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Penelope: Meine Wohnung, Salvo! Die Wohnung, aus der du ausgezogen bist, nicht ich. Und du besitzt die Dreistigkeit, die Frechheit … Weißt du, was ich mache? Ich sag’s dir. Ich hetz dir die Bullen auf den Hals. Du kriegst eine Unterlassungsklage, die sich gewaschen hat. Meine Schränke. Daddys Schreibtisch – dein Schreibtisch – den er dir geschenkt hat – die Schlösser aufgebrochen – deine Papiere im ganzen Zimmer verstreut – (Atemzug) – und meine Sachen, du perverses Schwein – überall auf dem Schlafzimmerboden verteilt – (Atemzug) – Okay. Fergus ist schon auf dem Weg hierher. Paß also gut auf. Er ist kein Schlosser, aber er wird alles tun, damit du nie, nie wieder mit meinem Schlüssel in meine Wohnung kommst. Und wenn er damit fertig ist, dann bist du an der Reihe. Wenn ich du wäre, würde ich schleunigst Reißaus nehmen. Denn Fergus hat Beziehungen, Salvo, und zwar zu Leuten, die nicht unbedingt für ihre Zimperlichkeit bekannt sind. Und wenn du dir auch nur für einen Augenblick einbildest …

Wir lagen im Bett und versuchten den Ablauf zu rekonstruieren. Um zwanzig nach sieben hatte ich Lord Brinkleys Haus verlassen. Um circa zwanzigeinhalb nach sieben hatte er Philip oder sonstwen angerufen. Um halb acht hatte Philip oder sonstwer zuverlässig ermittelt, daß Penelope zu einem abendlichen Streifzug durch die Cocktailbars aufgebrochen war. Und falls er oder sonstwer es nicht längst gemerkt hatte, wußten sie spätestens jetzt, daß Spiders Restesack vier angeblich von mir benutzte, de facto aber leere Stenoblöcke enthielt und daß sich in seinem kostbaren Archiv sieben ebenso leere Kassetten befanden. Und wo begann man besser mit der Suche als in Salvos trautem Heim?

* * *

»Salvo?«

Schweigend haben wir eine Stunde vor uns hin gedämmert.

»Warum singt ein Mann, der gefoltert worden ist, ein kindisches Lied? Meine Patienten singen nicht, wenn sie Schmerzen haben.«

»Vielleicht freut er sich, daß er alles gebeichtet hat«, antwortet Salvo, der gute Katholik.

Ich kann nicht schlafen. Mit dem Transistorradio schleiche ich mich ins Bad und höre mir über Kopfhörer die BBC-Nachrichten an. Autobomben im Irak. Dutzende bei Aufständen getötet. Aber noch keine Meldung über einen Spitzendolmetscher und Aushilfsagenten des britischen Geheimdienstes auf der Flucht.

16

Den ganzen Nachmittag, um einen einzigen Mann zu suchen?« Ich gebe den eifersüchtigen Gatten, um ihren Aufbruch hinauszuzögern. »Was hast du mit ihm vor, wenn du ihn gefunden hast?«

»Salvo, du machst dich schon wieder lächerlich. Jemanden wie Baptiste kann man nicht einfach anrufen. Die Ruander sind sehr gerissen. Er muß seine Spuren verwischen, sogar vor seinen eigenen Anhängern. Und jetzt laß mich gehen, ja? Ich muß in vierzig Minuten in der Kirche sein.«

Ihre Kirche ist die Bethany-Pentecostal-Missionskirche, gelegen irgendwo im hintersten Nordlondon.

»Mit wem triffst du dich da?«

»Das weißt du ganz genau. Mit meiner Freundin Grace und den wohltätigen Damen, die den Reisebus bezahlen und die Übernachtungsmöglichkeiten für unsere Sonntagsschulkinder organisieren. Und jetzt laß mich bitte gehen.«

Sie hat sich feingemacht, auf dem Kopf ein hübsches kleines Hütchen und dazu ein langes blaues Kleid mit einem Bolero aus Rohseide. Sie braucht mir nicht zu erzählen, wie sie dazu gekommen ist, ich kenne die Geschichte auch so. Zu einem ganz besonderen Anlaß, zu Weihnachten oder ihrem Geburtstag, hat sie sich, nachdem die Miete bezahlt und der monatliche Unterhalt für Noah an ihre Tante überwiesen war, ein neues Kleid gegönnt. Sie hat es hundertmal gewaschen und gebügelt, und man merkt ihm an, daß es seine besten Tage hinter sich hat.

»Und der gutaussehende junge Pastor?« frage ich streng.

»Der ist fünfundfünfzig und mit einer Frau verheiratet, die ihn keine Sekunde aus den Augen läßt.«

Ich ringe ihr einen letzten Kuß ab, entschuldige mich, ringe ihr noch einen ab. Sekunden später ist sie aus dem Haus, läuft mit schwingendem Rock den Bürgersteig hinunter, während ich ihr vom Fenster aus nachschaue. Die ganze Nacht hindurch haben wir abwechselnd Liebes- und Kriegsrat gehalten. Die Belastungen, die unsere Beziehung in nur vier kurzen Tagen aushalten mußte, wünsche ich anderen Paaren für ihr ganzes Leben nicht. Mit meinen Beschwörungen, sich in Sicherheit zu bringen, solange es noch ging – mich in die Wüste zu schicken, weil ich für sie ja doch nur ein Klotz am Bein war, um ihrer selbst, um Noahs, um ihrer Karriere willen –, war ich auf taube Ohren gestoßen. Das Schicksal wollte es, daß sie mir beistand. Es war so vorherbestimmt. Von Gott, von einer Wahrsagerin in Entebbe und von Noah.

»Von Noah?« wiederhole ich lachend.

»Ich habe ihm gesagt, daß ich seinen neuen Vater kennengelernt habe, und er freut sich sehr.«

Manchmal bin ich zu englisch für sie, zu indirekt und zurückhaltend. Manchmal ist sie unerreichbar, eine afrikanische Frau im Exil, vereinnahmt von ihren Erinnerungen. Nach dem Einbruch in die Norfolk Mansions hätte ich am liebsten sofort meine Sachen gepackt, mir ein neues Versteck gesucht und in einem anderen Teil der Stadt von vorn angefangen. Hannah war anderer Ansicht. Sie meinte, wenn der Sturm erst einmal losbrach, würden wir uns durch einen plötzlichen Umzug eher verdächtig machen. Besser, wir blieben an Ort und Stelle und verhielten uns möglichst normal. Ich beugte mich ihrem Urteil, und wir gönnten uns ein gemütliches Frühstück mit den anderen Gästen, statt uns wie flüchtige Verbrecher auf unserem Zimmer zu verkriechen. Hinterher scheuchte Hannah mich nach oben, um unter vier Augen mit Mr. Hakim reden zu können, einem kleinen Pfau von einem Mann, der für weibliche Reize durchaus empfänglich war.

»Was hast du ihm erzählt?« fragte ich sie, als sie lachend hereinkam.

»Die Wahrheit, Salvo. Nichts als die Wahrheit. Nur nicht die ganze.«

Ich bestand auf einer ausführlichen Beichte. Auf Englisch.

»Ich habe ihm gesagt, daß wir ein durchgebranntes Liebespaar sind. Unsere wütende Verwandtschaft ist hinter uns her und verbreitet Lügen über uns. Entweder er beschützt uns, oder wir müssen uns eine andere Pension suchen.«

»Und was meinte er dazu?«

»Daß wir mindestens noch einen Monat bleiben können und er uns unter Einsatz seines Lebens beschützen wird.«

»Und das können wir ihm glauben?«

»Aber ja. Wenn du von deinem Judaslohn noch fünfzig Pfund drauflegst, verteidigt er uns wie ein Löwe. Dann kam seine Frau herein und sagte, sie würde uns gratis verteidigen. Wenn ihr jemand Schutz angeboten hätte, als sie noch jung war, hätte sie Mr. Hakim niemals geheiratet. Was beide sehr komisch fanden.«

Wir besprachen das heikle Kommunikationsproblem, das, wie ich aus dem Chatroom wußte, die Achillesferse eines jeden Geheimagenten war. In Mr. Hakims Reich gab es keinen öffentlichen Fernsprecher. Das einzige Haustelefon befand sich in der Küche. Mein Handy sei eine Todesfalle, ließ ich Hannah an meinem Insiderwissen teilhaben. Beim heutigen Stand der Technik könne man über ein eingeschaltetes Handy in Sekundenschnelle meinen Aufenthaltsort feststellen, ganz egal, in welchem Winkel des Planeten ich mich befand. Ich habe es selbst erlebt, Hannah, ich habe davon profitiert, wenn du wüßtest, was ich auf meinen Eintagesschulungen alles zu hören bekomme. Ich redete mich derart in Fahrt, daß ich mir sogar einen kleinen Exkurs über die Kunst gestattete, mit einer Rakete den Funkstrahl eines Handys anzupeilen und den Nutzer auf diese Weise zu enthaupten.

»Aber mein Handy fliegt dir nicht um die Ohren«, gab sie zurück und kramte einen regenbogenfarbenen Apparat aus den Untiefen ihrer Tragetasche hervor.

Mit einem Schlag war unsere geheime Verbindung hergestellt. Ich würde ihr Handy benutzen und sie sich das von Grace leihen. Falls ich Hannah in der Kirche anrufen mußte, konnte ich sie über Grace erreichen.