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Und ich bin ihm auf den Fersen. Ich bin ganz dicht an ihm dran. So dicht, daß ich ihn, wenn ich die Lider fest zukneife, mit meinem virtuellen Auge sehen kann. Wenn Haj weghüpft und Dieudonné hinter ihm herschnauft mit seinem stimmlosen Hüsteln, ist Salvo der Spitzendolmetscher mit seinem Kopfhörer und seiner Kladde gleich an ihrer Seite. Wenn Haj einen Satz nach hinten macht, erstarrt Dieudonné in der Bewegung, und ich erstarre mit. Noch eine Stufe höher, und Haj springt aufs Gras. Ich mit. Und Haj weiß, daß ich da bin. Ich weiß, daß er es weiß. Er spielt Ochs-am-Berg mit mir, und ich mit ihm. Er führt das Zebra lustig an der Nase herum, und das Zebra wiederum ihn, die Stufen auf und ab und immer schön im Kreis.

Was er nicht ahnt, ist, wie primitiv unser Abhörsystem ist. Er ist ein Mann der Moderne, und so, wie ich ihn kenne, ein Technik-Freak noch dazu. Er denkt, wir haben die ganze Palette: Richtmikrophone, Laser, Satellit und was es sonst noch an High-Tech-Spielzeug im Chatroom gibt, aber er täuscht sich. Und das hier ist nicht der Chatroom, Haj. Und Spiders Mikros sind ortsfest, selbst wenn du und ich und Dieudonné es nicht sind. Und Spiders System ist ein gutes altmodisches Kabelsystem, und das Zebra genießt es in vollen Zügen.

Mann gegen Mann also. Haj gegen Salvo, mano a mano, mit Dieudonné als ahnungslosem Dritten. Hajs Shi und Hajs Steptanz und Hajs Springen und Wegducken gegen Salvos messerscharfes Ohr. Die Krokosohlen klappern wie Holzpantinen auf Kopfsteinpflaster. Haj dreht Pirouetten, seine Stimme hüpft und taucht weg und taucht wieder auf, ein bißchen Shi, ein bißchen Kinyarwanda, vereinzelte Brocken Argot, damit’s nicht zu einfach wird. Ein einziger Satz kann aus drei verschiedenen Mikrophonen kommen, in drei verschiedenen Sprachen, und der Empfang ist so chaotisch wie der Mann selbst. Ich tanze auch, wenn auch nur im Kopf. Es ist ein Duell, zwei blanke Säbel dort oben auf den Stufen, und sooft Haj mir einen Moment zum Luftholen läßt, gebe ich hastig komprimierte Übersetzungen an Sam durch, während meine linke Hand den Schreibblock festhält und der Bleistift in meiner Rechten zu Hajs Weise übers Papier tanzt.

Kein Grund zu schreien, Brian, mein Lieber. Wir hören Sie sehr gut.

Die Aufnahme geht über neun Minuten, was zwei Drittel der Pause sind. Das Zebra wird in seinem Leben keine bessere Beute machen.

* * *

Haj: Wie krank bist du denn nun? (Kroko-Stakkato, zwei Stufen hoch, drei wieder hinunter, stop. Jähe Stille) Sehr? (Keine Antwort. Neuerliches Stakkato. Stop) Ehefrauen auch? Und die Kinder? (Nickt Dieudonné? Offenbar ja) Schöne Scheiße. Und wie lang hast du noch? (Keine Antwort) Irgendeine Ahnung, wo du’s dir geholt hast?

Dieudonné: Bei einer Frau. Was dachtest du denn?

Haj: Wann?

Dieudonné: Achtundneunzig.

Haj: Im Krieg achtundneunzig?

Dieudonné: Was sonst?

Haj: Im Kampf gegen die Ruander?

(Vermutlich ein weiteres Nicken)

Haj: Er kämpft, er fickt, alles für die eine wahre Demokratische Republik Kongo! Heilige Scheiße! Hat dir schon irgendwer gedankt?

Dieudonné: Daß ich mir die Seuche geholt habe?

Haj: Daß du in einem weiteren sinnlosen Krieg mitgekämpft hast, Mann. (Tanzt die Stufen hoch und wieder hinunter) Scheiße. Mist. (Noch mehr gedämpfte Flüche) Dieses No-name-Syndikat will dich um jeden Preis, das ist dir klar? (Nicht zu verstehen) Die Banyamulenge haben die besten, diszipliniertesten, motiviertesten Krieger, die besten Bodenschätze … Gold und Coltan auf dem Plateau … und ihr baut sie nicht mal ab, weil ihr eure Scheißkühe so liebhabt!

Dieudonné: (Unter Husten, aber in extrem ruhigem Ton) Dann werden wir unsere Bedingungen diktieren. Wir werden zum Mwangaza gehen und zu ihm sagen: Erst gibst du uns alles, was du uns versprochen hast, sonst kämpfen wir nicht für dich. Sonst kämpfen wir gegen dich. Das werden wir sagen.

Haj: Dem Mwangaza? Du denkst, der Mwangaza hat hier was zu melden? Unser ach-so-tapferer Held! Unser strahlender Lichtbringer … unser selbstloser Freund der Armen! Dem Kerl gehört in Spanien die ärmlichste Zehn-Millionen-Dollar-Villa, die die Welt je gesehen hat. Frag meinen Vater … Plasmabildschirme in jedem verdammten Klo … (Wildes Sohlengeknatter, Worte extrem verzerrt, dann wieder klarer. Leise, kontrapunktisch zu dem Krach von eben) Dieu-donné. Hör mir zu. Du bist ein guter Mensch. Ich bin dein Freund.

Dieudonné: (Unverständlich)

Haj: Du stirbst nicht. Ich will nicht, daß du stirbst. Verstanden? Abgemacht? Du stirbst nicht, und die Banyamulenge sterben auch nicht. Es muß Schluß sein mit dem Sterben. Völlig egal, ob durch Krieg oder Hunger oder Kriegsfolgen oder die Seuche. Wenn ihr sterbt, dann bitte an zu viel Bier. Versprochen?

Dieudonné: (Bitteres Lachen) Zu viel Bier und zu viele antiretrovirale Mittel.

Haj: Wenn es nach mir geht, hat überhaupt niemand im Kongo zu sterben, außer ruhig und friedlich an Bier. Du schwitzt ja wie ein Schwein, Mann. Komm, setz dich hin.

Der Empfang wird besser. Anton meldet über Sam, daß Dieudonné auf einer steinernen Bank unter einer Buche ein Stück unterhalb des Pavillons Platz genommen hat. Haj umtänzelt ihn in einem Radius von zwei bis drei Metern. Aber mich schüttelt er nicht ab.

Haj: … die Ruander sind stärker als wir, und das weißt du … stärker als die … Banyamulenge, stärker als diese Paviane von Mai Mai (Affengrunzen) … stärker als ganz … Kivu zusammen … oder? Sag, daß es so ist.

Dieudonné: Es ist möglich.

Haj: Das ist nicht nur möglich, das ist eine Tatsache, wie du sehr gut weißt. Hör mir zu (Kommt ganz nah an Dieudonné heran und spricht ihm eindringlich ins Ohr – gestochen scharfer Empfang, vermutlich über ein Mikrophon in den Ästen der Buche) … Ich liebe meinen Vater. Ich bin Afrikaner. Ich ehre ihn. Hast du noch einen Vater? … Gut, das heißt, daß du seinen Geist ehrst. Du redest mit seinem Geist, du gehorchst seinem Geist, du läßt dich von ihm leiten. Meiner lebt, verstehst du? Drei Frauen und so viele Nutten, wie er kriegen kann. Besitzt ein Stück von Goma und einundfünfzig Prozent von mir, und die Ruander schnappen ihm die Geschäfte weg, glaubt er jedenfalls.

Anton meldet via Sam, daß Haj abwechselnd hinter dem Buchenstamm verschwindet und wieder hervorspringt. Der wechselhafte Empfang bestätigt dies.

Haj: Vor ein paar Monaten bestellt er mich zu sich, ja? … ernster Anlaß, hm, hm … Büro, nicht daheim … will wohl … Frauen durchs Schlüsselloch gucken … mir von diesem großartigen neuen Pakt für Kivu zu erzählen, bei dem er mitmischt, und daß sein alter Kumpel der Mwangaza noch vor den Wahlen an die Macht gebracht werden soll, weil Wahlen nur Bürgerkrieg bedeuten, und der Mwangaza wird alle, die er nicht leiden kann, zum Teufel jagen und alle, die er leiden mag, reich machen, und das Volk wird er auch reich machen, weil er dieses wunderbare philanthropische Syndikat hinter sich stehen hat, das Geld wie Heu hat und all diese hehren Absichten und die Knarren und die Munition. Klingt super, sage ich ihm. Klingt wie König Leopold, als der in den Kongo kam. Worauf er natürlich an die Decke gegangen ist. Also warte ich, bis er sich abgeregt hat, was einen Tag dauert … (bricht ab, kommt zurück) … in der Zwischenzeit was Übles raus. Was Megaübles … Ich hör mich ein bißchen um, bei ein paar fiesen Typen, die ich zufällig kenne … in Kinshasa … Vater würde mich umbringen, wenn er wüßte, daß … Typen, zu denen man lieber höflich sein sollte, wenn man am nächsten Morgen nicht tot aufwachen will … (völlig unverständlich) … was sie mir gesagt haben, diese fiesen Typen? … unter der Auflage striktester Geheimhaltung, gegen die ich hiermit verstoße? Kinshasa steckt mit drin in dem Deal. Kinshasa spielt seinen Part bei der Sache … den allerdreckigsten Part …

Perfekter Ton jetzt. Sam berichtet, daß Haj und Dieu-donné nebeneinander auf der Bank sitzen, nur zwei Meter vom nächsten Mikrophon entfernt, und nirgendwo ein Lüftchen, das sich regt. Haj: Also gehe ich wieder zu meinem Vater, und ich sage zu ihm: Vater, ich liebe dich, und ich bin dir dankbar, daß ich auf deine Kosten meine kleinen grauen Zellen zu benutzen lernen durfte, und ich respektiere die Redlichkeit deiner Motive in bezug auf den Mwangaza und den Ostkongo. Laß mich dir darum in meiner Eigenschaft als professioneller Problemlöser mitteilen, daß du aus zwei Gründen ein Riesenarschloch bist. Erstens, weil du und der Mwangaza euch unter Wert an diese No-names verkauft habt, und zwar nach meiner Schätzung ungefähr tausend Prozent unter Wert. Grund Nummer zwei, nimm’s mir nicht übel, aber wer braucht verdammt noch mal einen neuen Krieg? Du und ich, wir sind wirtschaftlich völlig von Ruanda abhängig. Ruanda befördert unsere Waren in den Rest der Welt. Für alle außer uns Kongolesen wäre das die Basis einer profitablen, friedlichen Geschäftspartnerschaft, nicht ein Grund, einander die Frauen und Kinder abzuschlachten oder einen unerprobten tatterigen Anführer ins Amt zu hieven, der, eure Freundschaft in allen Ehren, den Kongo von allem zu säubern gedenkt, was auch nur nach Ruanda riecht. Erzähle ich ihm was von meinen bösen Freunden in Kinshasa? Den Teufel tu ich. Aber ich erzähle ihm von meinem guten und vor allen Dingen dicken Freund Marius, der Holländer ist und in Paris mit mir studiert hat.