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Sicherheitshalber schaltete ich in die Bibliothek zurück, während ich mich zu fassen versuchte. Der Mwangaza stellte die Veröffentlichung einer Auswahl seiner Gedanken zur Demokratie in Afrika in Aussicht. Am Nebentisch fachsimpelten Philip, Maxie und Dieu-donné über Bewässerungsmethoden. Ein paar irrwitzige Sekunden lang redete ich mir ein, ich hätte mir den Schrei nur eingebildet, aber sehr überzeugend kann ich nicht gewesen sein, denn im nächsten Atemzug war ich schon wieder im Salon des Mwangaza.

Und hier gönne ich mir den Luxus des Vorgreifens, denn ich mußte noch etliche weitere Schreie über mich ergehen lassen, bevor ich die übrigen dramatis personae hinlänglich ermittelt hatte. So hatte ich schon früh festgestellt, daß, obwohl mehrere Paar Füße im Einsatz zu sein schienen – zwei Paar hochaktiver Gummisohlen auf hartem Boden sowie ein Paar leichter Ledersohlen, die ich probeweise dem katzenhaften Tabizi zuordnete –, jedes Klacken von Krokoschuhen fehlte, woraus ich schloß, daß Haj entweder irgendwie überm Boden hing oder aber schuhlos war, wenn nicht beides. Dennoch bedurfte es noch einiges mehr an Dialog zwischen Haj und seinen Peinigern, bis ich mit Gewißheit sagen konnte, daß er gefesselt und, zumindest von der Taille abwärts, nackt war.

Die Schreie, die ich hörte, waren zwar dicht am Mikrophon, aber leiser und quiekender als zunächst gedacht, gedämpft durch ein Handtuch oder dergleichen, das gelüftet wurde, wenn Haj signalisierte, daß er etwas von Interesse zu sagen hatte, und ihm wieder in den Mund gestopft wurde, wenn die Antwort enttäuschte. Allem Anschein nach machte Haj für den Geschmack seiner Peiniger etwas zu oft von diesem Signal Gebrauch, wodurch es mir vergönnt war, erst Benny zu identifizieren – »Probier das noch mal, und ich schmor dir die Eier weg« – und gleich nach ihm Anton, der Haj in Aussicht stellte, ihm »das da« in den Arsch zu schieben.

Was war das da?

Wir hören so viel über Folter dieser Tage, debattieren so viel darüber, ob Geräuschentzug, Wasserkur und Säcke überm Kopf darunterfallen oder nicht, daß nur wenig der Phantasie überlassen bleibt. Das da wurde elektrisch betrieben, so viel war schnell klar – da war zum einen Antons Drohung, ein bißchen mehr Saft zu geben, und dann der Moment, wo Benny Tabizi grob anfuhr, weil der über die Scheiß-Strippe gestolpert war. War das da also ein Elektroschocker? Ein Paar Elektroden? Wenn ja, lautete die Anschlußfrage: Wie waren sie an das da herangekommen? Hatten sie es als Teil ihrer Standardausrüstung mitgebracht, nur für alle Fälle – so wie andere Menschen an einem bewölkten Tag mit Regenschirm aus dem Haus gehen? Oder hatten sie es spontan zusammengebastelt – aus einem Stück Kabel hier, einem Umspanner da, einem Dimmerschalter, einem alten Schürhaken, und los geht’s?

Und wenn das zutraf, wer hatte ihnen dann am ehesten zur Seite gestanden mit seinem Technikverstand und Geschick? – weshalb ich selbst im tiefsten Inneren Aufruhr Muße fand, mir Spiders Lächeln noch einmal anzusehen. Es lag ein unübersehbarer Schöpferstolz darin. War er deswegen von seinem Posten wegbeordert worden? Damit er den Jungs mit den Sachen aus seinem Werkzeugkasten einen Elektroschocker baute? Einen seiner berühmten Muntermacher, mit dem man im Nu Herz und Verstand noch des störrischsten Gefangenen erobert? Wenn, dann hatte die Aufgabe ihm jedenfalls nicht den Appetit verdorben, denn er kaute herzhaft.

Ich habe nicht den Ehrgeiz, hier mehr wiederzugeben als den groben Verlauf von Tabizis Befragung und Hajs vergeblichem Leugnen, welches mit dankenswerter Geschwindigkeit zur Beichte verkam. Die kehligen Drohungen und Flüche auf der einen, das Schreien, Schluchzen und Flehen auf der anderen Seite mag sich jeder selbst ausmalen. Tabizi war eindeutig kein Neuling im Foltern. Seine lakonischen Drohungen und theatralischen Wutausbrüche, durchsetzt mit Anfällen des Bettelns und Schmeichelns, sprachen von langjähriger Übung. Und Haj war, trotz seiner anfänglichen Rebellenpose, mitnichten ein Stoiker. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß er sehr lange durchhalten würde unter der Peitsche.

Erwähnenswert auch, daß Tabizi nichts unternahm, um seine Quelle zu schützen: mich. Er zog seine Informationen ungeniert aus dem Duell auf der Treppe zum Pavillon und sparte sich all die üblichen Verrenkungen zur Verschleierung ihres Ursprungs, diese verschämten Verweise auf »reguläre und bewährte Informanten« oder »verläßliche Kanäle«, mit denen Mr. Andersons Schreibtischbeamten ihre Berichte verunklaren. Nur ein Folterer, dessen Opfer nie wieder das Licht des Tages erblicken, geht so sorglos zu Werke.

Als erstes erkundigt sich Tabizi in seinem rauhen Französisch nach dem Gesundheitszustand von Hajs Vater Luc.

Schlecht. Ganz schlecht. Liegt im Sterben.

Wo ?

Krankenhaus.

Krankenhaus wo?

Kapstadt.

Wel ch es ?

Haj drückt sich vorsichtig aus, und das mit gutem Grund. Er lügt. Sie haben ihm eine Kostprobe des Elektroschockers angedeihen lassen, aber offenbar keine ausreichende. Tabizi fragt noch einmaclass="underline" Welches Krankenhaus in Kapstadt? Seine Schuhe klappern rastlos. Vor meinem inneren Auge sehe ich ihn Haj umkreisen, während er seine Fragen herausbellt – vielleicht gelegentlich selber mit anpackt, aber im wesentlichen überläßt er die Sache seinen beiden Gehilfen.

Tabizi: Dann ist Luc also in gar keiner Scheiß-Klinik, oder … oder … oder? … Okay. Also ist es eine Lüge … auf wessen Mist gewachsen? Lucs? … Deinem eigenen? … und wo ist Luc jetzt … Wo ist er? … Wo ist Luc? … Wo Luc ist, habe ich gefragt! … In Kapstadt, na siehst du. Nächstes Mal spar dir das Theater. Luc ist also in Kapstadt, aber nicht in der Klinik. Was macht er da? Lauter! … Golf … entzückend. Und mit wem spielt er Golf? Mit dem dicken Herrn aus Holland? … Er spielt Golf mit seinem Bruder! … Dem Bruder von dem dicken Holländer oder seinem eigenen? … Seinem eigenen Bruder … rührend … und wie heißt dieser Bruder? … Étienne? … Dein Onkel Etienne? … Älter oder jünger? … Jünger … Und wie heißt gleich wieder der Holländer? … Ich habe gesagt, der Holländer … ich habe gesagt, der Holländer … der dicke Holländer, von dem wir gerade geredet haben … der Holländer, mit dem dein Vater heute nicht Golf spielt … der dicke Holländer, der mit dir in Paris studiert hat, der mit den Zigarren … Fällt’s dir jetzt wieder ein? … fällt’s dir jetzt wieder ein? … Der dicke Holländer, mit dem sich dein Vater in Nairobi getroffen hat, dank deiner Vermittlung, du kleiner Scheißer … Reicht’s dir immer noch nicht? … Sollen die Jungs mal bis zum Anschlag aufdrehen, damit du weißt, wie sich das anfühlt? … Marius … Marius heißt er also … Marius, und wie noch? … Laßt ihn mal kurz Luft holen, daß er reden kann … Gut, nein, laßt ihn nicht Luft holen, dreht hoch, bis … van Tonge … er heißt Marius van Tonge. Und was macht Marius van To nge beruflich ? … Risikokapital … einer von fünf Partnern … Na schau, ist doch gar nicht so schwer, mach einfach weiter so, hör auf, mich zu verscheißern, und wir drehen ein klein bißchen runter … nicht zu viel, damit du nicht vergißt, wie’s geht … Dieser Marius hat dich also hergeschickt, damit du uns ausspionierst? … Du spionierst für Marius … du spionierst für das fette Holländerschwein, er zahlt dir einen Haufen Geld, damit du ihm alles steckst, was wir hier besprechen … stimmt’s? … Stimmt’s? … Stimmt’s? Nein! Er sagt nein. Mal angenommen, das ist die Wahrheit … angenommen, du spionierst nicht für Marius, dann spionierst du für Luc, gib’s zu. Du bist Lucs Spion, und wenn du heimkommst, erzählst du alles brühwarm deinem Papi, und der läuft damit schnurstracks zu Marius und schlägt noch einen besseren Deal raus … auch nein? … Auch nein … auch nein … immer noch nein? … Immer noch nein? … Schlaf mir nicht ein hier … glaub nicht, daß dich jemand hier schlafen läßt … mach die Augen auf … wenn du in fünfzehn Sekunden nicht die Augen offen hast, dann wecken wir dich, wie du in deinem ganzen Leben nicht geweckt worden bist … Schon besser … viel besser … Gut, dann bist du also aus eigenem Antrieb hergekommen … du bist dein eigener Herr … dein Papi spielt mit und stellt sich krank, damit du aus eigenem Antrieb herkommen konntest … du willst was nicht? … Krieg! … Du willst keinen neuerlichen Krieg … du glaubst an Versöhnung mit Ruanda … du willst ein Handelsabkommen mit Ruanda … wann? Im nächsten Jahrtausend? (Lachen) … Du willst einen gemeinsamen Markt für sämtliche Nationen der Großen Seen … und Marius als der ehrliche Makler dabei … das glaubst du allen Ernstes … na dann, gratuliere. (Auf Englisch) Gib ihm einen Schluck Wasser … So, und jetzt erzähl uns noch ein bißchen was über diese bösen Freunde von dir in Kinshasa, die Lügengeschichten über den Mwangaza verbreiten. Du hast keine bösen Freunde … du hast überhaupt keine Freunde in Kinshasa … niemand in Kinshasa hat mit dir gesprochen … Typen, die dafür sorgen könnten, daß du am nächsten Morgen als toter Mann aufwachst … Tja, dann Wach jetzt auf, du kleiner … (Wieder in gebrochenem Englisch): Ze ig ’s ihm, Benny, zeig’s ihm so richtig … diesem Nigger … diesem verdammten, dreckigen Scheißnigger …