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Aber das war in der Gasse vor dem Nachtclub nicht der Fall.

Für die sechs blutrünstigen Raubtiere hier würde dieser unrechtmäßige Mord, der gegen den Kodex des Stammes verstieß, der letzte sein. In ihrem Hunger waren sie leichtsinnig geworden; sie hatten nicht bemerkt, dass sie beobachtet wurden. Weder als er sie in dem Club überwacht noch als er sie nach draußen verfolgt und vom Sims eines Fensters im zweiten Stock der zweckentfremdeten Kirche aus beobachtet hatte.

Sie vergaßen in ihrem Blutrausch alles um sich herum – eine Sucht, die früher schon bei dem Stamm verbreitet gewesen war und dazu geführt hatte, dass so viele von ihnen Rogues geworden waren – wild gewordene, räuberische, maßlose Vampire, denen es einzig auf die Befriedigung ihrer Sucht ankam. Genauso wie diese sechs hier, die sich in aller Öffentlichkeit und unüberlegt von den Menschen nährten, die unter ihnen lebten.

Lucan Thorne fühlte sich der Menschheit nicht sonderlich verbunden, aber noch weniger empfand er für die Rogues, die er jetzt vor sich sah. Ein oder zwei von ihnen auf einer nächtlichen Patrouille, in einer Stadt dieser Größe – das war nicht ungewöhnlich. Aber das hier, das war etwas ganz anderes, das war sogar ziemlich beunruhigend: Mehrere von ihnen, die sich zusammentaten und in aller Öffentlichkeit ihren Bluthunger stillten. Die Zahl der Rogues nahm in letzter Zeit zu, und sie wurden mutiger.

Etwas musste unternommen werden.

Lucan und einige andere des Stammes gingen Nacht für Nacht auf Jagd nach den Durchgeknallten ihrer Art, den Kranken. So hofften sie, dass nicht alles aufs Spiel gesetzt wurde, was sich das Volk der Vampire so hart erarbeitet hatte. Heute Nacht spürte Lucan seine Beute allein auf, es war ihm gleichgültig, dass er zahlenmäßig unterlegen war. Er hatte abgewartet, bis die Gelegenheit zum Zuschlagen günstig war – nämlich dann, wenn die Rogues ihre Sucht befriedigt hatten und satt und träge waren.

Betrunken von dem Übermaß an Blut hatten sie weiterhin den Körper des jungen Mannes aus dem Club attackiert und um ihn gekämpft, knurrend und schnappend wie ein Rudel wilder Hunde. Lucan hatte vorgehabt, ihnen schnell ihre gerechte Strafe zukommen zu lassen – und hätte das auch getan, wenn nicht plötzlich eine rotblonde Frau in dem dunklen Gang aufgetaucht wäre. Von einem Augenblick zum anderen hatte sie seinen ganzen Plan zunichte gemacht, dadurch, dass sie den Rogues zu der Gasse gefolgt war und dann deren Aufmerksamkeit unabsichtlich von ihrer Beute abgelenkt hatte.

Als das Blitzlicht ihres Mobiltelefons in der Dunkelheit explodierte, ließ sich Lucan von dem im Schatten liegenden Fenstersims herunter und landete ohne ein Geräusch auf dem Asphalt. Wie die Augen der Rogues unter ihm wurden auch Lucans empfindliche Sehorgane von diesem plötzlichen Lichtblitz mitten in der Dunkelheit erheblich geblendet. Die Frau feuerte eine Reihe von grellen Blitzen ab, während sie vor dem Blutbad floh. Dabei waren diese wenigen panischen Klicks wahrscheinlich ihre Rettung vor dem Zorn seiner wild gewordenen Verwandten.

Aber während die Sinne der anderen Vampire durch den Blutrausch umnebelt und träge waren, waren die von Lucan von erbarmungsloser Klarheit. Er zog seine Waffen unter seinem dunklen Trenchcoat hervor – Zwillingsschwerter aus geschmiedetem, mit Titan umrandetem Stahl – und holte zum Schlag gegen den Kopf des Rogue aus, der ihm am nächsten stand.

Zwei weitere Hiebe folgten. Die Körper der Toten zuckten, als sie sich zu zersetzen begannen; sie wurden zunächst zu tropfendem, säurehaltigem Brei, dann zu Asche. Animalische Schreie erfüllten die Gasse, als Lucan den Kopf eines weiteren Vampirs abtrennte und dann herumwirbelte, um den Rumpf des nächsten Rogue zu durchbohren. Die Blutbestie fauchte durch ihre gebleckten, blutigen Zähne hindurch, Blut tropfte ihr noch von den Fangzähnen. Blassgoldene Augen blickten Lucan verächtlich an, und die riesigen Iris vergrößerten sich vor Hunger und verschlangen die Pupillen, bis diese nur noch aus dünnen, vertikalen Schlitzen bestanden. Die ganze Kreatur verkrampfte sich, griff mit langen Armen nach Lucan. Ihr Mund verzerrte sich zu einem seltsamen und schrecklichen, höhnischen Grinsen, als der Stahl des Zwillingsschwerts ihr Blut vergiftete und den Vampir in einen schwelenden Fleck auf der Straße verwandelte.

Nur ein Rogue war übrig geblieben. Lucan wirbelte herum und riss die Klingen seines Zwillingsschwerts hoch, bereit, erneut zuzuschlagen.

Aber der Vampir war verschwunden – in die Nacht geflohen, bevor er ihn niedermetzeln konnte.

Verdammt.

Noch nie zuvor hatte er einen der Bastarde seiner gerechten Strafe entkommen lassen. Und er hätte es auch dieses Mal nicht zulassen dürfen. Er überlegte, den Rogue zu verfolgen, aber das würde bedeuten, dass er den Schauplatz der Bluttat so wie er war zurückließe. Und das war mit Sicherheit das größere Risiko – die Menschen das volle Ausmaß der Gefahr wissen zu lassen, die mitten unter ihnen weilte. Denn nicht zuletzt wegen der Rogues und ihrer außergewöhnlichen Grausamkeit war Lucans Volk in der Vergangenheit immer wieder von den Menschen verfolgt und gejagt worden. Das Vampirvolk würde ein neues Zeitalter der Vergeltung möglicherweise nicht überleben, nun, da der Mensch die Technologie auf seiner Seite hatte.

Bis die Rogues besiegt – oder noch besser: gänzlich ausgerottet – waren, durfte die Menschheit nicht erfahren, dass die Vampire so zahlreich mitten unter ihnen lebten.

Als er damit begann, den Schauplatz von allen Spuren des Kampfes zu reinigen, kehrten Lucans Gedanken immer wieder zu der Frau mit dem rotblonden Haar und der zarten alabasterfarbenen Haut zurück.

Wie war es möglich, dass sie in der Lage gewesen war, die Rogues in der Gasse zu finden?

Die Menschen behaupteten immer wieder, dass Vampire nach Belieben verschwinden konnten, doch die Wahrheit war eine andere, wenn auch kaum weniger bemerkenswert. Vampire konnten sich einfach schneller bewegen, als es das menschliche Auge zu erfassen vermochte. Dazu kam ihre hypnotische Macht, die sie über den Verstand niederer Lebensformen besaßen. Seltsamerweise hatte diese Frau gegen beides immun gewirkt.

Lucan wurde nun klar, dass er sie schon in dem Club gesehen hatte. Sein Blick war durch ihr Paar seelenvoller Augen und ihre offensichtliche Verlorenheit, die seiner eigenen sehr ähnelte, von seinem Opfer abgelenkt worden. Sie hatte ihn ebenfalls bemerkt und angestarrt. Selbst durch die Menschenmenge und die verrauchte Luft hindurch hatte Lucan ihren Duft wahrgenommen – etwas Exotisches, Seltenes.

Er roch es auch jetzt, eine zarte Duftnote, die in der Nachtluft hing, seine Sinne reizte und seine primitivsten Gelüste ansprach. Sein Zahnfleisch schmerzte, als sich seine Fangzähne verlängerten, eine physische Reaktion auf Verlangen – fleischlich oder anderweitig –, das zu zügeln er unfähig war. Er witterte sie, und er hungerte, kaum besser als seine Blutbestienbrüder.

Lucan legte den Kopf in den Nacken und sog den Geruch der Frau tiefer in seine Lungen. Er spürte sie mit dem scharfen Geruchssinn eines Vampirs quer durch die Stadt auf. Es war mehr als unklug, der einzigen Zeugin des Überfalls der Rogues die Erinnerung an das zu lassen, was sie gesehen hatte. Lucan würde die Frau aufsuchen und alle Mittel ergreifen, die nötig waren, um den Schutz des Stammes zu sichern.

Und in seinem Hinterkopf flüsterte ein uraltes Bewusstsein, dass sie, wer auch immer sie war, bereits ihm gehörte.

„Ich sage Ihnen, ich habe die ganze Sache gesehen. Es waren sechs, und sie zerrten mit Händen und Zähnen an dem Mann – wie Tiere. Sie haben ihn getötet!“

„Miss Maxwell, wir haben heute Nacht bereits mehrmals darüber gesprochen. Also, wir sind alle müde, und es wird immer später.“