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Und unautorisiert?

Unautorisiert, aber auch das müsse bitte unter uns bleiben, bedeute keine Kirche oder bestenfalls eine der obskureren Art, es bedeute neues Geld und Verstärkung von außerhalb, zu deren Beschaffung jedes Mittel recht sei, ohne Rücksicht auf die Kosten. Kurz und gut, es bedeute eine Einstellung, die nichts mit Heimatverbundenheit zu tun habe, sondern eher zu einer Profimannschaft im Fußball passe. Ob sie sich deutlich genug ausgedrückt habe?

Und ob. Mr. Anderson hat im Leben noch nie etwas Unautorisiertes getan.

Nachdem ich auf Umwegen in Mr. Hakims Pension zurückgekehrt war – »taktische Haken schlagen« hätte Maxie es genannt –, rief ich sofort Hannah an, denn jetzt mußte sie unbedingt über meine grandiosen Machenschaften bis dato ins Bild gesetzt werden. Grace meldete sich, und sie hatte schlechte Neuigkeiten.

»Hannah ist echt down, Salvo. Diese Wohltätigkeitstanten sind so verkorkst, daß man sich fragt, wo sie ihre Wohltätigkeit überhaupt hernehmen.«

Als Hannah an den Apparat kam, erkannte ich ihre Stimme kaum wieder. Sie sprach englisch.

»Wenn wir nur ein kleines bißchen weniger schwarz wären, Salvo. Ein paar Tropfen weißes Blut, und wir wären akzeptabel. Nicht du, du gehst grade noch. Aber wir, wir sind eine Zumutung. Wir sind dunkelschwarz. Um uns kommt man nicht herum.« Sie stockte, fing sich aber wieder. »Drei von unseren Kindern sollten bei einer Mrs. Lemon schlafen. Sie haben die gute Mrs. Lemon noch nie gesehen, aber sie lieben sie, okay?«

»Okay.«

»Zwei Übernachtungen in einer Pension am Meer, das ist ein Traum für sie.«

Erneut mußte sie innehalten. »Mrs. Lemon ist Christin, deshalb wollte sie uns kostenlos aufnehmen. Amelia – eines von meinen Sonntagsschulkindern –, Amelia hat ein Bild gemalt, die strahlende Sonne über dem Meer, und die Sonne ist eine große, lachende Zitrone. Okay?«

»Okay.«

»Tja, und nun ist Mrs. Lemon plötzlich unpäßlich.« Mit lauter Stimme imitierte sie Mrs. Lemon. »Ich muß an mein Herz denken, meine Liebe. Ich darf mich nicht aufregen. Ich hatte ja keine Ahnung. Wir dachten doch, die Kinder wären einfach nur arm.«

Grace nimmt ihr das Handy ab. Sie ist ebenso aufgebracht wie Hannah. »Unterwegs nach Bognor gibt es auf halber Strecke ein Café, Salvo. Reisebusse willkommen. Hannah und ich, wir haben mit dem Café alles ausgehandelt. Dreißigmal Chicken Nuggets, kostenlose Mahlzeiten für die Betreuer und den Fahrer. Ein Kaltgetränk für jeden. Hundert Pfund. Ist das fair?«

»Sehr fair, Grace. Sehr anständig, würde ich sagen.«

»Der Fahrer, er kennt das Café, er macht mit seinen Reisegruppen schon seit fünfzehn Jahren da Rast. Schulklassen, Jugendclubs, alle möglichen Kids. Aber alle weiß. Als dem Besitzer klarwurde, daß unsere Kids alle schwarz sein würden, ist ihm urplötzlich eine neue Regel eingefallen. ›Es ist wegen den Senioren‹, hat er gesagt. ›Die wollen ihre Ruhe haben. Darum bedienen wir keine Kinder mehr, nur weiße.‹«

»Weißt du was, Salvo?« Hannah ist wieder da, und diesmal klingt sie kampflustig.

»Was denn, Liebes?«

»Vielleicht sollte der Kongo mal in Bognor einmarschieren.«

Ich lache, sie lacht. Soll ich ihr von meinem brillanten Plan erzählen und sie noch mehr aufregen, oder warte ich damit lieber bis später? Lieber warten, sage ich mir. Mit der Suche nach Baptiste hat sie fürs erste genug am Hals.

Mein brillanter Plan verlangt nach Schriftlichem.

Ich setze mich an meinen Laptop und arbeite fünf Stunden durch, nur gestärkt von einem Stück kalter Lasagne. Anhand der brisantesten Passagen von den Kassetten und Stenoblöcken, die ich, wo nötig, ins Englische übersetze, plus einer Auswahl an PhilipZitaten aus seinem Telefonat, stelle ich ein vernichtendes Exposé der Intrige zusammen, die laut Mr. Anderson im besten Interesse unseres Landes sein sollte. Unter Verzicht auf jede traditionelle Anrede gehe ich gleich aufs Ganze: Da ich Sie als integren Ehrenmann kenne … Da ich ihn außerdem als einen ebenso gründlichen wie langsamen Leser kenne, der größten Wert auf einen schnörkellosen Stil legt, beschränke ich mich auf zwanzig sorgsam durchkomponierte Seiten, die mit einem Bericht von dem Einbruch in die Norfolk Mansions enden. Zum krönenden Abschluß verpasse ich meinem vollendeten Opus den Titel J’accuse!, nach Émile Zolas unerschrockener Streitschrift für den Hauptmann Dreyfus, dieser Saga moralischer Beharrlichkeit, die Pater Michael so geliebt hat. Ich kopiere alles auf Diskette und laufe nach unten zu Mrs. Hakim, die einen Drucker hat. Dann zerbreche ich die Diskette, werfe sie in der Küche in den Müll, verstaue die gestohlenen Kassetten und Stenoblöcke samt meinem Ausdruck von J’accuse! in ihrem Versteck hinter dem altersschwachen Kleiderschrank und schalte die Achtzehn-Uhr-Nachrichten ein, die zu meiner Freude immer noch keine beunruhigenden Meldungen über ein wild gewordenes Zebra auf der Flucht bringen.

* * *

Ich war wenig begeistert von den operativen Vorbereitungen für unser Stelldichein mit Baptiste, aber das hatte ich auch nicht anders erwartet. Da er seine derzeitige Adresse keinesfalls preisgeben wollte, hatten Hannah und er über meinen Kopf hinweg vereinbart, daß sie mit mir am selben Abend um halb elf in Rico’s Coffee Parlour in der Fleet Street warten würde. Dort würde uns ein namenloser Waffenbruder abholen und an ein namenloses Ziel verbringen. Mein erster Gedanke galt den Bändern und Blöcken. Mitnehmen oder im Versteck lassen? Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, daß ich sie Baptiste gleich bei unserer ersten Begegnung aushändigen würde, aber aus Solidarität mit Hannah mußte ich sie wohl oder übel einstecken.

Nach den Rückschlägen des Vormittags und den Anstrengungen des Nachmittags rechnete ich damit, daß sie düsterer Stimmung sein würde, doch zu meiner Erleichterung war sie blendend gelaunt. Grund dafür war Noah, mit dem sie eine Stunde zuvor ausgiebig telefoniert hatte. Wie üblich hatte sie zuerst mit ihrer Tante gesprochen, für den Fall, daß es schlechte Neuigkeiten gab, aber die Tante hatte nur gesagt: »Er soll es dir selber sagen, Hannah« und ihn an den Apparat geholt.

»Stell dir vor, Salvo, er hat die drittbesten Noten in der ganzen Klasse«, erzählte sie strahlend. »Wir haben Englisch miteinander gesprochen, er ist schon richtig gut. Ich konnte es kaum glauben. Und gestern hat seine Fußballmannschaft die Stadtmeisterschaft von Kampala gewonnen, und Noah hätte fast ein Tor geschossen.«

Während ich mich noch mit ihr freute, hielt vor dem Café mit kreischenden Bremsen ein malvenfarbener BMW an, aus dessen offenen Fenstern Rap-Musik dröhnte. Der Fahrer trug eine dunkle Brille und einen Spitzbart wie Dieudonné. Der stämmige Afrikaner auf dem Beifahrersitz erinnerte mich an Franco. Wir sprangen hinein, der Fahrer gab Gas. In rasanter Fahrt ging es auf einem wilden Zickzackkurs nach Süden, ohne Rücksicht auf Ampeln oder Busspuren. Wir ruckelten über eine von Schlaglöchern durchsetzte Industriebrache mit Reifendeponien und mußten scharf einem Rollstuhl ausweichen, in dem drei johlende Jugendliche aus einer Einmündung geschossen kamen, einer über den anderen gestapelt, die Arme ausgebreitet wie die Akrobaten. Dann hielten wir, und der Fahrer brüllte: »Jetzt!« Der BMW wendete zackig und raste davon. Wir standen in einer stinkenden, kopfsteingepflasterten Gasse. Aus dem orangeroten Nachthimmel über den viktorianischen Kaminen lugten riesige Kräne auf uns herab wie Giraffen. Zwei Afrikaner kamen uns entgegengeschlendert. Der größere trug einen seidenen Gehrock und war über und über mit Gold behangen.

»Ist das der Typ ohne Namen?« fragte er Hannah auf Kongo-Swahili.

Du sprichst nur Englisch, Salvo, hatte sie mir eingeschärft. Wer unsere Sprache spricht, für den interessiert man sich zu sehr. Dafür hatte sie sich überreden lassen, daß wir für die Dauer der Unterredung nur Freunde und kein Liebespaar darstellen wollten. Daß sie überhaupt in diese Geschichte hineingeraten war, war meine Schuld. Ich wollte sie unter keinen Umständen noch tiefer darin verstricken.