»Wie und wann hast du die Bänder und die Stenoblöcke gestohlen, Salvo?«
Ich schildere ihr meinen letzten Gang in den Heizungskeller, Philips überraschendes Auftauchen, mein knappes Entkommen.
»Auf dem Rückflug nach Luton, hat dich da irgendwer mißtrauisch angesehen oder dich gefragt, was du in der Reisetasche hast?«
Niemand.
»Bist du dir sicher?«
Ziemlich sicher.
»Wer weiß mittlerweile, daß du die Bänder gestohlen hast?«
Ich zögere. Wenn Philip nach dem Abflug des Teams noch einmal in den Heizungskeller zurückgekehrt ist, um einen zweiten Blick in den Restesack zu werfen,
dann wissen sie es jetzt. Wenn Spider nach der Ankunft in England seine Bänder überprüft hat, bevor er sie weitergegeben hat ans Archiv, dann wissen sie es. Und wenn der Empfänger sie selbst überprüft hat, dann wissen sie es auch. Ich bin mir nicht sicher, woher an dieser Stelle plötzlich mein herablassender Ton kam, aber vermutlich war es einfach Selbstschutz.
»Wie dem auch sei«, beharre ich, ganz im Stil der phrasendrechselnden Rechtsanwälte, die ich gelegentlich dolmetschen muß, »ob sie es wissen oder nicht, technisch gesehen liegt unstreitig ein schwerer Fall von Geheimnisverrat vor. Oder vielleicht gerade nicht? Ist das Material nicht vielleicht sogar zu geheim dafür? Wenn ich offiziell nicht existiere, wie können es dann die Geheimnisse? Wie kann ein nichtexistenter Dolmetscher der Entwendung nichtexistenter Geheimnisse bezichtigt werden, wenn er im Auftrag eines namenlosen Syndikats tätig wird, das es nach eigenem Bekunden ebenfalls nicht gibt?«
Ich hätte es mir denken können. Hannah läßt sich durch meine Gerichtssaalrhetorik weniger beeindrucken als ich selbst.
»Salvo. Du hast einflußreichen Auftraggebern etwas gestohlen, woran ihnen sehr viel liegt. Die einzig relevante Frage ist jetzt, ob sie es herausfinden und was sie mit dir machen, wenn sie dich schnappen. Du hast gesagt, sie wollen Bukavu in zwei Wochen angreifen. Woher weißt du das?«
»Das hat mir Maxie erzählt, auf dem Rückflug. Sie wollen den Flughafen einnehmen. Samstag ist Fußballtag. Die weißen Söldner landen mit einer Schweizer Chartermaschine, die schwarzen Söldner geben sich als Gastmannschaft aus.«
»Uns bleiben also keine zwei Wochen mehr, sondern nur noch dreizehn Tage.«
»Ja.«
»Und es ist möglich, daß sie inzwischen hinter dir her sind.«
»Vermutlich schon.«
»Dann müssen wir zu Baptiste gehen.«
Sie schlingt die Arme um mich, und eine Zeitlang vergessen wir alles um uns herum.
* * *
Wir liegen auf dem Rücken und starren an die Decke, und sie erzählt mir von Baptiste. Er ist ein kongolesischer Nationalist, der sich leidenschaftlich für ein vereinigtes Kivu einsetzt und eben erst aus Washington zurückgekommen ist, wo er an einem Arbeitskreis über afrikanisches Bewußtsein teilgenommen hat. Die Ruander haben schon mehrere Male Killer auf ihn angesetzt, aber er ist so schlau, daß er ihnen noch immer durch die Finger geschlüpft ist. Baptiste kennt alle kongolesischen Gruppierungen, auch die, die nichts taugen. In Europa, in Amerika und in Kinshasa.
»Kinshasa, wo die Profitgeier sitzen«, werfe ich ein.
»Ja, Salvo. Wo die Profitgeier sitzen. Aber auch viele gute und ernsthafte Leute wie Baptiste, denen der Ostkongo am Herzen liegt und die bereit sind, Risiken einzugehen, um uns vor unseren Feinden und Ausbeutern zu beschützen.«
Ich möchte ihr bedingungslos zustimmen. Ich möchte genauso kongolesisch sein wie sie. Aber die Ratte der Eifersucht nagt in meinen Eingeweiden, wie Pater Michael zu sagen pflegte.
»Obwohl wir wissen, daß sich der Mwangaza auf einen schmutzigen Deal mit Kinshasa eingelassen hat«, sage ich, »und wenn nicht er, dann Tabizi oder sonst einer von seinen Leuten – obwohl wir das wissen, obwohl wir Beweise dafür haben, glaubst du trotzdem, daß wir es wagen dürfen, uns an den Repräsentanten des Mwangaza in London zu wenden und ihm brühwarm alles zu erzählen? So sehr vertraust du ihm also.«
Sie stützt sich auf einen Ellenbogen und blickt auf mich hinunter.
»Ja, Salvo. So sehr vertraue ich ihm. Wenn Baptiste hört, was wir gehört haben, und zu dem Schluß kommt, daß der Mwangaza korrupt ist, was ich übrigens noch nicht für erwiesen halte, dann wird er, weil er ein ehrbarer Mann ist und wie wir alle von Frieden für Kivu träumt, wissen, wen er warnen muß und wie er die Katastrophe noch verhindern kann.«
Sie legt sich in die Kissen zurück, und wir nehmen die Betrachtung von Mrs. Hakims Zimmerdecke wieder auf. Ich stelle ihr die unvermeidliche Frage: Wie hat sie ihn kennengelernt?
»Seine Gruppe hat die Busreise nach Birmingham organisiert. Er ist ein Shi, genau wie der Mwangaza, deshalb ist es ganz natürlich, daß er den kommenden Mann in ihm sieht. Aber deshalb ist er noch lange nicht blind für die Schwächen des Mwangaza.«
Natürlich nicht, versichere ich ihr.
»Und kurz bevor der Bus losfuhr, in letzter Minute, ist er ganz überraschend zugestiegen und hat eine sehr bewegende Ansprache über die Chancen für Frieden und Eintracht in Kivu gehalten.«
»Für dich persönlich?«
»Ja, Salvo. Für mich persönlich. Von den sechsunddreißig Menschen im Bus hat er nur zu mir gesprochen. Und ich war splitterfasernackt.«
* * *
Ihr erster Einwand gegen den Streiter meiner Wahl, Lord Brinkley, war so absolut, daß er mir ein wenig nach Schwester Imogènes Fundamentalismus roch.
»Aber Salvo. Wie kann das sein, daß von den bösen Menschen, die uns in den Krieg stürzen und unsere Bodenschätze rauben wollen, manche mehr Schuld haben sollen und manche weniger? Ist nicht einer so schlimm wie der andere? Stecken sie nicht alle unter einer Decke?«
»Du kannst Brinkley nicht mit den anderen in einen Topf werfen«, erklärte ich geduldig. »Er ist eine Galionsfigur, genau wie der Mwangaza. Er ist ein Mann, dessen Stellung die anderen ausnutzen, um hinter seinem Rücken ihre Räubereien zu begehen.«
»Er ist auch der Mann, der ja sagen konnte.«
»Ganz recht. Und er ist der Mann, dem man die Betroffenheit und die moralische Entrüstung anhören konnte, wenn du dich erinnerst. Und der Philip praktisch vorgeworfen hat, ein doppeltes Spiel zu treiben.« Und als Krönung: »Wenn er ja sagen konnte, dann kann er auch zum Telefonhörer greifen und nein sagen.«
Zur Untermauerung meines Standpunkts führte ich meine mannigfachen Erfahrungen aus der Welt der Wirtschaft an. Hatte ich nicht oft genug festgestellt, daß die Männer, die das Ruder in der Hand hielten, kaum mitbekamen, was in ihrem Namen geschah, so sehr waren sie damit beschäftigt, Kapital aufzutreiben und den Markt zu beobachten? Es dauerte ein wenig, aber schließlich sah Hannah doch ein, daß es Lebensbereiche gab, in denen ich mich einfach besser auskannte als sie. Ich legte nach, indem ich sie an mein Gespräch mit Brinkley in dem Haus am Berkeley Square erinnerte: »Und was war, als ich Mr. Anderson erwähnt habe? Er hatte noch nie von ihm gehört!« trumpfte ich auf, und dann wartete ich auf ihre Antwort, kein weiteres Plädoyer für Baptiste, wie ich inständig hoffte. Und zuletzt zeigte ich ihr auch noch den Brief, in dem er mir für meine Unterstützung dankte: Lieber Bruno, unterschrieben: Herzlich, Jack. Doch ganz gab sie sich noch immer nicht geschlagen:
»Wenn das Syndikat so anonym ist, wieso hat es dann Brinkley als Galionsfigur?« Und als ich darauf keine plausible Antwort parat hatte: »Wenn du unbedingt zu einem von deinen Leuten gehen mußt, geh wenigstens zu Mr. Anderson, dem du vertraust. Erzähl ihm alles und liefere dich ihm auf Gnade oder Ungnade aus.«
Diesmal manövrierte ich sie mit meinen Kenntnissen der Geheimdienstwelt aus. »Ich war noch nicht zur Tür hinaus, da kannte Anderson mich schon nicht mehr. Es gab die Operation nicht. Es gab mich nicht. Meinst du, er läßt mich einfach wieder auferstehen, wenn ich bei ihm anmarschiere und ihm erzähle, daß die ganze Sache ein Riesenschwindel ist?«