Der Empfang reißt für eine Weile ganz ab. Sams Team meldet, daß das Paar sehr langsam über den Rasen hinterm Pavillon geht. Empfang extrem schlecht.
Haj: … vierzig Jahre alt … (zwei Sekunden unverständlich) … haufenweise Gelder von institutionellen Anlegern … in Afrika[?], Vizepräsident von … (sieben Sekunden unverständlich) … Also sage ich zu meinem Vater … (vier Sekunden unverständlich) … mir zugehört … daß ich die größte Enttäuschung seines ganzen Lebens bin … eine Schande für unsere Vorfahren … wollte von mir wissen, wo er diesen Marius finden kann, damit er ihm … daß die Schließung der Grenzen nach Ruanda die einzig sinnvolle Lösung für die Probleme in der Welt ist … was er eben so sagt, wenn man nicht merken soll, daß er umschwenkt.
Kreischen von Metall, Seufzen von Schaumstoffkissen, dann ist der Ton plötzlich glasklar. Sam gibt durch, daß die beiden jetzt in einem Windfang mit Blick aufs Meer sitzen. Hajs Stimme klingt drängend, ungestüm fast.
Haj: Also setzt sich mein Vater in sein Flugzeug und fliegt zu Marius rüber nach Nairobi. Luc mag Nairobi. Kennt eine spitzenmäßige Nutte da. Und er mag Marius. Pafft ein paar Zigarren mit ihm. Und Marius mag Luc auch. Und Marius sagt ihm, was für ein Arschloch er ist. »Genauso hat Ihr Schlitzohr von Sohn Sie mir beschrieben«, sagt er, »als einen klugen, aufrechten Mann. Und Sie und Ihr Mwangaza wollen die Ruander aus Kivu vertreiben und Schluß machen mit der Ausbeutung, was an und für sich ein guter Plan ist, bis auf einen kleinen Schönheitsfehler. Meinen Sie ernsthaft, die Ruander würden euch nicht die Hucke vollhauen und sich mit Zins und Zinseszins alles zurückholen, was ihr ihnen wegnehmt? Haben sie das nicht noch jedesmal so gemacht? Warum handelt ihr also nicht richtig clever und springt über euren Schatten? Statt die Ruander zum Teufel jagen zu wollen, schaut euch im Spiegel an, setzt euer breitestes Lächeln auf und seid nett zu ihnen! Ihr seid Geschäftspartner, ob es euch paßt oder nicht, also macht doch einfach gute Miene dazu. Dann investiert meine Firma womöglich in Ihren Laden oder übernimmt ihn, und wir holen ein paar aufgeweckte junge Männer wie Ihr Schlitzohr von Sohn ins Boot, stellen uns gut mit Kinshasa, und statt drei Millionen Toten gibt es vielleicht so was wie eine friedliche Koexistenz.«
Dieudonné: (Nach langem Nachdenken) Ist dein Vater mit diesem Mann ein Bündnis eingegangen?
Haj: Er ist Luc, verdammt noch mal. Der beste Pokerspieler von ganz Goma. Aber ich sag dir was. Dieser Sack von Holländer hatte völlig recht. Denn wenn die Ruander tatsächlich zurückkommen, was bringen sie dann mit? Die ganze gottverfluchte Katastrophe. Wie beim letzten Mal, nur schlimmer. Die Angolaner, die Simbabwer und alle die anderen, die uns hassen wie die Pest und hinter unseren Rohstoffen her sind. Und wenn das passiert, vergiß den Friedensprozeß, vergiß den internationalen Druck, vergiß die Wahlen, weil die Banyamulenge dann nämlich zu Tausenden abkratzen, was ihr armen Schweine ja eh am besten könnt. Aber ohne mich. Denn ich hab mich dann nach Paris abgesetzt und lache mir ins Fäustchen.
Bleiben Sie ganz ruhig, Brian, mein Lieber. Die Rettung naht schon.
* * *
»Ist das Pitman, alter Junge? Sieht für mich eher nach ’ner Rolle Stacheldraht aus.«
Maxie steht in bester Bogey-Manier über mich gebeugt, beide Hände auf meine Armlehnen gestützt, und späht hinunter auf meine babylonische Keilschrift, wie Mr. Anderson sie nennt. Spider ist verschwunden, von Maxie seiner Wege geschickt. Philip im roséfarbenen Hemd mit roten Hosenträgern lehnt im Türrahmen. Ich fühle mich beschmutzt und weiß nicht, warum. Als hätte ich mit Penelope geschlafen, wenn sie eins ihrer Wochenendseminare hinter sich hat.
»Meine Spezialmischung, Skipper«, erwidere ich. »Ein bißchen Schnellschrift, ein bißchen Steno und jede Menge Eigenfabrikat« – was ich allen meinen Klienten sage, denn das habe ich inzwischen gelernt: Wenn man sie auf die Idee bringt, Dolmetschernotizen könnten Aktenmaterial sein, landet man nur vor Gericht oder sonstwie in Teufels Küche.
»Würden Sie’s uns noch mal vorlesen, alter Junge?«
Ich lese es ihnen vor wie befohlen. Auf Englisch, nach meinen Aufzeichnungen wie beim letzten Mal auch schon, unter Auslassung keines noch so winzigen Details und so weiter und so fort. Maxie und Philip machen mich fuchtig, auch wenn ich mich hüte, es zu zeigen. Ich habe ihnen gesagt, daß wir ohne Mr. Andersons hochentwickelten Sound Enhancer die ganze Nacht dasitzen können, aber das schreckt sie nicht, o nein. Sie wollen partout den O-Ton aus meinem Kopfhörer hören, sinnloserweise, schließlich sprechen sie beide kein Wort in einer der Unterwassersprachen. Die Stelle, auf die sie sich eingeschossen haben, sind die sieben unverständlichen Sekunden gleich nach der ersten Erwähnung des dicken zigarrenrauchenden Holländers, und wenn schon ich nicht schlau daraus werde, warum sollten dann sie es?
Ich gebe Philip meinen Kopfhörer – vielleicht möchten sie ihn sich ja teilen, denke ich, aber nein, Philip reißt ihn sich ganz unter den Nagel. Er hört sich die Passage einmal an, er hört sie sich dreimal an. Und jedesmal nickt er Maxie wissend zu. Dann reicht er den Kopfhörer Maxie und befiehlt mir, das Stück noch ein weiteres Mal vorzuspielen, und schließlich nickt Maxie wissend zurück, was nur bestätigt, was ich die ganze Zeit schon argwöhne: Sie wissen, wonach sie suchen, und haben es mir nur nicht gesagt. Und nichts läßt einen Spitzendolmetscher dümmer dastehen, dümmer und nutzloser, als von einem Auftraggeber unvollständig informiert worden zu sein. Außerdem ist es mein Band, nicht ihres. Meine Trophäe. Ich war es, der es Haj abgerungen hat, nicht sie. Ich habe mit Haj darum gekämpft, es war unser Duell.
»Ganz große Klasse, alter Junge«, versichert Maxie mir.
»War mir ein Vergnügen, Skipper«, antworte ich artig. Aber im stillen denke ich: Spar dir die Schulterklopferei, so was hab ich nicht nötig, auch nicht von dir.
»Absolut genial«, schnurrt Philip.
Dann sind sie beide weg, obwohl ich nur ein Paar energischer Schritte auf den Stufen höre, denn Philip, ja, Philip ist ein lautloser Berater, und es würde mich nicht wundern, wenn er auch keinen Schatten hätte.
* * *
Eine lange Zeit, so kam es mir vor, saß ich danach einfach nur da. Ich nahm meinen Kopfhörer ab, wischte mir mit dem Taschentuch das Gesicht, setzte den Kopfhörer wieder auf, und nachdem ich eine Weile mit dem Kinn in der Faust gebrütet hatte, spielte ich mir den Sieben-Sekunden-Happen ein x-tes Mal vor. Was hatten Maxie und Philip gehört, das man mir nicht anvertrauen konnte? Ich spulte langsamer, ich spulte schneller und war immer noch nicht klüger als zuvor. Drei oder vier Takte mit einem u am Anfang, dann ein Drei- oder Vier-Silbenwort mit -ère oder -aire am Ende, und mir wären aus dem Stand ein Dutzend Wörter eingefallen, die gepaßt hätten: débonnaire, légionnaire, militaire, jegliches Air, das irgend jemand anstimmen mochte. Und danach ein Hiatus, gefolgt von einem ak wie in attaque.