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Er setzte sich unter leichtem Zusammenzucken und entdeckte den weißen Umschlag, der aus seiner Mappe hervorspitzte. Er fischte ihn mit Daumen und Zeigefinger heraus, roch daran und öffnete ihn dann vor aller Augen. Er faltete ein postkartengroßes Stück weißes Papier auf, einen Computerausdruck, so wie es aussah, und überflog den zweizeiligen Text, der vermutlich in angemessen verklausulierter Sprache den Sonderdeal bestätigte, den er für sich und seinen Vater herausgeschlagen hatte. Ich hätte erwartet, daß er Philip vielleicht ein Nicken zukommen lassen würde, aber das schenkte er sich. Er knüllte das Blatt zusammen und versenkte es – mit beachtlicher Zielsicherheit, wenn man seine Verfassung bedachte – in einer Porzellanurne, die in einer Zimmerecke stand.

»Volltreffer!« rief er auf Französisch und warf die Hände über den Kopf, was ihm nachsichtiges Gelächter seitens der Tafelrunde eintrug.

Ich übergehe das langwierige Gefeilsche, die endlosen Haarspaltereien, mittels derer Delegierte jeder Provenienz sich beweisen müssen, daß sie die Interessen ihrer Firma oder ihres Stammes zu wahren wissen und mehr auf dem Kasten haben als der Delegierte neben ihnen. Für mich war es eine Spanne, in der ich auf Autopilot schalten und zusehen konnte, wie ich meinen Kopf und meine Emotionen wieder unter Kontrolle brachte, während ich gleichzeitig mit allen verfügbaren Mitteln – hauptsächlich durch völlige Gleichgültigkeit gegenüber jeglichen Äußerungen von Haj – den Eindruck zu zerstreuen versuchte, zwischen ihm und mir gäbe es irgendeine Form von (um ein Lieblings-Schlagwort eines meiner Sicherheitsausbilder zu benutzen) »lateraler Beeinflussung«. Insgeheim schlug ich mich mit der Angst herum, Haj könnte unsichtbare Verletzungen davongetragen haben, innere Blutungen etwa, aber ich sah mich beruhigt, als die heikle Frage nach der offiziellen Besoldung des Mwangaza aufs Tapet kam.

»Aber, Mzee«, protestiert Haj und wirft auf die alte Weise den Arm hoch. »Mit Verlaub, Mzee. Einen Augenblick« – auf Französisch, das ich, weil der Sprecher Haj ist, tonlos der Perrierflasche übermittle – »diese Zahlen sind schlicht und einfach lachhaft. Ich meine,

Scheiße auch« – ein nachdrücklicher Appell an seine beiden Gefährten –, »könnt ihr euch vorstellen, daß unser Erlöser auf derart kleinem Fuß lebt? Ich meine, was wollen Sie essen, Mzee? Wer soll Ihre Miete bezahlen, Ihre Benzinkosten, Ihre Reisen, Ihre Unterhaltung? All diese notwendigen Aufwendungen sollten aus der Staatskasse bestritten werden, nicht von Ihrem Schweizer Konto.«

Falls Haj einen wunden Punkt berührt hatte, war Gleichmut um so gebotener. Tabizis Miene erstarrte, aber er hatte ohnehin schon recht versteinert dreingeschaut. Philips Lächeln verlor keinen Deut seiner Liebenswürdigkeit, und der Delphin, der anstelle seines Herrn und Meisters antwortete, tat dies ohne eine Sekunde des Zögerns.

»Solange unser geliebter Mwangaza der vom Volk erkorene Anführer ist, wird er leben, wie er immer gelebt hat, das heißt von seinem einfachen Lehrergehalt und den bescheidenen Einnahmen durch seine Bücher. Er dankt Ihnen für Ihre sehr gute Frage.«

Felix Tabizi tappt um den Tisch wie ein Menschenfresser, der sich als Chorknabe verkleidet hat. Aber es sind keine Notenblätter, die er verteilt, es ist etwas, das er notre petite aide-mémoire nennt – eine einseitige Umwandlungstabelle, die dem geneigten Leser aufschlüsselt, was sich in der realen Welt hinter solch unbeschwerten Ausdrücken wie Schaufel, Spaten, Spitzhacke, schwere und leichte Schubkarren und dergleichen mehr verbirgt. Und da die Information auf Swahili ebenso wie auf Französisch mitgeliefert wird, darf ich so stumm bleiben wie alle anderen im Raum, während philosophische Vergleiche zwischen Wörtern und Bedeutung gezogen werden.

Und bis zum heutigen Tag wüßte ich nicht zu sagen, was was war. Die besten leichten Schubkarren kamen aus Bulgarien, aber was zum Teufel stellten sie vor? Kanonen für die Bugnasen der weißen Hubschrauber? Fragen Sie mich, was eine Sichel war, oder ein Traktor , oder ein Mähdrescher, und ich wäre nicht minder aufgeschmissen. Kam mir der Gedanke, daß dies der Zeitpunkt sein könnte, aufzuspringen und dazwischenzufahren – so wie der tapfere kleine Herr in der Trattoria? Meine ockerbraune Mappe zusammenzurollen, damit auf den Tisch zu hauen: Ich muß sprechen, ich bin es mir schuldig, also spreche ich? Wenn ja, dann erörterte ich noch im stillen das Für und Wider, als die innere Tür sich öffnete, um unseren hochverdienten Notar Monsieur Jasper Albin einzulassen, eskortiert von Benny, seinem treusorgenden Hüter.

Jasper hat an Statur gewonnen. Am Morgen, als er stolz darauf schien, daß er nichts zu bieten hatte als seine Käuflichkeit, mangelte ihm deutlich daran – entsprechend groß ja auch meine Verwunderung, daß eine so kühne, finanziell so aufwendige Unternehmung ihre rechtliche Absicherung in solche Hände gelegt haben sollte. Nun jedoch sahen wir einen in seine Rolle hineingewachsenen Jasper, selbst wenn das Folgende reines Schmierentheater war – oder vielmehr Schmierenpantomime, da mein Gedächtnis die Tonspur des großen Dramas gnädigerweise weitgehend gelöscht hat.

Die Nachmittagssonne strömt unverändert zu den Terrassentüren herein. Kleine Stäubchen oder Tröpfchen von Abendtau schweben in ihren Strahlen, als Jasper aus seinem dickbäuchigen Aktenkoffer zwei identische Lederordner zutage fördert, die einem Schatzkanzler zur Ehre gereichen würden. In den Einband geprägt ist ein einziges Wort: Contrat. Nur mit den Fingerspitzen öffnet er erst den einen Ordner, dann den anderen, ehe er sich zurücklehnt, auf daß wir alle es sehen können: das Original, das alleingültige, mit Kordel gebundene, nicht einklagbare Dokument, die eine Fassung in Jaspers Französisch, die andere in meinem Swahili.

Als nächstes entnimmt er seinem Zauberkasten eine antiquierte Handpresse aus getüpfeltem grauen Metall, in der ich in meinem entkörperlichten Zustand flugs Tante Imeldas Zitronenpresse erkenne. Gefolgt wird sie von einem einzelnen A4-Blatt Wachspapier, auf dem acht rote Sterne zum Abziehen kleben, Sowjet-Stil, mit zusätzlichen Zacken. Auf einen Wink von Philip hin erhebe ich mich und stelle mich neben Jasper, während dieser sich an die Delegierten wendet. Seine Ansprache ist nicht eben zündend. Ihm wurde zu verstehen gegeben, informiert er uns, daß die Vertragspartner Einigkeit erzielt haben. Da er bei unseren Beratungen nicht zugegen war und da komplexe landwirtschaftliche Fragen nicht in seinen juristischen Zuständigkeitsbereich fallen, lehnt er jegliche Verantwortung für die agrartechnischen Einzelheiten des Vertrags ab, über welche im Streitfall vor Gericht entschieden werden muß. Während ich übersetze, meide ich Hajs Blick konsequent.

Philip fordert alle Vertragspartner auf, nach vorn zu kommen. Wie Kommunionskinder stellen sie sich einer hinter dem anderen auf, angeführt von Franco. Der Mwangaza, zu bedeutend, um Schlange zu stehen, hält sich etwas abseits, flankiert von seinen Gehilfen. Haj, den ich weiterhin geflissentlich übersehe, bildet die Nachhut. Franco beugt sich über meine SwahiliFassung, will schon unterzeichnen, da fährt er zornig zurück. Hat er eine Beleidigung entdeckt, ein schlechtes Omen? Und wenn nicht, warum werden ihm dann plötzlich die Augen naß? Das schlimme Bein hinter sich herziehend, dreht er sich um, so daß er Auge in Auge mit Dieudonné dasteht, seinem oftmaligen Feind und jetzt, für die Dauer welcher Zeit auch immer, seinem Waffenbruder. Seine gewaltigen Pranken ballen sich auf Schulterhöhe zu Fäusten. Will er seinen neuen Freund zum Einstand in Stücke reißen?