Wir setzten uns vor meinen Laptop und machten uns an die Arbeit. Über Lord Brinkleys Adresse schwieg seine Website sich aus. Wenn man ihm schreiben wollte, sollte man ihm den Brief ins Oberhaus schicken. Jetzt konnte ich meine gesammelten Brinkley-Artikel zum Einsatz bringen. Jack war mit einer Lady Kitty verheiratet, einer reichen Erbin aus adligem Haus, die sich für Großbritanniens Bedürftige einsetzte, was Hannah sogleich für sie einnahm. Und Lady Kitty hatte ebenfalls eine Website. Darauf standen die Wohltätigkeitsorganisationen, deren Schirmherrin sie war, sowie eine Adresse, an die man seine Spendenschecks schicken konnte. Außerdem erfuhren wir, daß Lady Kitty jeden Donnerstagvormittag ausgewählte Wohltäter zum Kaffee empfing. Und wo empfing Ihro Gnaden? In ihrer Residenz in Knightsbridge, im Herzen von Londons goldenem Dreieck.
* * *
Es ist eine Stunde später. Ich liege hellwach im Bett. Hannah, die es gelernt hat, bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu schlafen, rührt sich nicht. Leise ziehe ich Hemd und Hose an, nehme mir das Handy und gehe nach unten in den Aufenthaltsraum, wo Mrs. Hakim das Frühstücksgeschirr abräumt. Nach ein paar unvermeidlichen Floskeln flüchte ich in den kleinen Garten, der von hohen, braunen Häuserwänden umschlossen ist. Penelopes tägliches »Bewegungsmuster«, wie es der Ausbilder bei meinen Eintagesschulungen genannt hätte, stand mir deutlich vor Augen. Nach dem heißen Wochenende mit Thorne legt sie zur schnellen Generalüberholung einen Boxenstop in den Norfolk Mansions ein, bevor sie in die Welt hinausgeht, um sich den Herausforderungen der neuen Woche zu stellen. Dann wird telefoniert, und zwar aus dem Taxi, das ihr die Redaktion bezahlt. Wie alle guten Journalisten weiß auch sie, daß der erste Satz sitzen muß.
Du kannst mich auch mal, Darling, weißt du das? Hättest du noch eine Woche gewartet, hätte ich dir die Mühe erspart! Ich frag dich jetzt nicht, wo du das Wochenende verbracht hast, nachdem du mich vor Sir Matthew zur Lachnummer gemacht hast. Ich hoffe bloß, die Kleine ist es wert, Salvo. Oder müßte das der Kleine heißen? Fergus sagt, er traut sich nicht mal alleine mit dir aufs Männerklo …
Ich kehrte wieder in unser Zimmer zurück. Hannah lag da wie zuvor, das Laken in der Sommerhitze wie auf einem Aktgemälde über eine Brust und zwischen die Schenkel gerafft.
»Wo warst du?«
»Im Garten. Mich scheiden lassen.«
15
Hannah hatte es mir auf ihre resolute Art ausgeredet, die Kassetten und Stenoblöcke gleich zu den Brinkleys mitzunehmen. Da sie aber genauso fest entschlossen war, mich zu begleiten und vor dem Haus zu warten, bis ich wieder herauskam, hatten wir uns auf einen Kompromiß geeinigt. Sie würde sich mit meinem Diebesgut in ein Café irgendwo in der Nähe setzen, bis ich sie zu gegebener Zeit mit dem Handy anrief, woraufhin sie die Sachen unauffällig an der Haustür abstellen, sich wieder in das Café begeben und dort auf mich warten sollte.
Als wir am Montag nachmittag Mr. Hakims Reich verließen und, größtmögliche Umsicht an den Tag legend, zu Fuß zur Bushaltestelle gingen, um zur U-Bahnstation Finchley Road zu fahren, war es bereits fünf Uhr. Um sechs standen wir vor der Residenz in Knightsbridge und spähten von der anderen Straßenseite zu der elegant geschwungenen Häuserfront hinüber. Um zwanzig nach nahm Hannah nervös an einem Fenstertisch im Café Platz. Unterwegs hatte sie einiges an Selbstvertrauen eingebüßt, im Gegensatz zu mir, der ich immer optimistischer geworden war.
»Nur noch ein paar Stunden, dann sind wir unsere Sorgen los«, versicherte ich ihr, während ich ihr zur Beruhigung den Rücken massierte. Sie sagte, sie würde für mich beten.
Bei meinem Anmarsch auf das Zielobjekt sah ich mich vor die Wahl zwischen zwei Treppen gestellt: hinunter zum Dienstboteneingang oder hinauf zu dem säulengeschmückten Portal mit dem altmodischen Klingelzug. Ich entschied mich für letzteres. Die Tür wurde von einer rundgesichtigen Latina geöffnet, die eine schwarze Hausmädchentracht trug, komplett mit weißem Kragen und Schürzchen.
»Ich hätte gern Lord Brinkley gesprochen«, sagte ich im gebieterischen Ton meiner anspruchsvolleren Kunden.
»Er sein in Büro.«
»Und Lady Kitty?«, fragte ich, während ich mit der einen Hand die Tür aufhielt und mit der anderen Brian Sinclairs Visitenkarte zückte. Unter meinen Decknamen hatte ich Bruno Salvador geschrieben. Und auf die Rückseite das Wort Syndikatsdolmetscher.
»Da bleiben«, befahl das Hausmädchen, und diesmal gelang es ihr tatsächlich, mir die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Nur Sekunden später wurde sie von Lady Kitty höchstpersönlich wieder geöffnet.
Sie war die typische alterslose Dame der HighSociety: kurzer Rock, Gucci-Gürtel, glattes aschblondes Haar. Zwischen ihrem üppigen und überaus erlesenen Armschmuck bemerkte ich eine winzige Cartier-Uhr in zwei verschiedenen Goldtönen. Die seidenweißen Beine mündeten in italienische Schuhe von makelloser Eleganz. Die blauen Augen waren geweitet wie vom Abglanz einer fernen Schreckensvision.
»Sie wollen zu Brinkley«, teilte sie mir mit, während ihr Blick hurtig zwischen meiner Karte und meinem Gesicht hin und her huschte, als wollte sie mein Porträt zeichnen.
»Ich habe über das Wochenende einen ziemlich wichtigen Auftrag für ihn erledigt«, erklärte ich und hielt dann inne, unsicher, bis zu welchem Grade sie eingeweiht war.
»Dieses Wochenende?«
»Ich muß ihn sprechen. Es ist persönlich.«
»Hätten Sie nicht anrufen können?« fragte sie, ihre Augen noch runder als zuvor.
»Leider nicht.« Ich besann mich auf meine Rolle als Geheimnisträger. »Das wäre nicht angebracht – nicht sicher genug«, ergänzte ich vielsagend. »Nicht über das Telefon. Das ist uns nicht erlaubt.«
»Uns?«
»Den Leuten, die den Auftrag für Lord Brinkley erledigt haben.«
Sie führte mich ins Haus, ein paar Stufen hinauf in einen langen Salon mit hohen roten Wänden, goldenen Spiegeln und dem Duft von Tante Imeldas Willowbrook: getrocknete Wiesenblumen und Honig.
»Ich setze Sie mal hier rein«, verkündete sie und wies mich in einen kleineren Raum, der eine exakte Kopie des ersten war. »Brinkley müßte inzwischen zu Hause sein. Kann ich Ihnen etwas anbieten? Gott, sind Sie tugendhaft. Dann müssen Sie eben so lange seine Zeitung lesen.«
Kaum allein, nahm ich diskret meine Umgebung in Augenschein. Ein bauchiger antiker Schreibtisch, verschlossen. Gerahmte Photographien von Eton-Söhnen und zentralafrikanischen Führern. Maréchal Mobutu in prächtiger Uniform: Pour Jacques, mon ami fidèle, 1980. Die Tür ging auf. Lady Kitty steuerte zielstrebig auf ein Sideboard zu und entnahm ihm einen mattsilbernen Cocktailshaker und ein Glas.
»Seine Sekretärin, dieses ordinäre kleine Ding«, beklagte sie sich und äffte einen proletarischen Akzent nach: »›Jack ist in einer Besprechung, Kitty.‹ Gott, wie ich solche Leute hasse. Wozu ist man schließlich ein Peer, wenn einen jeder Jack nennen darf? Aber man kann natürlich nichts sagen, sonst wird man gleich vor ein Tribunal gestellt.« Sie drapierte sich effektvoll auf die Armlehne eines Sofas und schlug die Beine übereinander. »Ich habe ihr gesagt, es sei eine Krise. Ist es eine?«
»Nicht, wenn wir rechtzeitig handeln«, beruhigte ich sie.
»Keine Angst, das werden wir. In so etwas ist Brinkley ganz famos. Handeln ist seine große Stärke. Wer ist Maxie?«
Es gibt Zeiten im Leben eines Aushilfsagenten, da hilft nur noch die freche Lüge.
»Maxie? Nie gehört.«
»Aber natürlich kennen Sie ihn, warum hätten Sie sonst dieses alberne Stirnrunzeln aufgesetzt? Er ist auf jeden Fall mein Favorit, ob Sie ihn nun kennen oder nicht.« Sie zupfte versonnen an ihrer Designerbluse. »Was immer es ihm auch nützen mag, dem Armen. Sind Sie verheiratet, Bruno?«
Noch einmal leugnen? Oder sich so nah an die Wahrheit halten, wie es die Sicherheit erlaubte?
»Ja, ich bin verheiratet« – mit Hannah, nicht mit Penelope.