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Wieder im Schlafzimmer, kippte ich meine Beute, die Bänder und Stenoblöcke, erst einmal aufs Bett und grübelte dann, Ordnungsfanatiker, der ich bin, konzentriert darüber nach, wie wohl Mr. Andersons Plastikreisetasche am besten zu entsorgen sei, bis mir der Mülleimer in der Küche einfiel. Ich war drauf und dran, auch Brian Sinclairs Visitenkarten darin zu versenken, hob sie im letzten Moment aber doch lieber auf – für schlechte Zeiten, wie Tante Imelda gesagt hätte. Dann zog ich die Sachen eines freien Mannes an: Jeans, Turnschuhe, eine Lederjacke aus der Zeit vor Penelope, die ich mir zu meinem ersten bestandenen Examen geschenkt hatte, und als krönenden Abschluß meine dunkelblaue Pudelmütze, die sie mir als »zu afromäßig« verboten hatte.

Ich schildere diese Handlungen linear und im Detail, weil sie für mich etwas Zeremonielles hatten. Jede Bewegung, die ich machte, war ein weiterer Schritt hin zu Hannah – falls sie mich denn noch wollte, was durchaus zweifelhaft war. Jedes Kleidungsstück, das ich aus der Kommode nahm, war Teil der Garderobe, die mich in mein neues Leben begleiten würde. Aus der Diele holte ich meinen Rollenkoffer mit dem integrierten Zahlenschloß und dem verstellbaren Handgriff, einst liebevoll gehütetes Beiwerk einer sinnleeren Existenz. Als erstes kamen die Bänder und die Blöcke hinein, die ich in ein altes Hemd wickelte und in einem Innenfach verstaute. Indem ich methodisch von Raum zu Raum ging und jede nostalgische Regung im Keim erstickte, suchte ich mir zusammen, was ich brauchte: meinen Laptop samt Zubehör, wenn auch aus Platzgründen ohne den Drucker, meine beiden Kassettenrecorder, einer normalgroß und einer im Westentaschenformat, beide in stabilen Gehäusen, zwei Kopfhörer und mein kleines Transistorradio. Abschließend packte ich noch das vom Leben gezeichnete Meßbuch meines Vaters dazu, Pater Michaels Durchhaltebriefe vom Sterbebett, ein goldenes Medaillon mit einem Sträußchen von Tante Imeldas widerspenstigem weißen Haar, einen Aktenordner mit persönlicher Korrespondenz, darunter Lord Brinkleys Brief an mich und seine Weihnachtskarten, und die Umhängetasche aus robustem Stoff, mit der ich die Zutaten für das Coq au Vin nach Hause getragen hatte.

Aus dem Schreibtisch am Fenster nahm ich einen versiegelten Briefumschlag, auf dem Bruno stand und der den Ehevertrag enthielt, den Penelopes weitblickender Vater für genau diesen Fall der Fälle aufgesetzt hatte. Mir war schon immer klar gewesen, daß er unsere Ehe von einer realistischeren Warte aus betrachtete als ich. So feierlich, als legte ich an einem Kriegerdenkmal einen Kranz nieder, plazierte ich das mit unser beider Unterschrift versehene Dokument auf Penelopes Kopfkissen, zog mir dann den Trauring vom Finger und legte ihn mitten darauf. Nimm diesen Ring als Zeichen unserer Trennung. Wenn ich überhaupt etwas empfand, dann weder Verbitterung noch Zorn, sondern die Gewißheit, etwas zum Abschluß gebracht zu haben. Ein Erwachen, das sich lange vor dem Gefühlsausbruch des kleinen Herrn in der Trattoria angebahnt hatte, fand nun sein einzig mögliches Ende. Ich hatte Penelope als den Menschen geheiratet, der sie nicht sein wollte: die furchtlose Kämpferin der großen britischen Presse, die treue und loyale Geliebte, die nur Augen für mich hatte, meine Lifestyle-Beraterin und Mutter meiner zukünftigen Kinder, die in meinen trüben Stunden auch als mein weißer Mutterersatz herhalten würde. Penelope dagegen hatte den Exoten in mir geheiratet, nur um den Konformisten entdecken zu müssen, was vermutlich ein herber Schlag für sie gewesen war. In dieser Hinsicht konnte sie auf mein ehrliches Mitgefühl zählen. Einen Abschiedsbrief schrieb ich nicht.

Ich ließ den Rollenkoffer zuschnappen und nahm, ohne noch einen Blick zurückzuwerfen, Kurs auf die Wohnungstür und die Freiheit, als sich der Schlüssel ohne die üblichen Sperenzchen im Schloß drehte und jemand leichtfüßig hereinkam. Meine erste Reaktion war Angst. Nicht vor Penelope, das war ein für allemal vorbei. Nein, Angst davor, das in Worte fassen zu müssen, woraus bereits Taten hervorgegangen waren. Angst, aufgehalten zu werden, den Schwung zu verlieren, kostbare Zeit mit Streitereien zu vertun. Angst, Penelopes Affäre mit Thorne könnte gescheitert sein, und nun käme sie trostsuchend nach Hause gelaufen, nur um sich gleich die nächste demütigende Zurückweisung einzuhandeln, noch dazu aus einer Ecke, aus der sie mit keinerlei ernstzunehmendem Widerstand rechnete: von mir. Insofern war ich erleichtert, daß es nicht Penelope war, die sich, eine Hand in die Hüfte gestemmt, vor mir aufbaute, sondern unsere Nachbarin und psychologische Beraterin Paula, die einen Trenchcoat trug und, soweit ich erkennen konnte, sonst nichts.

»Hannibal hat dich gehört, Salvo«, sagte sie.

Paula hat einen monotonen, amerikanisch-englischen Akzent in der Stimme, eine Art Dauerquengeln. Hannibal ist ihr adoptierter Windhund.

»Hannibal hört alle hübschen Knaben, die auf leisen Sohlen durch die Gegend schleichen«, fuhr sie düster fort. »Wo willst du hin? Du siehst zum Fürchten aus.«

»Arbeiten«, sagte ich. »Später Anruf. Dringender Auftrag. Entschuldige, Paula, aber ich muß los.«

»In diesen Klamotten? Soll das ein Witz sein? Komm, du mußt was trinken. Hast du ’ne Flasche da?«

»Jedenfalls nicht am Leib.« Kleiner Scherz am Rande.

»Ich hätte eine, ausnahmsweise. Ich hätte auch ein Bett, falls du eins brauchst. Das hättest du gar nicht gedacht, daß ich ficke, stimmt’s? Du dachtest, ich wärme nur meinen Hintern an eurem Feuer. Penelope lebt hier nicht mehr, Salvo. Der Mensch, der hier lebt, ist eine Schein-Penelope.«

»Paula, bitte. Ich muß gehen.«

»Die echte Penelope ist eine unsichere, überkompensierende Zicke, die lieber vorprescht, als sich Zweifel zu erlauben. Außerdem ist sie eine Psychopathin, die an Wahnvorstellungen leidet, und meine liebste Freundin. Warum kommst du nicht in meine Inner-Body-Experience-Gruppe? Wir reden viel über Frauen wie Penelope. Vielleicht schaffst du es sogar auf eine höhere Gedankenebene. Was für ein Auftrag ist das?«

»Im Krankenhaus.«

»Mit dem Koffer? Wo liegt das Krankenhaus – in Hongkong?«

»Paula, bitte. Ich hab’s eilig.«

»Ficken wir erst, und dann fährst du ins Krankenhaus, okay?«

»Nein. Tut mir leid.«

»Erst Krankenhaus, dann ficken?« Sie hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben. »Penelope sagt, du bist spitze im Bett.«

»Danke, aber eher nicht.«

Sie trat zur Seite, und ich schlüpfte aufatmend an ihr vorbei zur Tür hinaus und die Treppe hinunter. An einem anderen Tag wäre ich wohl baß erstaunt gewesen, wie mühelos unsere hauseigene Lebensberaterin und Schnorrerin zahlloser Flaschen Rioja die Grenze vom Guru zur Nymphomanin überschritten hatte, aber heute nicht.

* * *

Schlag sieben nach Tante Imeldas Uhr bezog ich Posten auf einer Parkbank gegenüber dem Haupteingang des Krankenhauses, auch wenn diskrete Erkundigungen am Empfang ergeben hatten, daß die Nachtschicht nicht vor acht Uhr dreißig endete. Eine brutalistische moderne Skulptur, die genau in meinem Blickfeld lag, ermöglichte es mir zu sehen, ohne selbst gesehen zu werden. Rechts und links des verglasten Eingangs stand je ein uniformierter Repräsentant einer der immer zahlreicher werdenden britischen Privatmilizen. Zulus und Ovambos, höre ich Maxie stolz sagen. Die besten Kämpfer der Welt. Unter einem Carport im Tiefgeschoß fuhren in steter Folge weiße Krankenwagen vor und entluden ihre Verwundeten. Neben mir auf der Bank lag die Stofftasche, in die ich die Bänder und Blöcke umgepackt hatte. So unsicher, wie mir meine ganze derzeitige Existenz erschien, hatte ich mir den Schulterriemen fest um die Hand geschlungen.