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Rascheln, ein Blatt Papier wird auseinandergefaltet.

Haj: (Auf Englisch, wohl eine der wenigen Wendungen, die er beherrscht) Fuck off.

Philip: Die Union Minière des Grands Lacs ist zu hundert Prozent im Besitz eines niederländischen Multis mit Sitz auf den Antillen. Habe ich Ihre Aufmerksamkeit? Gut. Und der Name des Multis ist – ja?

Haj: (Undeutlich grummelnd) Hogen[?]

Philip: Und die Geschäftsmaxime?

Haj: Handel statt Krieg.

Ph: Aber wem gehört Hogen? Dem sind Sie nicht nachgegangen. Eine Stiftung in Liechtenstein ist Eigner von Hogen, und unter normalen Umständen wäre das das Ende der Fahnenstange. In diesem besonderen Fall allerdings haben wir das Glück, Ihnen eine komplette Besetzungsliste vorlegen zu können.

Die Namen, die er vorliest, sagen mir nichts, und Haj, so mein Eindruck, auch nicht. Erst als Philip zu ihren Betätigungsfeldern kommt, zieht sich mir der Magen zusammen.

Philip: Wall-Street-Broker und ehemaliger Berater des Präsidenten … Vorstandsvorsitzender der PanAtlantic Oil Corporation in Denver, Colorado … ehemaliges Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats, Vizepräsident von Amermine Gold & Finance Corporation in Dallas, Texas … Chefberater des Pentagon für Mineralienbeschaffung und -vorratshaltung … Vizepräsident von Grayson-Halliburton Communications Enterprise …

Neun Namen stehen auf meinem Block, als er zum Ende kommt: in der Summe, wenn Philip zu glauben ist, ein Who’s Who des amerikanischen wirtschaftlichen und politischen Establishments, praktisch ununterscheidbar von der Regierung, wie er voll Genugtuung hervorhebt.

Philip: Kühne konzeptionelle Denker, jeder einzelne von ihnen. Neokonservative ersten Ranges, Geopolitiker im großen Stil. Die Liga, die in mondänen Skiorten über das Schicksal von Nationen entscheidet. Derzeit haben sie wieder einmal den Ostkongo im Visier, und was für ein Bild zeigt sich ihnen? Wahlen stehen vor der Tür, bei denen nichts anderes herauskommen kann als Anarchie. Die Chinesen brauchen Rohstoffe und scharren schon an der Tür. Welchen Weg also einschlagen? Die Kongolesen mögen die Amerikaner nicht, und die Abneigung beruht auf Gegenseitigkeit. Die Ruander hassen die Kongolesen und halten sie fest an der Kandarre. Und effizient sind sie auch noch. Darum besteht die Strategie der Amerikaner darin, Ruandas wirtschaftliche Präsenz im Ostkongo so auszubauen, daß sie zur unumstößlichen Tatsache wird. Eine unblutige Annexion also im Grunde, möglichst mit ein bißchen Nachhilfe durch die CIA. Womit Ihr Freund Marius auf den Plan tritt.

Wenn schon meine Gedanken rasen, so müssen die von Haj völlig ins Schleudern geraten sein.

Philip: Gut, ja, der Mwangaza hat einen schmutzigen Deal mit Kinshasa ausgekungelt. Er ist nicht der erste kongolesische Politiker, der sich Rückendeckung verschafft, bevor er in die Schlacht zieht, und der letzte bestimmt auch nicht. (Kleines Lachen) Aber einer Übernahme durch Ruanda ist er allemal vorzuziehen. (Pause, in der Haj, wie ich fürchte, fügsam nickt) Und wenigstens arbeitet er auf ein unabhängiges Kivu hin, nicht auf eine amerikanische Kolonie. Und wenn Kinshasa dabei absahnen kann, warum sollte es dann einschreiten? Und Kivu bleibt in der föderalen Familie, wo es hingehört. (Einschenkgeräusche, Eiswürfelklirren; Hajs Glas wird vermutlich nachgefüllt) Es spricht also einiges für den alten Knaben, wenn Sie noch mal drüber nachdenken. Ich finde, Sie sind ein bißchen arg streng mit ihm, Haj,

wenn ich das so offen sagen darf. Er mag eine Spur naiv sein, aber welcher Idealist wäre das nicht? Und seine Absichten sind untadelig, selbst wenn er sie nie so ganz umsetzen kann. (Abrupter Wechsel im Tonfall) Was versuchen Sie mir da zu sagen? Was möchten Sie haben? Ihr Sakko. Hier ist Ihr Sakko. Sie frieren. Sie können nicht sprechen. Stift haben Sie. Was brauchen Sie noch? Papier. Hier haben Sie ein Blatt Papier. (Reißt irgendwo eine Seite heraus)

Was in drei Teufels Namen ist mit Hajs hyperaktiver Zunge passiert? Lähmt der Whisky sie ihm? Der Elektroschocker? Kratzen und Scharren, während er mit einem seiner Parker-Füller ungestüm etwas aufs Papier kritzelt. Wem schreibt er? Was schreibt er? Nächste Runde im Duell. Wir sind wieder auf der Startlinie, in der Gästesuite, und Haj legt warnend den Finger an den Mund. Wir sind auf den Stufen zum Pavillon, und Haj versucht die Mikrophone und mich auszutricksen. Diesmal mit bekritzelten Zettelchen, die er Philip zuschiebt.

Philip: Das ist ein schlechter Witz, oder?

Haj: (Sehr leise) Ein guter Witz.

Philip: Nicht für meinen Geschmack.

Haj: (Immer noch leise) Für mich und meinen Vater ist es ein guter. Philip: Sie sind wahnsinnig. Haj: Machen Sie’s einfach, verdammt. Ich mag nicht drüber reden.

V o r mir etwa? Ich soll nicht mithören können? Ist es das, was er Philip zu verstehen geben will? Papier wechselt raschelnd von einer Hand in die andere. Philips Stimme wird schneidend kalt:

Philip: Stimmt, da würde ich auch nicht drüber reden wollen an Ihrer Stelle. Glauben Sie allen Ernstes, Sie können noch mal drei Millionen aus uns rauspressen, einfach indem Sie eine Rechnung hinschmieren?

Haj: (Schreiend plötzlich) Das ist unser Preis, Sie Scheiß-Wichser! In bar, verstanden?

Philip: Fällig an dem Tag, an dem Kinshasa den Mwangaza zum Gouverneur von Süd-Kivu ernennt, ja?

Haj: Nein! Gleich, verdammt noch mal! Jetzt sofort!

Philip: An einem Samstag?

Haj: Bis Montag abend! Oder ihr könnt euch die Sache abschminken. Auf das Konto meines Vaters in Bulgarien oder was weiß ich wo! Ist das klar?

Die Stimme senkt sich jäh. Statt des wutentbrannten Kongolesen hören wir den sarkastischen SorbonneAbsolventen.

Haj: Mein Vater hat sich unter Wert verkauft. Er hat es versäumt, das Maximum für sich herauszuschlagen, und ich hole dieses Versäumnis nach. Der angepaßte Preis beträgt drei Millionen Dollar zusätzlich, andernfalls kommt der Handel nicht zustande. Eine Million für Bukavu, eine Million für Goma, und eine Million dafür, daß ihr mich hier verschnürt habt wie ein Postpaket und mit diesem Ding traktiert habt.

Also rufen Sie schon an bei Ihrem No-nameSyndikat und lassen Sie sich zu dem Kerl durchstellen, der ja sagt.

Philip feilscht und versucht dabei seine Würde zu wahren: In dem unwahrscheinlichen Fall, daß das Syndikat Hajs Offerte in Erwägung zieht, wie wäre es mit einer halben Million Dollar vorab und der Rest, wenn alles unter Dach und Fach ist? Hajs Antwort ist ein weiteres »Fuck off«, gefolgt von »You motherfucker«.

Tut mir leid, Sie so lange vernachlässigt zu haben, Brian, mein Lieber. Wie war’s bei Ihnen?

Sams Einmischung scheint aus einer anderen Welt zu kommen, aber ich nehme sie gelassen.

Ziemlich ereignislos, Sam. Mit vollem Mund spricht man nicht. Müssen wir nicht bald wieder hoch?

Doch, geht gleich weiter. Philip folgt nur noch rasch einem Ruf der Natur.

Die Tür schließt sich, und Haj klackt allein im Zimmer hin und her. Was macht er? Sich im Spiegel anstarren, stelle ich mir vor. Sieht man ihm an, daß er sich für drei Millionen Dollar verkauft hat, zahlbar bis Montag, falls alles klappt? Er fängt an zu summen. Das unterscheidet uns. Ich bin unmusikalisch. Mein Summen ist mir peinlich, selbst wenn ich allein bin. Aber Haj ist musikalisch, und er summt, um sich aufzuheitern. Vielleicht, um uns beide aufzuheitern. Und zum Klang seines Summens schlurft er schwerfällig durchs Zimmer. Er summt unser beider Schmach weg. Und dann singt er, und was er singt, ist anders als alles, was ich ihn bis dahin habe summen oder singen hören: ein Missionsschul-Reimgeklingel, das mir meine trüben Stunden in der Missions-Sonntagsschule zurückbringt. Wir stehen in Reih und Glied in unseren blauen Uniformen. Wir klatschen in die Hände und stampfen mit den Füßen, kloncklonk, und wir erzählen uns eine erbauliche Geschichte. Diese hier handelt von einem kleinen Mädchen, das dem lieben Gott gelobt hat, ihre Tugend zu verteidigen, komme, wer da wolle. Und zum Lohn hilft er ihr. Sooft sie in Versuchung gerät, langt er vom Himmel herab und führt sie zurück auf den rechten Pfad, klonk. Und als sie in den Tod geht, um nicht in die Fänge ihres bösen Onkels zu geraten, empfängt Gott sie am Himmelstor mit Engelschören. Kloncklonk.