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Ich nahm den Kopfhörer erneut ab, vergrub das Gesicht in den Händen und flüsterte in das Dunkel. Was ich flüsterte, weiß ich nicht mehr. Ganz gewiß fühlte ich mich da noch nicht als Verräter. Einräumen will ich allenfalls ein Mißbehagen, das zu ergründen ich keinerlei Ehrgeiz hatte. Ich war erledigt nach meinem Zweikampf mit Haj, ausgepumpt und unbefriedigt, nun da die Spannung nachließ. Ich überlegte sogar, ob unser Duell möglicherweise nur eine Ausgeburt meiner Phantasie war, bis mir der Argwohn wieder einfiel, den Haj schon beim Betreten der Gästesuite gezeigt hatte. Dabei befand ich mich – obwohl Penelopes Busenfreundin Paula das sicherlich anders sähe – nicht in der Ve r d r ä n g u n g s p h a s e . Es gab für mich ja noch gar keine Wahrheit, die ich hätte verdrängen können.

Wenn ich in irgendeiner Form versagt zu haben meinte, dann vor mir selbst. Ich hatte mich enttäuscht, so beschrieb ich – auf dem unstreitigen Tiefpunkt meiner Stimmungskurve an diesem folgenschweren Tag – Hannah über den Äther hinweg meinen Zustand.

Sam? Ich bin’s, Brian. Was tut sich so?

Gar nichts tut sich. Sam ist nicht auf ihrem Posten. Ich hatte auf ein wenig weibliche Anteilnahme gehofft, aber alles, was durch den Kopfhörer zu mir dringt, sind plaudernde Männerstimmen im Hintergrund. Nicht mal ihr Mikro hat sie abgeschaltet, was ich als reichlich fahrlässig empfinde. Ich schaue auf Tante Imeldas Uhr. Die Pause wird offenbar überzogen. Hajs lückenhafter Bericht über Lucs Flirt mit einem Konkurrenzunternehmen, das von einem zigarrenrauchenden holländischen Fettsack geleitet wird, scheint alles gründlich durcheinandergewirbelt zu haben. Geschieht ihm recht, was nennt er mich auch Zebra. Spider ist immer noch nicht wieder aufgetaucht. Es gibt zu vieles an den Örtlichkeiten hier, über das man mich im dunkeln läßt. Wo das Lagezentrum ist, zum Beispiel. Oder von wo aus Antons Überwachungsteam agiert. Wo Jasper sich herumdrückt. Wo Benny ist. Aber wozu sollte man mich denn auch aufklären? Ich bin ja nur der Dolmetscher. Alle müssen im Bilde sein, nur ich nicht.

Ich werfe einen Blick auf den U-Bahn-Plan. Haj und Dieudonné haben sich getrennt. Armer Dieudonné, ganz allein in der Gästesuite. Auf ein rasches Gebet im Zweifelsfall. Haj hat sich in den Pavillon zurückverfügt, den Schauplatz seines vermeintlichen Triumphs. Wenn er nur wüßte! Ich sehe ihn vor mir, wie er dasteht und aufs Meer hinausglupscht, hochzufrieden mit sich, daß er dem Mwangaza einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Francos Lämpchen leuchtet nicht. Immer noch am Kungeln mit dem Mwangaza vermutlich. Tabu. Nur fürs Archiv.

Ich brauche Geräusche. Ich mag diese anklagenden Stimmen nicht, die sich in meinem Kopf erheben, allen voran Hannahs Stimme. Ich muß mir hier keine Kritik gefallen lassen. Ich habe mein Bestes getan, um meine Auftraggeber zufriedenzustellen. Was hätte ich denn machen sollen? So tun, als hätte ich Haj nicht verstanden? Es einfach alles unterschlagen? Ich habe einen Auftrag, und ich werde dafür bezahlt. In bar. Selbst wenn es ein Hungerlohn ist im Vergleich zu dem, was Jasper bekommt. Ich bin Dolmetscher. Die Leute reden, ich übersetze. Ich höre nicht auf zu übersetzen, wenn sie das Falsche sagen. Ich zensiere nicht, ich redigiere, falsifiziere und fabriziere nicht, wie so einige meiner Kollegen es tun. Ich übersetze eins zu eins. Nur deshalb bin ich ja Mr. Andersons Liebling. Nur deshalb bin ich ein Genie auf meinem Gebiet. Ob Wirtschaft oder Recht, zivil oder militärisch: Ich übersetze alle gleichwertig und unparteiisch, ohne Ansehen von Farbe, Rasse oder Religion. Ich bin die Brücke, Amen und Ende.

Ich versuche es wieder bei Sam. Immer noch nicht am Platz. Das Hintergrundgemurmel im Lagezentrum ist verstummt. Statt dessen höre ich dank Sams Nachlässigkeit Philip. Er spricht so deutlich, daß ich mithören kann, was er sagt. Mit wem er redet, ist unklar, und seine Stimme hallt von mindestens einer Wand wider,

aber das tut nichts. Meine Sinne sind noch so in Aufruhr von dem Duell mit Haj, daß eine Fliege nur in meinen Kopfhörer zu husten brauchte, und ich wüßte ihr Alter und Geschlecht. Allerdings hat seine Stimme so wenig gemein mit der Hochglanzversion, die ich bisher kannte, daß ich die ersten Sekunden fast an meiner Wahrnehmung zweifle. Er spricht mit Mark, und nach Philips herrischem Ton zu schließen, ist Mark ein Untergebener.

Philip: Ich will wissen, wer sein Arzt ist, wie die Diagnose lautet, welche Behandlung der Patient bekommt, wenn überhaupt, wann mit seiner Entlassung zu rechnen ist, wenn überhaupt, wen er an seinem Krankenbett empfängt und wer außer seinen Ehefrauen, Geliebten und Leibwächtern noch bei ihm ist … Nein, ich weiß nicht, in welchem Scheißkrankenhaus er liegt, Mark, das ist dein Job, dafür wirst du bezahlt, du bist unser Mann vor Ort. Verdammt, wie viele Herzzentren gibt es in Kapstadt denn schon, Himmelherrgott?

Ende des Gesprächs. Top-Berater haben Wichtigeres zu tun, als sich zu verabschieden. Philip muß jetzt Pat sprechen. Er hat die nächste Nummer gewählt, und als die Verbindung da ist, fragt er nach Pat.

Philip: Name ist Marius, Holländer, dick, um die Vierzig, raucht Zigarren. Er war vor kurzem in Nairobi, und soweit ich weiß, ist er immer noch dort. Er hat in Paris Volkswirtschaft studiert, und er vertritt unsere alten Freunde von der Union Minière des Grands Lacs. Was ist der Mann sonst noch? (Neunzig Sekunden, während derer nur ein gelegentliches Hm signalisiert, daß Philip zuhört und sich Notizen macht, so wie ich auch. Schließlich:) Tausend Dank, Pat. Großartig. Genau, was ich befürchtet habe, nur schlimmer. Exakt, was wir jetzt nicht hören wollten. Ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet. Wiedersehen.

Jetzt haben wir also des Rätsels Lösung. Nicht débonnaire oder légionnaire oder militaire, sondern Minière, und nicht attaque, sondern Lacs. Haj hat von einem Bergbaukonsortium gesprochen, dessen afrikanischer Repräsentant der dicke Holländer ist. Mein Blick fällt auf Spider, der auf der anderen Seite seines Lochschienenregals steht und die Spulen überprüft, Bänder auswechselt und neu etikettiert. Ich mache ein Ohr frei und lächle, um nicht ungesellig zu wirken.

»Sieht so aus, als würde es heute mittag rundgehen, Brian – dank Ihnen«, sagt Spider mit geheimnisvollwalisischem Tatendurst. »Jede Menge Aktivitäten geplant, so und auch so.«

»Was für Aktivitäten denn?«

»Na, das werd ich doch wohl nicht ausplaudern! Nie ein Geheimnis preisgeben, sagt Mr. Anderson, schon vergessen? Da zieht man immer den kürzeren bei.«

Ich setze den Kopfhörer wieder auf und vertiefe mich in den U-Bahn-Plan. Das lila Lämpchen des Mwangaza plinkert mir zu wie eine Einladung ins Bordell. Mach schon, Salvo. Was hält dich zurück? Die Hausordnung! Tabu, es sei denn, Philip persönlich gibt mir grünes Licht. Fürs Archiv, nicht für den Einsatz. Wir zeichnen auf, aber wir hören nicht rein. Zebras müssen draußenbleiben. Wenn also ich nicht befugt bin, wer dann? Mr. Anderson, der überhaupt keine Sprache spricht außer seinem knorrigen Nordenglisch? Oder das No-name-Syndikat, wie Haj es genannt hat? Hören die No-names mit? Nur so zum Zeitvertreib? Bei Portwein und Havannas in ihrer Steuerfestung auf den Kanalinseln?

Denke ich wirklich so ketzerisch? Hat Hajs Aufwieglertum heimlich doch Früchte getragen? Schlägt mein afrikanisches Herz lauter, als mir bewußt ist? Oder ist es Hannahs Herz, das hier schlägt? Wenn nicht, warum bewegt meine Rechte sich dann mit der gleichen Zielsicherheit wie neulich, als sie Penelopes Coq au Vin in den Abfallhäcksler befördert hat? Ich zögere, aber nicht, weil mein Gewissen sich in letzter Sekunde zu Wort meldet. Wenn ich auf den Knopf drücke, heult dann im ganzen Haus der Alarm los? Blinkt das lila Lämpchen auf dem U-Bahn-Plan SOS? Kommen Antons schwere Jungs die Kellertreppe runtergedonnert und stürzen sich auf mich?