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Das konnte er bereits erkennen, bevor er das Gerät aufklappte und die vollständige Rufnummer auf dem Display sah.

Neugierig nahm er den Anruf entgegen. Die Stimme am anderen Ende war ihm nicht unvertraut. Er hatte mit diesem Individuum erst kürzlich in einer verbotenen Angelegenheit zu tun gehabt, und es gab noch einiges zu besprechen. Auf sein Drängen hin teilte ihm die Person am anderen Ende Einzelheiten über einen Überfall mit, der noch in derselben Nacht stattfinden und sich gegen eine der kleineren Rogues-Zellen in der Stadt richten sollte.

In wenigen Sekunden erfuhr er, was er wissen musste, um zu gewährleisten, dass der Überfall zu seinen Gunsten ausging – den Ort, die geplante Methode und Route der Krieger, ihren grundlegenden Angriffsplan – alles unter der Bedingung, dass ein Mitglied des Stammes von dem Vergeltungsschlag verschont blieb. Dieser eine Krieger sollte nicht völlig ausgenommen werden, nur so stark verletzt, dass er nie wieder kämpfen musste. Das Schicksal der anderen, einschließlich des fast nicht aufzuhaltenden Lucan Thorne, lag in den Händen der Rogues.

Lucans Tod war schon einmal Bestandteil ihrer Übereinkunft gewesen, aber die Ausführung der Aufgabe war nicht ganz so verlaufen wie geplant.

Dieses Mal wollte die Person am anderen Ende die Zusicherung, dass die Tat tatsächlich ausgeführt wurde. Sie ging so weit, es zu wagen, den Anführer daran zu erinnern, dass er eine beträchtliche Summe für diese Tat erhalten hatte, aber die Leistung dafür noch erbringen musste.

„Ich bin mir unseres Handels sehr wohl bewusst“, fauchte er wütend in das Mobiltelefon. „Verleiten Sie mich nicht dazu, weitere Bezahlung von Ihnen zu verlangen. Ich verspreche Ihnen, dass Sie es bereuen werden.“

Er klappte das Gerät mit einem düsteren Fluch zu und schnitt damit die Worte ab, die direkt nach seiner Drohung begonnen hatten, einen diplomatischen Rückzieher zu formulieren.

Sein Zorn ließ die Dermaglyphen an seinem Handgelenk in einer dunklen Färbung pulsieren – nicht alle, denn einige der Male waren künstlich aufgebracht, Tätowierungen, die seine natürlichen Verzierungen und Farben überdeckten, um das einzigartige Muster zu verbergen, mit dem er vor Hunderten von Jahren geboren worden war. Die Erfordernis, sich zu tarnen, war ihm ein Gräuel, selbst wenn es so subtil geschah. Er verabscheute die Notwendigkeit seines Schattendaseins fast so sehr wie jene, die zwischen ihm und seinen Zielen standen.

Er schäumte vor Wut, als er zum Hauptbereich des Clubs zurückging. In der Dunkelheit erspähte er einen Kerl, seine rechte Hand, der einzige Rogue in der neueren Geschichte, der Lucan Thorne in die Augen gesehen und überlebt hatte. Er winkte den riesigen Mann zu sich und erteilte ihm Befehle, die sich um das Amüsement der heutigen Nacht drehten.

Ungeachtet seiner heimlichen Verhandlungen wollte er Lucan und alle anderen Krieger, die bei ihm waren, tot sehen, sobald sich der Rauch gelichtet hatte.

25

Er hatte sie den Rest des Tages über gemieden, und Gabrielle dachte sich, dass das wahrscheinlich nur gut war. Jetzt, nach Einbruch der Dunkelheit, marschierten Lucan und die fünf anderen Krieger als Einheit aus der Trainingsanlage, jeder von ihnen eine fleischgewordene Drohung in schwarzem Leder und mit pfundweise tödlichen Waffen. Selbst Gideon nahm an dem Angriff teil, anstelle von Conlan, dem Krieger, den sie vor einigen Nächten verloren hatten.

Savannah und Eva warteten im Gang, um sie zu verabschieden. Sie traten zu ihren Gefährten und umarmten sie lange. Sanfte, persönliche Worte wurden leise gewechselt. Zärtlichbange Küsse zeigten die Angst der Frauen und besiegelten die Versprechen der Männer, heil und gesund zu ihnen zurückzukehren.

Etwas abseits der Stelle, wo Gabrielle stand und sich wie eine Außenseiterin fühlte, sagte Lucan leise etwas zu Savannah. Die Stammesgefährtin nickte, und er legte ihr einen kleinen Gegenstand in die Hand, wobei sein Blick über ihre Schulter auf Gabrielle fiel. Er sprach kein Wort mit ihr und machte keine Anstalten, sich ihr zu nähern, aber sein Blick ruhte lange auf ihr.

Und dann war er weg.

Als erster der Krieger bog Lucan am Ende des Ganges um eine Ecke und verschwand aus ihrem Blickfeld. Der Rest seines Kaders folgte, dann war nur noch das Hallen von schweren Stiefeln und das metallische Klirren von Stahl zu hören.

„Ist mit Ihnen alles in Ordnung?“ Savannah trat zu Gabrielle und legte ihr sanft einen Arm um die Schultern.

„Ja. Es wird schon gehen.“

„Er wollte, dass ich Ihnen das hier gebe.“ Sie hielt Gabrielle ihr Mobiltelefon hin. „Eine Art Friedensangebot?“

Gabrielle nahm das Gerät und nickte zustimmend. „Die Dinge zwischen uns laufen gerade nicht so gut.“

„Das tut mir leid. Lucan sagte, er hoffe, Sie verstehen, dass Sie das Quartier nicht verlassen und Ihren Freunden nicht erzählen können, wo Sie sich aufhalten. Aber wenn Sie sie anrufen müssen …“

„Vielen Dank.“ Gabrielle blickte zu Gideons Gefährtin auf und zwang sich zu einem kleinen Lächeln.

„Wenn Sie ungestört sein wollen, machen Sie es sich gemütlich, wo Sie möchten.“ Savannah umarmte sie kurz und sah dann Eva entgegen, die herbeikam, um sich zu ihnen zu gesellen.

„Ich weiß ja nicht, wie es euch so geht“, meinte Eva, deren schönes Gesicht vor Sorge abgespannt aussah, „aber ich könnte einen Drink gebrauchen. Oder auch drei.“

„Vielleicht könnten wir alle etwas Wein und Gesellschaft gebrauchen“, antwortete Savannah. „Gabrielle, leisten Sie uns doch Gesellschaft, wenn Sie fertig sind. Wir sind dann bei mir.“

„Gut. Vielen Dank.“

Die beiden Frauen sprachen leise miteinander, als sie untergehakt den gewundenen Korridor in Richtung von Savannahs und Gideons Wohnung hinuntergingen. Gabrielle wanderte in die andere Richtung, nicht sicher, wohin sie wollte.

Das stimmte eigentlich nicht. Sie wollte zu Lucan, wollte in seinen Armen sein, aber diesen verzweifelten Wunsch musste sie sich aus dem Kopf schlagen, und zwar schnell. Sie hatte nicht vor, ihn um seine Gunst anzubetteln. Wenn er von dem heutigen Angriff heil und gesund zurückkam, wollte sie darauf bedacht sein, ihre Würde zu wahren – auch wenn das hieß, ihn sich endgültig abzuschminken.

In einer ruhigen, schwach erleuchteten Abzweigung des Ganges kam sie an einer offenen Tür vorbei. Eine Kerze brannte als einzige Lichtquelle in dem leeren Raum. Die Einsamkeit und der schwache Geruch nach Weihrauch und altem Holz zogen sie an. Es handelte sich um die Kapelle des Quartiers. Gabrielle erinnerte sich, auf ihrer Tour mit Savannah daran vorbeigekommen zu sein.

Sie ging zwischen zwei Reihen aus Sitzbänken auf ein erhöhtes Podest zu, das vorne im Raum stand. Dort stand die Kerze, eine dicke rote Säule aus langsam schmelzendem Wachs, deren Flamme tief in der Mitte brannte und ein sanftes, karmesinrotes Licht warf. Gabrielle setzte sich auf eine der vorderen Bänke, ruhte sich eine Weile aus und ließ den Frieden dieses Ortes auf sich wirken.

Dann klappte sie ihr Handy auf. Das Nachrichtensymbol blinkte auf dem Display. Gabrielle drückte den Knopf für Voicemail und hörte den ersten Anruf ab. Er war von Megan und stammte von vor zwei Tagen, etwa um die gleiche Zeit, als sie in Gabrielles Wohnung angerufen hatte, nach dem Lakaienangriff im Park.

„Gabby, ich bin es wieder. Ich habe dir zu Hause ein paar Nachrichten hinterlassen, aber du hast nicht zurückgerufen. Wo bist du? Ich mache mir langsam wirklich Sorgen! Ich finde nicht, dass du nach dem, was passiert ist, allein sein solltest. Ruf mich an, sobald du diese Nachricht bekommst – und ich meine, noch in der gleichen Sekunde, okay?“

Gabrielle löschte die Nachricht und ging zur nächsten über. Sie war von gestern Abend, gegen elf Uhr. Kendras Stimme war zu hören, die etwas müde klang.

„Hallo, du. Bist du zu Hause? Nimm ab, wenn ja. Scheiße – ich nehme an, es ist schon spät – tut mir leid. Wahrscheinlich schläfst du schon. Also, ich wollte anrufen und fragen, ob ihr Lust auf Drinks oder so was habt, oder vielleicht können wir ja mal wieder einen neuen Club ausprobieren? Wie wäre es mit morgen Abend? Ruf mich an.“