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„Noch zehn Minuten bis zum Paradies“, sagte Gabrielle, als sie in ihren offenen Backofen spähte und den köstlichen Duft selbst gemachter Manicotti durch ihre Küche ziehen ließ.
Sie schloss die Ofentür und stellte den digitalen Timer neu ein. Dann goss sie sich ein weiteres Glas Rotwein ein und nahm es mit ins Wohnzimmer, wo leise eine alte Sarah-McLachlan-CD lief. Jetzt, nach sieben Uhr abends, begann Gabrielle endlich, sich von ihrem Abenteuer in der verlassenen Nervenheilanstalt zu erholen. Sie hatte einige anständige Aufnahmen, aus denen sich etwas machen ließ, aber das Beste war, dass es ihr gelungen war, dem furchterregend aussehenden Schlägertypen zu entkommen, der offensichtlich für die Sicherheit an diesem Ort zu sorgen hatte.
Das allein war bereits eine Feier wert.
Gabrielle kuschelte sich in die mit Kissen ausgestattete Ecke ihres Sofas. Sie trug eine gemütliche, warme taubengraue Yogahose und ein rosa T-Shirt mit langen Ärmeln. Ihr Haar war noch nass von dem Bad, das sie eben genommen hatte, und lose rostrote Strähnen lösten sich aus dem nachlässig im Nacken zusammengebundenen Pferdeschwanz. Frisch gebadet und endlich entspannt war sie heilfroh, dass sie es sich für die Nacht bequem machen und ihr Alleinsein genießen konnte.
Als die Türglocke weniger als eine Minute später klingelte, fluchte sie daher leise vor sich hin und dachte darüber nach, ob sie die ungewollte Störung ignorieren sollte. Es klingelte ein zweites Mal, beharrlich, gefolgt von einem durchdringenden Klopfen, das nicht so klang, als ob es ein Nein als Antwort akzeptieren würde.
„Gabrielle.“
Sie war bereits aufgestanden und leise auf halbem Weg zur Tür, als sie eine Stimme hörte, die sie sofort erkannte. Eigentlich sollte sie sie nicht so einfach erkennen, aber dennoch war es so. Lucan Thornes tiefer Bariton ertönte durch die Tür und hallte durch ihren Körper, wie ein Klang, den sie schon tausendmal zuvor gehört hatte und der sie zugleich beruhigte und ihren Puls rasen ließ.
Überrascht und zufriedener, als sie es sich eingestanden hätte, schloss Gabrielle die diversen Schlösser auf und öffnete die Tür.
„Hi.“
„Hallo, Gabrielle.“
Er begrüßte sie mit einer beunruhigenden Vertraulichkeit, seine stahlgrauen Augen unter den dunklen Brauen sahen sie eindringlich an. Dieser durchdringende Blick wanderte langsam nach unten, von ihrem zerzausten Haar über das seidene Friedenszeichen, das sich über ihre büstenhalterlosen Brüste erstreckte, bis hin zu den nackten Zehen, die aus den ausgestellten Beinen ihrer tief sitzenden Hose lugten.
„Ich habe niemanden erwartet.“ Sie sagte es als Entschuldigung für ihre Aufmachung, aber das schien Thorne nichts auszumachen. Tatsächlich spürte Gabrielle, als er seine Aufmerksamkeit wieder auf ihr Gesicht richtete, wie unter seinem Blick plötzlich ein Hitzeschwall ihre Wangen mit Röte überzog.
Als ob er sie an Ort und Stelle verschlingen wolle.
„Oh – Sie haben mein Handy“, sprudelte es aus ihr heraus, als sie das silbern glänzende Metall in seiner großen Hand schimmern sah.
Er hielt es ihr hin. „Ich bin später dran als beabsichtigt. Tut mir leid.“
Bildete sie sich das nur ein oder streiften seine Finger absichtlich ihre, als sie ihm das Gerät aus der Hand nahm?
„Danke, dass Sie es mir zurückbringen“, sagte sie, noch immer gefangen von seinem Blick. „Konnten Sie, äh … konnten Sie etwas mit den Bildern anfangen?“
„Ja. Sie waren sehr hilfreich.“
Sie seufzte leise auf, erleichtert zu hören, dass die Polizei in dieser Sache möglicherweise doch auf ihrer Seite war. „Denken Sie, dass Sie die Typen auf den Fotos schnappen können?“
„Da bin ich sicher.“
Seine Stimme klang so düster, dass sie keine Sekunde an seinen Worten zweifelte. Tatsächlich hatte sie allmählich das Gefühl, dass Detective Thorne der schlimmste Albtraum der bösen Jungs war.
„Also, das sind großartige Neuigkeiten. Ich muss zugeben, dass mich diese ganze Sache ziemlich schockiert hat. Ich nehme an, dass das ganz normal ist, wenn man einen brutalen Mord miterlebt, oder?“
Er nickte ihr kurz zu, um zu zeigen, dass er ihr zustimmte. Offenbar war er ein Mann der wenigen Worte, aber andererseits – wofür musste man reden, wenn man solche Augen hatte, die bis auf den Grund der Seele sehen konnten?
Zu ihrer Erleichterung und zugleich Verärgerung begann hinter ihr in der Küche der Backofentimer zu piepsen. „Mist. Das ist, äh – das ist mein Abendessen. Ich hole es besser raus, bevor der Rauchmelder anspringt. Warten Sie einen Moment hier – ich meine, möchten Sie …?“ Sie atmete tief durch. Es passierte ihr nicht oft, dass sie sich durch irgendjemandem so aus dem Konzept bringen ließ. „Kommen Sie bitte herein. Ich bin gleich wieder da.“
Ohne Zögern betrat Lucan Thorne die Wohnung, während Gabrielle sich umdrehte, ihr Mobiltelefon weglegte und ihre Manicotti aus dem Ofen befreite.
„Störe ich Sie bei irgendwas?“
Sie war überrascht, dass er schon bei ihr in der Küche war; er schien ihr, sofort als sie ihn hereingebeten hatte, schweigend gefolgt zu sein. Gabrielle nahm die Form mit der dampfenden Pasta aus dem Backofen und stellte sie auf dem Herd ab, damit sie etwas abkühlen konnte.
Sie streifte ihre Backofenhandschuhe ab und drehte sich um, um den Detective stolz anzulächeln.
„Ich feiere.“
Er legte den Kopf zur Seite und ließ seinen Blick durch den stillen Raum um sie herum schweifen. „Allein?“
Sie zuckte die Achseln. „Wenn Sie mir nicht Gesellschaft leisten möchten.“
Thorne neigte leicht das Kinn und schien eher ablehnen zu wollen, aber dann legte er doch seinen dunklen Mantel ab und hängte ihn über die Lehne eines Küchenstuhls. Es war merkwürdig, ihn hier in ihrer kleinen Küche stehen zu sehen – diesen muskulösen Fremden mit dem entwaffnenden Blick und dem leicht unheimlichen guten Aussehen. Er lehnte sich gegen die Küchentheke und sah zu, wie sie sich um die Pasta kümmerte. „Und was feiern wir, Gabrielle?“
„Ich habe heute ein paar meiner Fotografien verkauft, auf einer Privatausstellung in einem Schickimicki-Büro in der Innenstadt. Mein Freund Jamie hat mich vor einer Stunde angerufen und mir die Neuigkeiten mitgeteilt.“
Thorne lächelte dünn. „Herzlichen Glückwunsch.“
„Vielen Dank.“ Sie holte ein zusätzliches Glas aus dem Schrank und hielt dann die geöffnete Flasche Chianti hoch. „Möchten Sie etwas?“
Er schüttelte langsam den Kopf. „Leider geht das nicht.“
„Ach so. Tut mir leid“, erwiderte sie, als ihr wieder einfiel, welchen Beruf er hatte. „Sie sind im Dienst, oder?“
Ein Muskel zuckte in seinem kräftigen Kiefer. „Immer.“
Gabrielle lächelte und strich ein paar Strähnen ihres losen, gelockten Haars hinter ihr Ohr. Thornes Blick folgte ihrer Bewegung und verengte sich beim Anblick des kleinen Kratzers, der ihre Wange verunstaltete.
„Was ist Ihnen denn zugestoßen?“
„Oh, nichts“, antwortete sie. Sie hielt es für keine gute Idee, einem Polizisten zu erzählen, dass sie einen Teil des Morgens damit verbracht hatte, sich unbefugt draußen bei der alten Nervenheilanstalt aufzuhalten. „Es ist nur ein Kratzer – das passiert manchmal. Berufsrisiko. Ich bin sicher, Sie wissen, wie das ist.“
Sie lachte ein wenig, etwas nervös, denn plötzlich kam er mit ernstem Gesicht auf sie zu. Ein paar geschmeidige Schritte – und schon stand er vor ihr. Seine Größe und seine offensichtliche Kraft waren überwältigend. Aus der Nähe konnte sie die ausgeprägten Muskeln erkennen, die sich unter seinem schwarzen Hemd bewegten. Der feine Stoff schmiegte sich an seine Schultern, seine Arme und seine Brust, als sei er Thorne auf den Leib geschneidert worden.
Und der Mann roch fantastisch. Sie konnte kein Rasierwasser an ihm entdecken, nur Spuren von Minze und Leder sowie etwas Dunkleres, wie ein exotisches Gewürz, das sie nicht benennen konnte. Was auch immer es war, es brach über ihre Sinne herein und übte einen unwiderstehlichen Sog auf sie aus, während sie wohl eigentlich zurückweichen sollte.