Das kleine Badezimmer war erfüllt von Dampf und Gabrielles eigenem schwachen Jasminduft.
„Ist das so bequem?“, fragte er sie, zog seine Jacke aus und warf sie über das Waschbecken.
„Hmm“, stöhnte sie.
Er konnte nicht widerstehen – er musste sie einfach berühren. Sanft ihre Schulter liebkosend sagte er: „Rutsch noch ein bisschen weiter runter und mach dir die Haare nass. Ich wasche sie dir.“
Sie gehorchte und ließ es zu, dass er ihren Kopf unter Wasser führte und dann wieder nach oben. Nun waren ihre langen roten Locken geglättet und hatten eine rostbraune Farbe angenommen. Einen langen Augenblick schwieg sie, dann hob sie langsam ihre Lider und lächelte ihn an, als wäre sie gerade erst wieder zu Bewusstsein gekommen und überrascht, ihn hier vorzufinden. „Hi.“
„Hi.“
„Wie viel Uhr ist es?“, fragte sie, streckte sich und erstickte ein Gähnen.
Lucan zuckte mit den Schultern. „Ungefähr acht, nehme ich an.“
Gabrielle lehnte sich wieder zurück und schloss die Augen mit einem Stöhnen.
„Schlimmer Tag?“
„Keiner von meinen besten.“
„Hab ich mir gedacht. Deine Hände und Knie sind ziemlich mitgenommen.“ Lucan streckte die Hand aus und stellte das Wasser ab. Er nahm eine Tube mit Shampoo und drückte etwas davon in seine Hand. „Willst du mir erzählen, was passiert ist?“
„Nein, lieber nicht.“ Eine Falte bildete sich zwischen ihren schmalen Brauen. „Heute Nachmittag habe ich was Dummes gemacht. Du wirst sehr bald alles darüber hören, da bin ich sicher.“
„Wie das?“, fragte Lucan und verrieb das Shampoo in den Handflächen, bis sich Schaum bildete.
Als er den Schaum in ihre Kopfhaut einmassierte, öffnete Gabrielle ein Auge und warf ihm einen Seitenblick zu. „Der Junge von der Wache hat zu niemandem was gesagt?“
„Welcher Junge?“
„Der in der Polizeiwache für die Büroarbeit angestellt ist. Groß, schlaksig, sieht irgendwie durchschnittlich aus. Ich kenne seinen Namen nicht, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er in der Nacht da war, als ich meine Aussage über den Mord gemacht habe. Heute habe ich ihn im Stadtpark gesehen – ich dachte tatsächlich, dass er mich beobachten würde, und ich …“ Sie ließ den Satz unvollendet und schüttelte den Kopf. „Ich bin ihm wie eine Verrückte hinterhergerannt und habe ihn beschuldigt, mir nachzuspionieren.“
Lucans Hände in Gabrielles Haar hielten inne. Seine Kriegerinstinkte erwachten vollständig. „Du hast was?“
„Ich weiß“, antwortete sie, da sie seine Reaktion offensichtlich falsch interpretierte. „Ich habe dir ja gesagt, dass es dumm war. Wie auch immer, ich habe den armen Jungen bis nach Chinatown gejagt.“
Obwohl er es nicht laut aussprach, wusste Lucan, dass Gabrielles erster Impuls, den Fremden betreffend, der sie im Park beobachtet hatte, genau richtig gewesen war. Da der Zwischenfall bei hellem Tageslicht stattgefunden hatte, konnten es nicht die Rogues gewesen sein, die sie verfolgt hatten – wenigstens etwas –, aber die Menschen, die ihnen dienten, konnten genauso gefährlich sein. Die Rogues hatten überall auf der Welt Lakaien – Menschen, die durch den zehrenden Biss eines mächtigen Vampirs, der ihnen ihr Gewissen und ihren freien Willen nahm und nur bedingungslosen Gehorsam hinterließ, versklavt wurden.
Lucan bezweifelte nicht im Geringsten, dass der Mann, der Gabrielle beobachtet hatte, in den Diensten eines Rogue stand und dessen Befehle ausführte.
„Hat diese – Person – dir wehgetan? Bist du so an diese Verletzungen gekommen?“
„Nein, nein. Das war mein eigenes Werk. Ich bin völlig ausgeflippt, wegen nichts. Nachdem ich den Jungen in Chinatown verloren hatte, bin ich einfach durchgedreht. Ich dachte, dass ein Auto mir folgte, aber es war nicht so.“
„Wieso bist du dir da so sicher?“
Sie warf ihm einen verlegenen Blick zu. „Weil es der Bürgermeister war, Lucan. Ich dachte, sein Wagen mit Chauffeur wäre hinter mir her, und fing an zu rennen. Zur Krönung dieses vollkommen schrecklichen Tages bin ich mitten auf dem überfüllten Bürgersteig hingefallen und musste dann mit blutigen Händen und Knien nach Hause humpeln.“
Er fluchte leise, als ihm bewusst wurde, wie sehr sie in Gefahr gewesen war. Verdammt noch mal, sie hatte den Lakaien sogar allein verfolgt! Der Gedanke erschütterte Lucan mehr, als er sich selbst eingestehen wollte.
„Du musst mir versprechen, dass du vorsichtiger bist“, sagte er, sich dessen bewusst, dass er schimpfte, aber er wollte sich nicht mit Höflichkeiten aufhalten, nach der tödlichen Gefahr, in die sie sich heute begeben hatte. „Wenn so was wieder passiert, musst du es mir direkt erzählen …“
„Das wird nicht wieder passieren, weil es mein eigener Fehler war. Und ich wollte dir überhaupt nichts davon erzählen und auch sonst niemandem von der Wache. Es würde ihnen sicher unglaublich gut gefallen, wenn ich dort anriefe, um zu berichten, dass einer ihrer Büroangestellten mir ohne ersichtlichen Grund nachgestellt hat.“
Scheiße. Seine Lüge, ein Polizist zu sein, bereitete ihm jetzt ganz schöne Schwierigkeiten. Und noch schlimmer, es hätte auch möglicherweise Gabrielle in Gefahr gebracht, wenn sie die Wache auf der Suche nach „Detective Thorne“ angerufen und stattdessen die Aufmerksamkeit eines eingeschleusten Lakaien auf sich gezogen hätte.
„Ich werde dir meine Handynummer geben. Du kannst mich da immer erreichen. Ich möchte, dass du sie jederzeit benutzt, verstanden?“
Sie nickte, während Lucan den Wasserhahn aufdrehte und klares Wasser in seine Hände und über ihre seidigen rotbraunen Locken laufen ließ.
Ärgerlich über sich selbst nahm er einen Waschlappen aus einem Regal und tunkte ihn ins Wasser. „Jetzt lass mich dein Knie sehen.“
Sie hob ihr Bein, sodass es aus dem Schaumberg herausragte. Lucan nahm ihren Fuß in eine Hand und wusch dann vorsichtig die schlimm aussehende Abschürfung aus. Es war nur ein Kratzer, aber die Wunde begann erneut zu bluten, da das warme Wasser sie aufgeweicht hatte. Lucan knirschte heftig mit den Zähnen, als die duftenden scharlachroten Fäden eine feine Spur an ihrer Haut entlang nach unten und in den unberührten Schaum des Badewassers woben.
Er beendete die Reinigung der beiden verletzten Knie Gabrielles und gab ihr dann zu verstehen, dass er sich als Nächstes um ihre Hände kümmern wollte. Er traute seiner Stimme nicht mehr, wenn der Doppelschlag – Gabrielles nackter Körper und der Geruch ihres frischen, tröpfelnden Blutes – seinen Schädel wie ein Presslufthammer traf.
Unaufmerksam betupfte er die Kratzer an ihren Händen, sich schmerzhaft ihres intensiven Blickes aus dunklen Augen bewusst, der jeder seiner Bewegungen folgte, und des Herzschlags an ihrem Handgelenk, der unter dem Druck seiner Fingerspitzen schnell pochte.
Sie wollte ihn ebenfalls.
Lucan lockerte seinen Griff, aber als ihr Arm sich dabei ein wenig drehte, bemerkte er etwas Beunruhigendes. Sein Blick fiel auf eine Reihe von schwachen Malen, die die makellose Pfirsichhaut ruinierten. Bei den Malen handelte es sich um Narben, winzige Schnitte in der Unterseite ihrer Unterarme. Und es gab davon auch welche auf ihrem Schenkel.
Rasiermesserschnitte.
Als ob sie wiederholt Höllenqualen hätte erleiden müssen, als sie kaum mehr als ein Mädchen gewesen war. „Oh Gott.“ Er wandte den Kopf, um sie anzusehen, und auf seinem Gesicht war deutlich ungezügelte Wut zu erkennen. „Wer hat dir das angetan?“