»Tu veux?« blafft er auf französisch – willst du das hier?
»Je veux bien, Franco«, erwidert Dieudonné leise – worauf die beiden Männer sich in die Arme fallen, so ungestüm, daß ich um Dieudonnés Rippen fürchte. Es folgen Rempler und Püffe. Franco, Tränen in den Augen, unterschreibt. Dieudonné schubst ihn weg und will ebenfalls unterzeichnen, aber Franco packt ihn am Arm: erst noch eine Umarmung! Schließlich kommt auch Dieudonné zu seiner Unterschrift. Haj verschmäht den bereitliegenden Füllfederhalter und zückt schwungvoll einen seiner eigenen. Ohne auch nur einen Blick auf den Text krakelt er eine wüste Unterschrift aufs Papier, zweimal – einmal für die SwahiliFassung, einmal für die französische. Philip applaudiert als erster, dann fällt das Lager des Mwangaza ein. Ich klatsche mit, was das Zeug hält.
Unsere Damen erscheinen mit Champagner. Wir stoßen an, Philip spricht einige wohlgesetzte Worte im Namen des Syndikats, der Mwangaza antwortet würdevoll, ich übersetze mit Verve. Man dankt mir, wenn auch nicht überschwenglich. Ein Jeep fährt im Hof vor. Der Mwangaza enteilt mit seinen Gehilfen. Franco und Dieudonné stehen in der Tür, halten sich nach Afrikanerart bei den Händen und rangeln, während Philip sie in Richtung Jeep zu scheuchen versucht. Haj derweil streckt mir die Hand hin. Ich nehme sie vorsichtig, weil ich ihm nicht weh tun will und auch, weil ich nicht weiß, wie die Geste gemeint ist.
»Haben Sie eine Visitenkarte?« fragt er. »Kann sein, daß ich ein Büro in London aufmache. Da könnte ich Sie vielleicht mal brauchen.«
Ich greife in die Taschen meines schweißdurchtränkten Tweedsakkos und fische ein Kärtchen heraus: Brian Sinclair, beeidigter Dolmetscher, wohnhaft in einem Postfach in Brixton. Er betrachtet es, betrachtet mich. Dann lacht er, aber nur leise, nicht das Hyänenkeckern, das wir von ihm gewohnt sind. Zu spät wird mir klar, daß er schon wieder auf Shi mit mir gesprochen hat, wie vorhin auf der Treppe zum Pavillon mit Dieudonné.
»Und wenn Sie mal nach Bukavu kommen möchten, schicken Sie mir eine Mail«, fügt er lässig hinzu, diesmal auf Französisch, und zieht aus den senfgelben Tiefen seines Jacketts ein Kartenetui aus Platin.
Seine Karte ist vor meinem geistigen Auge abgedruckt, während ich dies schreibe. Sie mißt gut acht mal fünf Zentimeter, mit Goldschnitt. Auf einer Borte innerhalb des Goldrands tummelt sich die Tierwelt Kivus von heute und einst: Gorilla, Löwe, Gepard und Elefant, ein ganzes Bataillon von Schlangen in fröhlichem Reigen, aber keine Zebras. Als Hintergrund scharlachrote Berge vor einem zartrosa Himmel, und auf der Rückseite die Silhouette eines beinewerfenden Revuegirls mit Champagnerglas in der Hand. Hajs Name und seine mannigfachen Qualifikationen sind mit dem Gepränge eines königlichen Erlasses aufgeführt, erst auf Französisch, dann Englisch, dann Swahili. Darunter kommen seine Geschäftsanschrift und die Privatadresse in Paris und Bukavu, gefolgt von einer Vielzahl von Telefonnummern. Und als ich die Karte noch einmal umdrehe, entdecke ich neben dem Revuegirl eine hastig mit Tinte gekritzelte E-Mail-Adresse.
* * *
Draußen im Bogengang sah ich mit Genugtuung, daß Spider und seine Gehilfen schon über das Gelände verteilt waren und mit der Eile, die so typisch ist für das Ende von Konferenzen, ihre ganzen schönen Vorrichtungen demontierten. Spider, in Steppweste und Schlägerkappe, stand breitbeinig auf Hajs Steintreppe und rollte pfeifend seine Kabel auf. Im Pavillon kletterten zwei Anoraks auf Trittleitern herum. Ein dritter kauerte auf allen vieren vor der steinernen Bank. Im Heizungskeller lehnte der U-Bahn-Plan mit dem Gesicht zur Wand, alle seine Drähte aufgerollt und verschnürt. Die Kassettenrecorder waren zurück in ihre schwarze Kiste gewandert.
Ein brauner Restesack, schon halb voll, stand mit offenem Schlund auf Spiders Schreibtisch, an dem die leeren Schubladen in bester Chatroom-Tradition herausgezogen waren. Jeder, der durch Mr. Andersons Hände gegangen ist, bleibt auf ewig seinen Vorschriften zur Eigensicherung verhaftet, von den Verhaltenstips für den Umgang mit dem Lebensabschnittsgefährten bis hin zu der goldenen Regel, niemals Apfelbutzen mit in den Restesack zu werfen, um nicht die vollständige Einäscherung von Geheimabfällen zu gefährden. Spider bildete da keine Ausnahme. Seine digitalen Tonbänder waren säuberlich etikettiert und numeriert, jedes in seinem eigenen kleinen Fach. Daneben lag das Heft mit seinen penibel geführten Tabellen. Unbenutzte Bänder, noch in ihren Gehäusen, stapelten sich ordentlich auf einem Bord gleich darüber.
Für meine Auswahl konsultierte ich die Tabellen. Die Spalte ganz vorne, handgeschrieben, listete die Bänder auf, die mir bekannt waren: Gästesuite, Königliche Gemächer etc. Ich nahm fünf heraus. Aber was enthielt die ebenfalls handgeschriebene Spalte ganz hinten? Wer oder was war S? Warum stand an der Stelle, wo der Standort der Mikrophone eingetragen gehört hätte, einfach nur S? S wie Spider? S wie Syndikat? S wie Sinclair? Oder – auch kein schlechter Gedanke! – S wie Satellit? War es denkbar, daß Philip oder Maxie oder Sam oder Lord Brinkley oder einer seiner namenlosen Partner – oder sie alle zusammen – zu Selbstschutzzwecken, fürs Protokoll, für das Archiv,
ihre eigenen Telefonate abgehört hatten? Durchaus denkbar, entschied ich. Drei der Bänder waren mit einem Kugelschreiber-S markiert. Ich griff mir drei leere, markierte ihre Rücken mit dem gleichen S und nahm die Originale an mich.
Als nächstes galt es, die Bänder an meinem Körper zu verstecken. Zum zweitenmal seit meinem erzwungenen Kostümwechsel war ich dankbar für das Tweedsakko. Mit seinen übergroßen Innentaschen schien es wie gemacht für den Zweck. Der Bund meiner grauen Flanellhose war nicht weniger gastlich, aber meine Stenoblöcke hatten steife Deckel, und sie waren spiralgebunden. Ich überlegte noch, wie ich am besten mit ihnen verfahren sollte, als ich Philips Stimme hörte, die samtige Version, die Bühnenstimme.
»Brian, unser Held. Hier stecken Sie also. Ich wollte Ihnen die ganze Zeit schon gratulieren. Jetzt kann ich es endlich.«
Er lehnte in der Tür, einen roségewandeten Arm gegen den Rahmen gestützt, die weichsohligen Schuhe behaglich gekreuzt. Mir lag schon ein artiger Dank auf der Zunge, als mir gerade noch rechtzeitig einfiel, daß nach einer Spitzenvorstellung, wie ich sie hingelegt hatte, ein ausgepumpter, leicht ungnädiger Star eher überzeugen würde.
»Freut mich, daß Sie zufrieden waren«, sagte ich.
»Und jetzt wird aufgeräumt?«
»Genau.«
Zum Beweis warf ich einen meiner Blöcke in den Restesack. Als ich mich wieder umwandte, prallte ich fast gegen Philip. Hatte er die Ausbeulungen um meine Bauchgegend bemerkt? Er hob die Hände, und ich dachte schon, er würde danach greifen, aber er langte an mir vorbei, um meinen Block wieder aus dem Restesack zu holen.
»Also, ich muß schon sagen« – er befeuchtete die Fingerspitze und blätterte andächtig durch mein Bleistiftgekritzel. »Kommt mir ja alles ziemlich spanisch vor – aber die Spanier würden auch nur Bahnhof verstehen, oder?«
»Mr. Anderson nennt es meine babylonische Keilschrift«, informierte ich ihn.
»Und diese kleinen Schnörkel am Rand, was sind die?«
»Anmerkungen für meine Wenigkeit.«
»Und was merkt Ihre Wenigkeit sich so an?«
»Stilistische Sachen. Versteckte Andeutungen. Feinheiten, auf die ich beim Übersetzen achten muß.«