Выбрать главу

Ich konnte ihr ansehen, daß sie mir kein Wort glaubte, und setzte schon halb dazu an, ihr die ganze Geschichte zu beichten – Mr. Anderson, die Insel, Philip, Maxie, Anton, Benny, Spider und zehnmal Haj –, aber mit einemmal wirkte sie wie weggetreten, so als hätte sie schon jetzt mehr gehört, als sie in einer Sitzung verkraften konnte. Statt mich mit Fragen zu bestürmen, streckte sich die müde Nachtschwester vollbekleidet auf dem Bett aus und schlief ein, was um so erstaunlicher war, als sie dabei nicht aufhörte zu lächeln. Wie gern wäre ich ihrem Beispiel einfach gefolgt. Ich schloß ebenfalls die Augen – aber wie um alles in der Welt sollte ich ihr erklären, daß ich unfreiwillig zum Komplizen bei einem bewaffneten Coup gegen ihr Land geworden war? Baptiste, wiederholte ich bei mir. Damit, daß sich ihre Begeisterung für den Mwangaza auch auf die Mitglieder seiner Organisation erstrecken könnte, hatte ich nicht gerechnet. Aber dann muß mir bei aller Überreiztheit doch die Natur zu Hilfe gekommen sein, denn als ich die Augen wieder aufschlug, trug ich immer noch Jeans und T-Shirt, und Hannah lag nackt in meinen Armen.

* * *

Ich bin kein Freund des Expliziten, genausowenig wie es Pater Michael war. Akte der Liebe waren für ihn etwas ebenso Persönliches wie Gebete, und man sprach über das eine so wenig wie über das andere. Ich will darum nicht länger bei der Ekstase unserer körperlichen Vereinigung verweilen, die wir im hellen Licht der Morgensonne zelebrierten, das durch das Erkerfenster auf Mrs. Hakims bunte Tagesdecke fiel. Hannah ist ein Mensch, der zuhören kann. So etwas war ich nicht gewohnt. In meiner ängstlichen Anspannung hatte ich eine sarkastische oder sogar ungläubige Reaktion von ihr befürchtet. Aber das war Penelopes Art, nicht Hannahs. Zwar liefen ihr, etwa als ich ihr ihre Illusionen über den Mwangaza nehmen mußte, ein paar Tränen über die Wangen und tropften auf den himmelblauen Kopfkissenbezug, doch ihre Anteilnahme und ihr Verständnis für mein Dilemma ließen sie nicht eine Sekunde im Stich. Vor zwei Tagen hatte ich über das Feingefühl gestaunt, mit dem sie einem Mann beigebracht hatte, daß er sterben würde, und ich tat mein Bestes, es mir zum Vorbild zu nehmen, aber mir mangelte sowohl an Geschick als auch an der nötigen Selbstbeherrschung. Schon nach den ersten Worten überwältigte mich der Drang, ihr alles auf einmal zu erzählen. Das Geständnis, daß ich, wenn auch nur aushilfsweise, ein indoktrinierter Mitarbeiter des allmächtigen britischen Geheimdienstes war, verschlug ihr den Atem.

»Und du bist diesen Leuten treu ergeben, Salvo?«

Ich sprach englisch, sie ebenfalls.

»Darum habe ich mich immer bemüht, Hannah. Und das werde ich auch in Zukunft so halten«, antwortete ich, und sogar dafür zeigte sie Verständnis.

An mich geschmiegt wie ein schläfriges Kind, lauschte sie gebannt meiner wundersamen Reise von der Mansardenwohnung in der South Audley Street zu dem goldglitzernden Palast am Berkeley Square, dem Flug im Hubschrauber und der geheimnisvollen Reise auf die namenlose Insel im Norden. Während ich ihr unsere Kriegsherren vorstellte, zogen in ebenso vielen Minuten drei Jahreszeiten über ihr Gesicht hinweg. Verhaltener Groll gegen den Schurken Franco mit seinem lahmen Bein und seiner Kampflust; wissende Trauer um den aidskranken Dieudonné. Erst als ich ihr meine vorläufige Skizze des Sorbonne-Absolventen und Nachtclubkönigs Haj präsentierte, meldete sich streng das Mädchen aus der Pfingstlermission zu Wort.

»Nachtclubbesitzer sind Gauner, Salvo. Warum sollte Haj anders sein? Er verkauft Bier und Mineralien, also verkauft er sicher auch Drogen und Frauen. So ist das heutzutage Brauch bei der jungen Elite von Kivu. Man trägt dunkle Brillen und fährt schicke Geländewagen und sieht sich mit seinen Freunden Pornofilme an. Sein Vater Luc hat in Goma einen ziemlich üblen Ruf, das darfst du mir glauben. Ein Machtmensch, der die Politik zu seiner persönlichen Bereicherung betreibt und nicht um der Menschen willen.« Aber dann zog sie die Stirn kraus und schwächte ihr Urteil widerstrebend ein wenig ab. »Wobei man auch sagen muß: Als anständiger Mensch kommst du im Kongo heute nicht zu Geld. Man muß ihn immerhin für seinen Geschäftssinn bewundern.«

Als sie meinen Gesichtsausdruck sah, unterbrach sie sich und setzte wieder ihren musternden Blick auf. Und wenn Hannah das tut, wird das Thema Eigensicherung zweitrangig.

»Du hast eine besondere Stimme für diesen Haj. Hast du auch besondere Gefühle für ihn?«

»Ich hatte für alle besondere Gefühle«, antwortete ich ausweichend. »Für jeden auf seine Weise.«

»Warum ist Haj dann anders? Weil er verwestlicht ist?«

»Ich habe ihn enttäuscht.«

»Wie denn, Salvo? Das glaube ich dir nicht. Vielleicht hast du dich selbst enttäuscht. Das ist nicht dasselbe.«

»Sie haben ihn gefoltert.«

»Haj?«

»Mit einem Elektroschocker. Er hat geschrien. Dann hat er ihnen alles gesagt, was sie wissen wollten. Und dann hat er sich verkauft.«

Sie schloß einmal kurz die Augen. »Und du hast zugehört?«

»Ich sollte nicht. Ich hab’s einfach gemacht.«

»Und du hast es aufgenommen?«

»Nicht ich, die anderen.«

»Während er gefoltert wurde?«

»Es war ein Archivband. Fürs Archiv, nicht für den Einsatz.«

»Und wir haben es hier?« Sie sprang vom Bett und war mit drei Schritten beim Erkertisch. »Das hier?«

»Nein.«

»Das?« Als sie mein Gesicht sah, legte sie das Band wieder auf den Tisch, kam zurück und setzte sich zu mir aufs Bett. »Wir müssen etwas essen. Wenn wir gegessen haben, spielen wir das Band ab. Einverstanden?«

Einverstanden, sagte ich.

Aber bevor wir etwas essen gehen konnten, mußte sie sich noch etwas zum Anziehen aus dem Schwesternheim holen, und ich blieb eine Stunde mit meinen Gedanken allein. Sie kommt nicht mehr zurück. Sie hält mich für verrückt, und recht hat sie. Sie ist zu Baptiste gelaufen. Diese hurtigen Schritte auf der Treppe gehören nicht Hannah, sondern Mrs. Hakim. Aber Mrs. Hakim wiegt gute anderthalb Zentner, wogegen Hannah eine Sylphe ist.

* * *

Sie erzählt von ihrem Sohn, Noah. Mit der einen Hand ißt sie Pizza, mit der anderen hält sie die meine, während sie mir auf Swahili von ihm berichtet. Als sie ihn bei unserem ersten Mal erwähnt hat, war sie noch befangen dabei. Heute muß sie mir alles sagen, wie sie zu ihm gekommen ist, was er ihr bedeutet. Noah ist ein Kind der Liebe, wie es heißt, nur – Salvo, das mußt du mir glauben – da war keine Liebe im Spiel, kein bißchen.

»Nachdem mein Vater mich von Kivu nach Uganda geschickt hatte, damit ich Krankenschwester werde, bin ich auf einen Medizinstudenten hereingefallen. Als ich von ihm schwanger wurde, hat er mir gesagt, daß er verheiratet ist. Einem anderen Mädchen, mit dem er ins Bett ging, hatte er erzählt, er wäre schwul.«

Sie war sechzehn, und statt einen schönen runden Babybauch zu bekommen, nahm sie sechs Kilo ab, bevor sie den Mut fand, einen HIV-Test zu machen. Er fiel negativ aus. Heutzutage schiebt sie nichts mehr auf die lange Bank, Unangenehmes wird sofort erledigt. Sie bekam das Kind, und ihre Tante half ihr, es zu versorgen, während sie ihre Ausbildung abschloß. Alle Medizinstudenten und Jungärzte wollten mit ihr ins Bett, aber sie schlief mit keinem Mann mehr, bis ich kam.

Sie fängt an zu lachen. »Und was habe ich mir eingehandelt? Gleich den nächsten verheirateten Mann!«

Nicht mehr, sage ich.

Sie lacht und schüttelt den Kopf und trinkt einen Schluck roten Hauswein, der, darin sind wir uns einig, mit das Mieseste ist, was wir je getrunken haben, schlimmer noch als das Gesöff, das sie uns einmal im Jahr auf dem Klinikfest vorsetzen, sagt sie, und das will was heißen, Salvo. Aber nicht so gemeingefährlich wie der Chianti bei Giancarlo, kontere ich und schiebe meine Geschichte von dem tapferen kleinen Herrn im Bella Vista in der Battersea Park Road ein.