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»Nun ja, sie sind nicht alle voll. Spider hält sich an die Chatroom-Regeln. Also ein Band pro Aufzeichnung.«

»Bitte, Salvo. Wie viele?«

»Sieben.«

»Gibt es auch schriftliches Beweismaterial?«

»Nur meine Stenoblöcke.«

»Und wie viele von Ihren Stenoblöcken wären das?«

»Vier. Drei volle, ein halbvoller. In meiner babylonischen Keilschrift«, fügte ich hinzu, unser alter Witz.

»Und wo mögen sie wohl sein, Salvo? Das frage ich Sie. Wo sind sie in diesem Augenblick? Jetzt?«

»Die Söldner? Maxies Privatarmee?« Ich tat so, als ob ich ihn nicht verstand. »Hocken noch irgendwo herum, würde ich meinen. Ölen ihre Waffen, oder was sie eben sonst so machen. Der Angriff soll ja erst in zehn Tagen stattfinden, da müssen sie noch eine Weile Däumchen drehen.«

Aber so leicht ließ er sich denn doch nicht ablenken.

»Ich denke, Sie wissen, was ich meine, Salvo. Die Bänder, Stenoblöcke und das sonstige Material, das Sie sich widerrechtlich angeeignet haben. Was haben Sie damit gemacht?«

»Versteckt.«

»Wo?«

»An einem sicheren Ort.«

»Ich bitte Sie, Salvo. Was für eine kindische Antwort. Wo befindet sich der sichere Ort, an dem sie versteckt sind?«

Mein Mund blieb zu, nicht störrisch zusammengekniffen, aber zu, auch wenn es mich in den Lippen kribbelte, als ob sie unter Strom stünden.

»Salvo.«

»Ja, Mr. Anderson.«

»Sie wurden auf meine persönliche Empfehlung für diese Mission ausgewählt. Es gibt mehr als einen, der Sie nicht genommen hätte. Der der Meinung war, Ihr Temperament und Ihre unorthodoxe Herkunft würden Sie für eine solche Aufgabe disqualifizieren. Ich war nicht dieser Meinung.«

»Das weiß ich, Mr. Anderson. Und ich bin Ihnen dankbar. Deshalb komme ich ja auch zu Ihnen.«

»Also, wo sind sie?« Er wartete einen Augenblick und fuhr dann fort, als ob er die Frage nie gestellt hätte. »Ich habe Sie beschützt, Salvo.«

»Ich weiß, Mr. Anderson.«

»Vom ersten Tag an habe ich die Hand über Sie gehalten. Nicht nur im Chatroom, auch außerhalb gab es Leute, die dagegen waren, Sie zu verpflichten, Ihre Talente hin oder her.«

»Ich weiß.«

»Manche waren der Meinung, Sie seien zu leicht zu beeinflussen. Angefangen bei den Leuten von der Sicherheitsüberprüfung. Viel zu weichherzig, hieß es. Nicht manipulativ genug. An Ihrer alten Schule hielt man es für möglich, daß Sie sich zum Rebellen entwickeln. Und dann die Frage Ihrer persönlichen Neigungen, die ich hier nicht weiter vertiefen möchte.«

»An der Front ist inzwischen alles geklärt.«

»Ich habe zu Ihnen gestanden, durch dick und dünn. Ich habe mich für Sie in die Bresche geworfen. Jederzeit und ohne zu zaudern. ›Salvo ist der Beste‹, habe ich ihnen gesagt. ›Es gibt in unserer ganzen Branche keinen besseren Linguisten, solange er nicht den Kopf verliert, und den verliert er nicht, dafür sorge ich schon.‹«

»Das ist mir klar, Mr. Anderson. Das weiß ich zu schätzen.«

»Sie wollen doch eines Tages Kinder haben, nicht wahr? Das haben Sie mir selbst gesagt.«

»Ja.«

»Kinder zu haben ist nicht immer eitel Sonnenschein, durchaus nicht. Aber man liebt sie trotzdem, auch wenn sie einen noch so enttäuschen. Man hält zu ihnen, und genau das versuche ich auch bei Ihnen. Ist Ihnen inzwischen wieder eingefallen, wo sich die Bänder befinden?«

Um nicht etwa aus Versehen mehr zu sagen, als ich wollte, zupfte ich nachdenklich mit Daumen und Zeigefinger an meiner Unterlippe.

»Mr. Anderson, die Operation muß abgeblasen werden«, sagte ich schließlich.

Worauf er den silbernen Drehbleistift mit beiden Händen vom Tisch nahm, eine Zeitlang stumm Zwiesprache mit ihm hielt und ihn zuletzt wieder in der Brusttasche versenkte. Aber seine Hand blieb in der Jacke, so wie bei Maxie in seiner Napoleonpose.

»Und das ist endgültig, ja? Das ist Ihr letztes Wort in dieser Angelegenheit. Kein Dankeschön, keine Entschuldigung, keine Kassetten oder Stenoblöcke. Nur: ›Die Operation muß abgeblasen werden.‹«

»Ich gebe Ihnen die Kassetten und Blöcke. Aber erst, wenn Sie die Operation abgeblasen haben.«

»Und wenn ich es nicht tue? Wenn ich weder die Neigung noch die Macht habe, sie abzublasen?«

»Dann übergebe ich sie jemand anderem.«

»Ach ja? Und wem?«

Der Name Haj lag mir auf der Zunge, aber ich beherrschte mich.

»Meinem Unterhausabgeordneten zum Beispiel«, antwortete ich, womit ich nur verächtliches Schweigen erntete.

»Was wäre denn nun Ihrer ehrlichen Meinung nach dadurch gewonnen, daß man die Operation ›abbläst‹, wie Sie es formulieren?« hakte er nach einer Weile nach.

»Frieden, Mr. Anderson. Ein gottgefälliger Frieden.«

Daß ich mich so hoffnungsvoll auf Gott berief, schien in ihm den richtigen Nerv getroffen zu haben, denn ein Ausdruck tiefster Frömmigkeit breitete sich auf seinen grobschlächtigen Zügen aus.

»Ist Ihnen nie der Gedanke gekommen, es könnte Gottes Wille sein, daß die rapide zu Ende gehenden Rohstoffvorkommen der Welt besser bei zivilisierten, kultivierten Christenmenschen aufgehoben sind als in den Händen von Heiden, deren Rückständigkeit auf Erden ihresgleichen sucht?«

»Ich bin mir nur nicht sicher, wer hier die Heiden sind, Mr. Anderson.«

»Aber ich«, erwiderte er und stand auf. Dabei kam die Hand wieder aus der Jacke zum Vorschein, darin ein Handy. Offenbar hatte er es während der Chorprobe ausschalten müssen, denn sein dicker Daumen krümmte sich noch um den oberen Teil, während er daraufwartete, daß er ein Netz bekam. Sein schwerer Körper schob sich nach links, vermutlich, um mir den Weg zur Tür zu versperren. Also machte ich ebenfalls einen Schritt nach links, jedoch nicht, ohne unterwegs mein J’accuse! wieder an mich zu nehmen.

»Ich werde jetzt einen sehr speziellen Anruf tätigen, Salvo.«

»Das weiß ich, Mr. Anderson. Es wäre mir lieber, Sie würden es nicht tun.«

»Dieser Anruf wird Erschütterungen auslösen, die sich Ihrer und auch meiner Kontrolle entziehen. Ich möchte Sie bitten, mir hier und jetzt einen Grund zu nennen, warum er unterbleiben sollte.«

»Es gibt Millionen Gründe, Mr. Anderson. Überall in Kivu. Der Coup ist ein krimineller Akt.«

»Ein Schurkenstaat, Salvo – ein Staat, der nicht fähig ist, für geordnete Lebensverhältnisse zu sorgen, ein Staat, der in großem Maßstab Völkermord, Kannibalismus und Schlimmeres begeht, hat meiner wohlüberlegten Meinung nach« – noch ein Schritt – »jeglichen Anspruch auf internationale Achtung verwirkt« – er hatte mir den Fluchtweg fast abgeschnitten – »genauso, wie ein schurkenhaftes Element in unserer eigenen Gesellschaft – ein Schurke wie Sie, Salvo – das Recht verwirkt hat, zum Nachteil seiner Wahlheimat seiner Naivität zu frönen. Bitte bleiben Sie, wo Sie sind, es besteht keine Veranlassung näherzukommen. Was ich Ihnen zu sagen habe, können Sie auch dort hören, wo Sie stehen. Ich frage Sie ein allerletztes Maclass="underline" Wo befindet sich das unterschlagene Material? Alles weitere wird zu seiner Zeit geklärt werden. In zwanzig Sekunden werde ich den Anruf tätigen. Im gleichen Moment oder kurz vorher werde ich eine Jedermann-Festnahme vornehmen. Ich werde Ihnen die Hand auf die Schulter legen, wie es das Gesetz verlangt, und sagen: ›Bruno Salvador, hiermit nehme ich Sie fest, im Namen des Gesetzes.‹ Salvo. Ich möchte Sie daran erinnern, daß ich ein kranker Mann bin. Ich bin achtundfünfzig Jahre alt und leide an Altersdiabetes.«

Ich hatte ihm das Telefon aus der Hand genommen. Er ließ es geschehen. Wir standen voreinander, Auge in Auge, ich einen halben Kopf größer als er, was ihn sichtlich mehr überraschte als mich. Hinter der geschlossenen Tür rang der Chor von Sevenoaks ohne die Hilfe seines stimmmächtigsten Baritons um die angemessene Entrüstung.

»Salvo. Ich stelle Sie vor eine faire Wahl. Wenn Sie mir hier und jetzt Ihr Ehrenwort geben, daß Sie und ich das Material morgen früh – als allererstes – zusammen aus seinem Versteck holen, lade ich Sie ein, als mein Gast bei mir in Sevenoaks zu übernachten, mit mir und meiner Familie gemütlich zu Abend zu essen, schlichte Hausmannskost, nichts Exotisches, das Zimmer meiner ältesten Tochter ist frei, sie wohnt momentan nicht bei uns. Und um mich für die Rückgabe des Materials zu revanchieren, werde ich es mir zur Aufgabe machen, mit bestimmten Leuten zu reden und ihnen zu versichern – Vorsicht, Salvo, nicht doch …«