern sich zusammensetzen?«
»Alles Profis der Spitzenklasse. Südafrikaner, bei den Special Forces ausgebildet, handverlesen.«
»Schwarze, Monsieur le Colonel? Wenn ich fragen darf?«
»Zulus und Ovambos aus Angola. Veteranen, alle teamerprobt. Die besten Kämpfer der Welt.«
»Und wie viele, wenn ich fragen darf, Monsieur le Colonel?«
»Nicht mehr als fünfzig, nicht weniger als vierzig nach der derzeitigen Zählung.«
»Und wer wird diese ausgezeichneten Männer anführen?«
»Ich werde sie anführen. Persönlich. Ich selbst, wer denn sonst?« – die Sätze werden knapp und knapper – »Plus Anton hier. Plus ein paar alte Kameraden von mir.«
»Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Aber Monsieur le Colonel ist weiß.«
Maxie schiebt seinen rechten Ärmel hoch, und einen Moment lang glaube ich ernsthaft, gleich setzt’s was. Aber er besieht sich nur die Innenseite seines Unterarms. »Kruzitürken, der Mann hat recht!« ruft er, und die Runde bricht in erleichtertes Gelächter aus, in das Haj demonstrativ einstimmt.
»Und Ihre Kollegen, Monsieur le Colonel? Sind die auch weiß?« – als die Heiterkeit hinreichend abgeebbt ist.
»Wie Schnee.«
»Können Sie uns dann bitte erklären, wie eine kleine Gruppe von Fremden, alle schneeweiß, einen Überraschungsangriff auf den Flughafen Bukavu durchführen will, ohne ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit bei denen zu erregen, die diesbezüglich weniger vom Glück begünstigt sind?«