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»Was ist in der Tasche da?« fragte der kleinere der Männer, ebenfalls auf Swahili.

»Das ist für Baptiste persönlich«, gab Hannah zurück.

Der Große kam auf mich zu und tastete mit schlanken Fingern die Umhängetasche ab, ohne sie jedoch zu öffnen. Mit seinem Kollegen als Nachhut gingen wir hinter ihm eine steinerne Treppe hinauf in das Haus, wo uns ebenfalls Rap-Musik entgegenschlug. In einem neonhellen Café saßen ältere Afrikaner mit Hüten vor einem riesigen Plasmabildschirm, auf dem sich eine kongolesische Band die Seele aus dem Leib spielte. Die Männer tranken Bier, die Frauen Saft. An ein paar anderen Tischen steckten Jugendliche in Kapuzenshirts die Köpfe zusammen. Über eine weitere Treppe gelangten wir in einen Salon mit Chintzsofas, einer Velourstapete und Läufern aus synthetischem Leopardenfell. An der Wand hing die Photographie einer afrikanischen Familie im Sonntagsstaat. Mutter und Vater standen in der Mitte, ihre sieben Kinder, aufgereiht wie die Orgelpfeifen, rechts und links von ihnen. Hannah nahm auf dem Sofa Platz, ich auf einem Stuhl gegenüber. Der große Mann blieb in der Tür stehen und klopfte mit dem Fuß den Rhythmus der Musik mit, die aus dem Café heraufdrang.

»Wollen Sie was trinken? Cola oder was?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Und was ist mit ihr?«

Draußen auf der Straße hielt leise ein Wagen. Eine Tür ging auf und fiel mit sattem Schmatzen wieder ins Schloß. Schritte auf der Treppe. Baptiste war ein Haj ohne dessen Eleganz. Er war schlank, hohlwangig, langgliedrig und von Kopf bis Fuß in Designerware gekleidet: Ray-Ban-Sonnenbrille, Wildlederjacke, goldene Halsketten, dazu Texasstiefel, die mit Cowboyhüten bestickt waren. Etwas Unwirkliches umgab ihn, als wären nicht nur seine Sachen, sondern auch der Körper, der darin steckte, neu gekauft. Am rechten Handgelenk trug er eine goldene Rolex. Als Hannah ihn sah, sprang sie freudig auf und rief seinen Namen. Ohne zu antworten, zog er die Jacke aus, warf sie über einen Stuhl und murmelte unserem Führer »Abgang« zu, woraufhin sich dieser nach unten trollte. Dann stellte er sich breitbeinig und mit vorgerecktem Becken hin und streckte Hannah beide Hände entgegen, auf daß sie ihn umarme. Was sie nach kurzem Stutzen auch tat – nur um anschließend in Gelächter auszubrechen.

»Was hat Amerika denn mit dir gemacht, Baptiste?« rief sie auf Englisch, wie vereinbart. »Du bist ja so« – sie suchte nach dem richtigen Wort –, »so reich geworden!«

Statt einer Antwort küßte er sie, und zwar auf eine übertrieben besitzergreifende Art, wie ich fand, linke Wange, rechte Wange und ein zweites Mal die linke, wobei er mich über ihre Schulter hinweg taxierte.

* * *

Hannah hatte ihren Platz auf dem Sofa wieder eingenommen. Ich saß ihr gegenüber auf dem Stuhl, die Umhängetasche neben mir. Baptiste, der Entspannteste von uns allen, fläzte in einem Brokatsessel, die Beine Hannah entgegengespreizt, als wollte er sie zwischen seine Schenkel nehmen.

»Also, wo brennt’s?« fragte er, die Daumen wie ein Blair oder Bush in seinen Gucci-Gürtel geklemmt.

Ich wollte die Sache schrittweise angehen, ihn schonend vorbereiten auf den Schock, den ich ihm notgedrungen versetzen mußte. So behutsam wie möglich – und, wie ich rückblickend zugeben muß, mit einem Hauch von Weitschweifigkeit à la Mr. Anderson – warnte ich ihn vor, daß ihn das, was ich ihm mitzuteilen hatte, höchstwahrscheinlich in einen Loyalitätskonflikt stürzen und bestimmte Erwartungen, die er hinsichtlich einer charismatischen und geachteten Persönlichkeit der kongolesischen Politszene hege, enttäuschen werde.

»Reden Sie über den Mwangaza, oder was?«

»So leid es mir tut«, antwortete ich zerknirscht.

Es sei mir wahrlich keine Freude, ihm eine schlechte Nachricht überbringen zu müssen, aber ich hätte einer Person aus meinem Bekanntenkreis, die ungenannt bleiben solle, ein Versprechen gegeben, das ich hier und heute erfüllen müsse. Auf diese fiktive Figur hatten Hannah und ich uns nach langer Diskussion geeinigt. Ich muß hier einschieben, daß mir kaum etwas mehr gegen den Strich geht, als mit einer schwarzen Brille zu reden. In Extremfällen habe ich Kunden sogar schon gebeten, sie abzusetzen, mit der Begründung, sie beeinträchtige mein Kommunikationsvermögen. Aber um Hannahs willen machte ich gute Miene zum bösen Spiel.

»Was heißt hier Person? Männlein? Weiblein? Oder was?«

»Das ist eine Information, die ich nicht preisgeben kann«, erwiderte ich, froh um die Gelegenheit, gewisse Dinge gleich einmal klarzustellen. »Sagen wir der Einfachheit halber er«, fügte ich einlenkend hinzu. »Dieser Bekannte, eine meines Erachtens absolut vertrauenswürdige und integre Person, übt eine äußerst geheime Tätigkeit für die Regierung aus.«

»Die britische Regierung?« Der höhnische Unterton, verbunden mit der Ray-Ban und dem amerikanischen Akzent, hätte mich durchaus in Rage bringen können, wäre er nicht ein guter Freund von Hannah gewesen.

»Die Aufgaben meines Bekannten«, fuhr ich fort, »verschaffen ihm regelmäßige Einblicke in die Kommunikation zwischen afrikanischen Nationen und den europäischen Institutionen, mit denen sie in Kontakt stehen.«

»Institutionen? Was für Institutionen, verflucht? Regierungen, oder was?«

»Nicht unbedingt, Baptiste. Es gibt auch noch andere Institutionen als Regierungen. Viele sind mächtiger als Regierungen, und schwerer faßbar. Und sie haben mehr Geld.«

Ich sah hilfesuchend zu Hannah hinüber, doch sie hatte die Augen geschlossen wie zum Gebet.

»Was mir mein Bekannter nun anvertraut hat – nach langem inneren Ringen und unter dem Siegel der Verschwiegenheit« – ich beschloß, ohne weitere Umschweife zur Sache zu kommen –, »ist folgendes: Kürzlich hat auf einer Nordseeinsel ein geheimes Treffen stattgefunden« – ich machte eine Pause, um den Satz wirken zu lassen – »und zwar zwischen Ihrem Mwangaza und – so leid es mir tut – den Repräsentanten gewisser ostkongolesischer Milizen.« Die Gesichtshälfte unter der Brille verriet kein Anzeichen heraufdämmernden Begreifens. Lediglich seine Lippen spannten sich kaum merklich. »Außerdem nahmen daran auch noch andere Repräsentanten teil, nämlich die eines anonymen Syndikats internationaler Investoren. Auf der genannten Konferenz einigte man sich auf einen gemeinsamen Militärputsch gegen Kivu mit Hilfe westlicher und afrikanischer Söldner.« Noch immer keine Reaktion. »Ein verdeckter Putsch. Zu dem sich niemand bekennt. Unter Einsatz der örtlichen Milizen, mit denen sie einen Deal ausgehandelt haben. Wobei es sich bei diesen Milizen um Einheiten der Mai Mai und der Banyamulenge handelt.«

Haj und Luc hatte ich, einem Instinkt folgend, aus meiner Gleichung vorerst herausgelassen. Wieder warf ich einen Blick zu Baptiste hinüber, um zu sehen, wie er es aufnahm. Seine Ray-Ban war, soweit ich das erkennen konnte, auf Hannahs Busen gerichtet.

»Der vorgebliche Zweck dieses Militärputsches«, fuhr ich etwas lauter fort, »ist die Schaffung eines geeinten und demokratischen Kivu, Nord und Süd. Der wahre Zweck jedoch ist ein etwas anderer. Das Syndikat will sich alle Bodenschätze im Ostkongo unter den Nagel reißen, darunter auch große Coltanvorkommen. Den Investoren würden Millionen und Abermillionen in die Taschen fließen, und für die Menschen in Kivu bliebe nichts übrig, kein müder Dollar.«

Nicht die leiseste Kopfbewegung, nicht die kleinste Richtungsänderung der Ray-Ban.

»Das Volk wird geprellt. Aufs Kreuz gelegt, wie üblich«, ereiferte ich mich. Langsam hatte ich das Gefühl, nur noch mit mir selbst zu reden. »Die älteste Geschichte der Welt. Reine Abzockerei.« Meine Trumpfkarte hatte ich mir bis zuletzt aufgespart. »Und Kinshasa ist in die Pläne eingeweiht. Kinshasa drückt ein Auge zu, solange es selbst einen Schnitt machen kann, und das heißt in diesem Fall, daß es den Volksanteil einstreicht. Und zwar den gesamten.«

Über uns schrie ein Kind und wurde getröstet. Hannah lächelte versonnen, doch ihr Lächeln galt dem Kind, nicht mir. Baptistes Augenbalken übte eine zunehmend lähmende Wirkung auf meine erzählerischen Fähigkeiten aus.