„Komm zu uns“, bettelte sie und befreite sich aus dem sich windenden Durcheinander aus Armen, Beinen und brünstigen, brüllenden Rogues. Die Frau war fast völlig leergetrunken und nur noch einen Hauch vom Tode entfernt. Ihre Augen waren glasig und blicklos. Ihre Bewegungen waren träge, als hätten sich ihre Knochen in Gummi verwandelt. „Ich habe, was du willst. Ich werde auch für dich bluten. Komm, koste von mir.“
Er schwieg. Alles, was er tat, war, die bleichen, blutbefleckten Finger von dem feinen Gewebe seiner teuren Seidenhose zu entfernen.
Er war tatsächlich nicht in der Stimmung dafür.
Und wie jeder erfolgreiche Dealer rührte er sein eigenes Produkt nie an.
Seine großen Hände flach gegen ihre Brust gepresst, drängte er die Frau zurück ins Gewühl. Sie kreischte, als einer der Rogues sie mit hartem Griff packte und sie dann brutal über seinen Arm warf, sie nach unten drückte und von hinten in sie eindrang. Sie schrie auf und stöhnte, als er sie rammelte, gab aber einen Augenblick später nur noch ein ersticktes Keuchen von sich, als der Vampir in seinem Blutrausch seine riesigen Fangzähne in ihren Hals schlug und den letzten Tropfen Leben aus ihrem ausgelaugten Körper saugte.
„Genießt diese Zuwendungen“, sagte derjenige, der bald König sein würde, und seine tiefe Stimme ertönte großmütig durch das animalische Gebrüll und das markerschütternde Lärmen der Musik. „Die Nacht bricht an, und bald werdet ihr alle Belohnungen erhalten, die ich für euch für angebracht halte.“
11
Lucan klopfte erneut an Gabrielles Wohnungstür.
Wieder erhielt er keine Antwort.
Er stand schon etwa fünf Minuten in der Dunkelheit vor ihrer Tür und wartete darauf, dass sie entweder die verdammte Tür öffnete und ihn hereinließ oder ihn hinter der vermeintlichen Sicherheit der diversen Schlösser als Scheißkerl verfluchte und zu ihm sagte, er solle verschwinden.
Nach dem, was er in der vergangenen Nacht mit ihr getan hatte, war er sich nicht sicher, welche Reaktion er verdiente. Wahrscheinlich den wütenden Abschiedskuss.
Er schlug einmal mehr mit den Fingerknöcheln gegen die Tür, fest genug, dass es wahrscheinlich bis zu den Nachbarn drang, aber im Inneren von Gabrielles Wohnung bewegte sich nichts. Es war ganz ruhig. Die Stille auf der anderen Seite war einfach zu laut.
Sie war dort drinnen. Er konnte sie durch die Schichten aus Holz und Backstein hören, die sich zwischen ihnen befanden. Und er roch auch Blut, nicht viel, aber Spuren davon, irgendwo in der Nähe der Tür.
Scheiße.
Sie war in der Wohnung, und sie war verletzt.
„Gabrielle!“
Besorgnis strömte wie Säure durch seine Arterien. Aber es gelang ihm immerhin, sich so weit zu beruhigen, dass er seine mentalen Kräfte auf die Sperrkette und die beiden Türschlösser konzentrieren konnte, die die Tür verschlossen. Mit einiger Anstrengung gelang es ihm, zuerst das eine Schloss und dann das andere zu entriegeln. Die Kette glitt aus ihrer Führungsschiene heraus und schlug mit einem metallischen Geräusch gegen den Türpfosten.
Lucan stieß die Tür auf, und seine Stiefel polterten über die Fliesen im Vorraum. Gabrielles Kamera lag direkt vor ihm. Wahrscheinlich hatte sie sie in der Eile fallen lassen. Der süße Jasminduft von Gabrielles Blut drang mit voller Wucht in seine Nasenlöcher, nur einen Augenblick, bevor sein Blick auf einen ungleichmäßigen Pfad aus kleinen, karmesinroten Spritzern fiel.
Der bittere Gestank nach Angst lag auch in der Luft. Der Geruch war nur noch schwach, da er wohl Stunden alt war, hing aber in der Luft wie Nebel.
Lucan ging auf dem Weg in die Küche durch das Wohnzimmer, wo die Blutstropfen weitergingen. Als er weiter ins Innere der Wohnung kam, blieb sein Blick an einem Stapel Fotos hängen, die auf dem Couchtisch lagen.
Es waren grobe Entwürfe, eine seltsame Auswahl von Bildern. Einige erkannte er von Gabrielles aktueller unfertiger Arbeit, von der, die sie Städtische Erneuerung nannte. Aber da waren einige Aufnahmen dabei, die er noch nicht gesehen hatte. Oder vielleicht hatte er auch nicht genau genug hingesehen, um sie zu bemerken.
Aber nun bemerkte er sie.
Verdammt, und wie er sie bemerkte.
Eine alte Lagerhalle in der Nähe des Kais. Eine verlassene Papiermühle direkt vor der Stadt. Diverse andere abschreckend aussehende Gebäude, in deren Nähe kein Mensch – und erst recht keine ahnungslose Frau wie Gabrielle – je kommen sollte.
Verstecke der Rogues.
Einige von ihnen hatten nun ausgedient, dank Lucan und seinen Kriegern, aber einige andere waren noch aktiv. Er erkannte mehrere, die momentan von Gideon observiert wurden. Als er die anderen Aufnahmen durchging, fragte er sich, wie viele andere Fotos von Standorten der Rogues hier herumlagen, die vom Stamm noch nicht überwacht wurden.
„Oh Gott“, flüsterte er angespannt und blätterte einige weitere Bilder durch.
Gabrielle verfügte sogar über einige Außenaufnahmen von Dunklen Häfen der Stadt, von verborgenen Eingängen und getarnten Hinweisen, die die Zufluchtsorte der Vampire vor der Entdeckung, egal ob durch neugierige Menschen oder durch feindliche Rogues, schützen sollten.
Aber Gabrielle hatte all diese Orte gefunden. Und wie?
Todsicher nicht durch Zufall. Ihr außergewöhnlicher Sehsinn musste sie dorthin geführt haben. Sie hatte sich bereits als fast immun gegen die allgemeinen Tricks der Vampirlist erwiesen – Sinnestäuschung durch Massenhypnose, Bewusstseinskontrolle … und nun dies.
Mit einem Fluch schob Lucan einige Bilder in die Tasche seiner Lederjacke und warf den Rest dann zurück auf den Tisch.
„Gabrielle?“
Er ging in die Küche, wo etwas noch Beunruhigenderes auf ihn wartete.
Der Geruch von Gabrielles Blut wurde hier stärker und zog Lucan zur Spüle. Als er davorstand, erstarrte er, und etwas Kaltes krampfte sich in seiner Brust zusammen, als er in das Becken starrte.
Es sah aus, als hätte jemand versucht, einen Verbrechensschauplatz zu säubern, das aber erbärmlich schlecht. Mehr als ein Dutzend durchnässter, blutbefleckter Blätter einer Küchenrolle lagen zusammengeknüllt im Abfluss, zusammen mit einem Schälmesser, das aus dem Holzblock auf der Spüle stammte.
Er hob das scharfe Messer auf und untersuchte es schnell. Es war nicht benutzt worden, aber das Blut, das in der Spüle war und das auf den Boden vom Vorraum bis hin zur Küche getropft war, war Gabrielles.
Und die zerrissene Kleidung, die fallen gelassen worden war und in einem Haufen zu seinen Füßen lag, trug ebenfalls ihren Geruch.
Gott, wenn jemand sie angerührt hatte …
Wenn ihr irgendetwas zugestoßen war …
„Gabrielle!“
Seinen Sinnen folgend, ging Lucan ins Kellergeschoss der Wohnung. Er hielt sich nicht damit auf, das Licht anzumachen, denn sein Sehvermögen war im Dunklen äußerst scharf. Er polterte die Treppe hinunter und rief ihren Namen in die Stille.
In der hintersten Ecke war Gabrielles Geruch am stärksten. Lucan stellte fest, dass er vor einer weiteren verschlossenen Tür stand. Diese hier war mit einem Rahmen aus dicken Dichtungsleisten ausgestattet, um das gesamte Licht, das sonst von außen hereingedrungen wäre, abzuhalten. Er probierte den Türgriff aus und rüttelte an der Tür, die mit einem schwachen Schloss ausgestattet war.