Obwohl Thornes Begeisterung Musik in meinen Ohren war, sah ich es als meine Pflicht an, ihn an das übergeordnete Ziel der Story zu erinnern.
»Wir sind nicht nur hinter Jack her, Fergus.«
»Keine Bange, Mann. Wir kriegen auch seine Kumpel am Arsch. Und wenn sie ihm alles in die Schuhe schieben, um so besser.«
»Ich meine, wir müssen einen Krieg verhindern. Der Coup muß abgeblasen werden.«
Thornes blutunterlaufene Augen, die immer zu klein für sein Gesicht wirkten, musterten mich mit ungläubiger Verachtung. »Sie wollen, daß wir den Coup verhindern und den Artikel nicht bringen? MANN BEISST HUND NICHT. Meinen Sie das?«
»Ich denke bloß, daß die ganzen Nachforschungen, die Sie anstellen wollen – über den Hubschrauber, die Insel, den Freßkorb –, viel zu lange dauern. Wir haben nur noch neun Tage.« Ich wurde mutiger. »Entweder Sie bringen die Story sofort oder gar nicht, Fergus. Das ist der Deal. Nach dem Coup ist es zu spät. Dann könnte sich der Ostkongo bereits im freien Fall befinden.«
»Ausgeschlossen.«
Er schob mir J’accuse! über den Tisch zu. »Wir brauchen hieb- und stichfeste Beweise. Von vorne bis hinten juristisch abgeklopft. Was Sie mir hier anbieten, das ist ein Dreck, eine Inhaltsangabe. Ich brauche Jack Brinkley mit runtergelassener Hose und den Händen in der Ladenkasse. Sonst hat er mich nämlich ganz schnell am Arsch und läßt mich vor dem hohen Gericht zu Kreuze kriechen.«
Der Augenblick, auf den ich die ganze Zeit schon voll Bangen wartete, war gekommen.
»Und wenn ich diese Beweise bei mir hätte? Handfeste Beweise? Hier und jetzt?«
Er beugte sich vor, die Fäuste auf dem Tisch geballt.
Ich beugte mich vor. Jelly und Sophie ebenfalls. Ich sprach langsam und bedächtig.
»Wenn ich Brinkleys Stimme hätte – laut und deutlich auf einem Digitalband –, wie er Bestechungsgelder in Höhe von drei Millionen Dollar für einen kongolesischen Delegierten absegnet, über Satellitentelefon, im Auftrag des namenlosen Syndikats –, würde Ihnen das als Beweis ausreichen?«
»Mit wem telefoniert er?«
»Mit Philip. Dem unabhängigen Berater. Philip muß mit dem Mitglied des Syndikats reden, das berechtigt ist, drei Millionen Dollar zu genehmigen. Dieses Syndikatsmitglied ist Jack Brinkley. Sie können das gesamte Gespräch anhören, von der Stelle an, wo der Delegierte das Geld verlangt, bis dahin, wo Brinkley grünes Licht gibt.«
»Erzählen Sie mir keinen Scheiß, Mann!«
»Das ist die Wahrheit.«
»Ich muß das Band sehen. Ich muß das Band hören. Ich muß das Band von einer Bischofskonferenz überprüfen lassen.«
»Werden Sie. Sollen Sie. Wir können sofort in Ihr Büro gehen und es abspielen. Sie können mich befragen, und ich werde Ihnen die ganze Geschichte haarklein erzählen. Sie können mich knipsen und mein Photo neben das von Brinkley auf die Titelseite bringen. Unter einer Bedingung.« Ich schloß die Augen und öffnete sie wieder. War das wirklich ich, der hier so auftrumpfte? »Geben Sie mir vor diesen beiden Zeugen Ihr Ehrenwort, daß Sie die Story in der Sonntagsausgabe veröffentlichen? Ja oder nein?«
In einer Stille, die mir bis heute in den Ohren dröhnt,
holte ich die Umhängetasche unter dem Tisch hervor, behielt sie aber vorsichtshalber noch auf dem Schoß. Die Stenoblöcke waren in dem großen Fach, die sieben Bänder in dem kleineren. Mit der linken Hand preßte ich die Tasche an mich, mit der rechten machte ich den Reißverschluß des kleineren Fachs auf und wartete auf seine Antwort.
»Bedingung akzeptiert«, knurrte er.
»Dann also ja?«
»Ja, verdammt. Die Story kommt am Sonntag raus.«
Ich drehte mich zu Jelly und Sophie und sah ihnen in die Augen. »Sie haben es gehört. Er bringt die Story am Sonntag.«
»Ja.«
»Ja.«
Ich steckte die Hand in die Tasche. Methodisch tastete ich mich durch die Kassetten, auf der Suche nach Band Nummer fünf, auf dem Haj verhört wurde, und Band Nummer sechs, auf dem Lord Brinkley die drei Millionen Dollar absegnete. Während meine Finger über den Stapel hin und her wanderten, dämmerte mir – sehr allmählich zwar, aber ohne daß es mich sonderlich überrascht hätte – die Erkenntnis, daß es erstens nur fünf Bänder waren statt sieben und daß zweitens die Nummern fünf und sechs fehlten. Ich machte das große Fach auf und suchte zwischen den Stenoblöcken herum. Der Form halber überprüfte ich sogar das kleine Täschchen auf der Rückseite, in das höchstens eine Fahrkarte oder ein Schokoriegel gepaßt hätte. Auch dort waren sie nicht, aber wie sollten sie auch? Sie waren in Bognor.
Inzwischen war ich im Geiste so sehr damit beschäftigt, die jüngsten Ereignisse zu rekonstruieren, daß ich kaum mehr Augen für mein Publikum hatte, dessen Reaktion, wenn ich mich recht erinnere, von Skepsis – Thorne – bis zu übertriebener Besorgnis – Jelly – reichte. Ich entschuldigte mich – wie dumm von mir, muß sie wohl zu Hause vergessen haben und so weiter. Ich schrieb mir Sophies Handynummer auf, damit ich sie anrufen konnte, wenn ich sie gefunden hatte. Ich ignorierte Thornes eisigen Blick und seine Andeutungen, daß ich ihn ja offensichtlich zum Narren hätte halten wollen. Ich verabschiedete mich von ihnen – bis später also –, aber das kaufte mir, glaube ich, keiner von uns ab, ich selber am allerwenigsten. Dann nahm ich mir ein Taxi und ließ mich, ohne eine Deckadresse zu nennen, direkt nach Hause zu Mr. Hakims Pension fahren. Machte ich Hannah Vorwürfe? Ganz im Gegenteil. In mir wallte eine derartige Zärtlichkeit auf, daß ich sie, noch ehe ich die Geborgenheit unseres Allerheiligsten erreicht hatte, nur noch bewundern konnte für den Mut, mit dem sie sich über alle Widerstände hinweggesetzt hatte, sprich: über mich. Als ich vor dem Kleiderschrank stand, war ich nicht empört, sondern stolz, festzustellen, daß Hajs Visitenkarte mit der zittrigen E-Mail-Adresse ebenso verschwunden war wie die Bänder. Sie hatte von Anfang an gewußt, daß Brinkley uns nicht weiterhelfen würde. Sie brauchte keine Eintagesschulungen in Eigensicherung, um zu wissen, daß sie in der Person von Salvo mit den Überresten einer fehlgeleiteten Loyalität zu kämpfen hatte, die sich wie ein Virus in meinem System eingenistet hatte und noch eine Weile darin herumspuken würde. Sie wollte nicht, daß Noah seinen Geburtstag in einem Kriegsgebiet verbringen mußte. Sie hatte ihren Weg gewählt, genau wie ich. Beide waren wir von unserem Kurs abgekommen, nur hatten wir uns in entgegengesetzte Richtungen gewandt, sie hin zu ihren Leuten, ich zu meinen. Sie hatte nichts getan, was ich ihr hätte vergeben müssen. Auf dem Kaminsims stand das Programm der Sonntagsschulkinder: 12 Uhr Picknick und Gesang im YMCA … 14.30 Uhr Bognor Dance & Drama Club: Der Wind in den Weiden … 17.30 Uhr Geselliges Beisammensein. Fünf Stunden. Noch fünf Stunden, bis ich ihre bedingungslose Liebeserklärung erwidern konnte.
Ich schaltete die Mittagsnachrichten an. Neue Gesetzesvorhaben zur Bekämpfung islamistischer Aufwiegler. Geheime Sondertribunale für Terroristen. Mutmaßlicher ägyptischer Bombenleger in Pakistan von US-Team aufgegriffen. Polizei fahndet nach einem dreißigjährigen Mann afrokaribischer Herkunft in Verbindung mit – jetzt kommt’s! – der Tötung zweier minderjähriger Mädchen.
Ich lasse mir ein Bad ein. Lege mich hinein. Ertappe mich dabei, wie ich versuche, Hajs Missionsschullied zu singen. Warum singt ein gefolterter Mann, hat sie mich gefragt. Ihre Patienten singen auch nicht, warum also Haj? Warum sollte ein erwachsener Mann, der schwer mißhandelt wurde, ein trauriges Lied über die Tugend eines kleinen Mädchens singen?
Ich steige aus der Wanne, stelle mich schräg neben das Fenster, das Radio ans Ohr gepreßt, um die Hüften ein Badetuch. Durch die Gardine betrachte ich versonnen den namenlosen grünen Transporter, der vor Mr. Hakims Gartentor steht.