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„Mein Gott, Lucan. Du bist unglaublich, weißt du das?“ Sie klatschte mit ihrer Handfläche laut auf den Tisch und lachte hart und wütend auf. „Warum kannst du verdammt noch mal nicht ein bisschen nachsichtiger mit dir selbst sein?“

Ihr unbeherrschter Ausbruch schien seine Aufmerksamkeit zu packen, was nichts anderes vorher geschafft hatte. Er blieb stehen und starrte sie an. „Du weißt, warum“, sagte er mit nun wieder ruhiger Stimme. „Du weißt es besser als irgendjemand sonst.“ Er schüttelte den Kopf, den Mund vor Selbstverachtung verzerrt. „Wobei sich ja gezeigt hat, dass auch Eva davon wusste.“

Gabrielle dachte an die erschreckenden Vorkommnisse auf der Krankenstation. Alle waren entsetzt über Evas Tat und wie gelähmt von ihren wahnsinnigen Anschuldigungen gegen Lucan. Alle außer ihm. „Lucan, die Dinge, die sie gesagt hat –“

„Sind alle wahr, wie du ja selbst erlebt hast. Trotzdem hast du mich verteidigt. Das war schon das zweite Mal, dass du mich davor bewahrt hast, dass meine Schwäche aufgedeckt wurde.“ Er wandte seinen düsteren Blick von ihr ab. „Ich werde dich gewiss nicht bitten, das noch einmal zu tun. Meine Probleme sind meine Angelegenheit.“

„Und du musst sie ansprechen.“

„Was ich muss, ist, ein paar Klamotten anziehen und einen Blick auf diese Bilder werfen, die Gideon hochlädt. Wenn sie uns genügend Informationen über den Grundriss der Nervenheilanstalt liefern, können wir heute Nacht zuschlagen.“

„Was soll das heißen, heute Nacht zuschlagen?“

„Das Gebäude aufmischen. Die Bude platt machen. Das verdammte Ding in die Luft sprengen.“

„Das kann nicht dein Ernst sein. Du hast selbst gesagt, dass es da wahrscheinlich von Rogues nur so wimmelt. Denkst du ernsthaft, dass du und drei andere Kerle es überleben werden, eine unbekannte Anzahl an Gegnern anzugreifen?“

„Das haben wir schon früher getan. Und wir werden zu fünft sein“, meinte er, als ob das einen Unterschied machen würde. „Gideon hat gesagt, er will an allem beteiligt sein, was auch immer wir tun. Er wird Rios Platz einnehmen.“

Gabrielle lachte ungläubig auf. „Und was ist mit dir? Du kannst dich ja kaum auf den Beinen halten.“

„Ich laufe ja herum. Es geht mir gut genug. Sie werden so bald keinen Vergeltungsschlag erwarten, sodass es der beste Zeitpunkt für uns ist zuzuschlagen.“

„Du hast wohl den Verstand verloren. Du brauchst Ruhe, Lucan. Du kannst nichts unternehmen, ehe deine Kräfte nicht zurückgekehrt sind. Du brauchst Zeit, um dich zu erholen.“ Sie sah, wie in seinem Kiefer ein Muskel arbeitete, auch eine Sehne unter der bleichen, abgespannt aussehenden Wange. Seine Gesichtszüge waren härter als üblich, und zu schmal. „Du kannst in deinem Zustand nicht da rausgehen –“

„Ich habe gesagt, es geht mir gut.“

Die Worte kamen als raues Krächzen aus seiner Kehle. Als er den Blick auf Gabrielle richtete, glänzten seine silbernen Iris hell und hatten bernsteinfarbene Tupfen, wie Feuer, das durch Eis züngelt.

„Das ist nicht wahr. Nicht im Geringsten. Du brauchst Stärkung. Dein Körper hat in letzter Zeit zu viel ertragen müssen. Du musst Nahrung zu dir nehmen.“

Gabrielle fühlte, wie eine plötzliche Kälte durch den Raum zog, und wusste, dass sie von ihm ausging. Sie brachte ihn in Rage. Schon vorher hatte sie ihn von seiner schwächsten Seite kennengelernt und es überlebt, aber vielleicht trieb sie ihn jetzt zu weit. Sie hatte gemerkt, dass er, schon seit er sie ins Quartier gebracht hatte, verärgert und nervös und ziemlich reizbar war. Jetzt aber war er gefährlich gereizt. Wollte sie wirklich diejenige sein, die ihn über diese Grenze der Selbstbeherrschung stieß?

Ach, egal. Vielleicht war das genau das, was er brauchte.

„Dein Körper ist am Ende, Lucan, und nicht nur wegen deiner Wunden. Du bist geschwächt. Und du hast Angst.“

„Angst.“ Er warf ihr einen eisigen Blick voller Sarkasmus zu. „Wovor?“

„In erster Linie vor dir selbst. Aber ich glaube, dass du sogar noch mehr Angst vor mir hast.“

Sie wartete auf eine schnelle Widerlegung, etwas Kaltes und Hässliches, das zu dem eisigen Zorn passte, den er abstrahlte wie ein ganzer Gletscher. Aber er sagte nichts. Er starrte sie einen endlosen Moment lang finster an. Dann drehte er sich um und schritt ein wenig steif auf eine große Kommode am anderen Ende des Raumes zu.

Gabrielle blieb auf dem Boden sitzen und sah zu, wie er Schubladen aufriss, Kleidung herauszerrte und sie auf das Bett warf.

„Was machst du?“

„Ich habe keine Zeit, hier herumzusitzen und mit dir zu debattieren. Es ist sinnlos.“

Ein großer Waffenschrank öffnete sich, bevor Lucan ihn erreicht hatte – die Türen schwangen mit einem heftigen Ruck auf. Lucan trat heran und zog ein flaches Fach auf. Mindestens ein Dutzend Dolche und andere tödlich aussehende Stichwaffen lagen in ordentlichen Reihen auf dem Samtfutter der Schublade. Ohne näher hinzusehen nahm Lucan zwei große Messer in schwarzen Lederscheiden heraus. Er öffnete ein anderes Fach und wählte eine große Handfeuerwaffe aus gebürstetem rostfreiem Stahl aus, die aussah wie etwas aus einem Actionfilm-Albtraum.

„Dir gefällt nicht, was ich sage, also läufst du vor mir weg?“

Er sah sie nicht an und fluchte nicht einmal. Nein, er ignorierte sie völlig, und das machte sie ungeheuer wütend.

„Na los, nur zu. Tu so, als wärst du unverwundbar, als hättest du nicht eine Todesangst davor, dass sich jemand um dich sorgt. Lauf vor mir weg, Lucan. Das beweist nur, dass ich recht habe.“

Entmutigt sah Gabrielle zu, wie Lucan einen Ladestreifen aus dem Schrank nahm und in das Magazin der Pistole schob. Nichts, was sie sagte, konnte ihn aufhalten. Sie fühlte sich so hilflos, als versuchte sie, ihre Arme um einen Sturm zu legen.

Als sie frustriert wegschaute, fiel ihr Blick auf den Tisch, an dem sie saß, glitt über die Teller und das Silberbesteck. Da sah sie das unbenutzte Messer liegen, dessen polierte Klinge glänzte.

Sie konnte ihn nicht mit Worten zurückhalten, aber es gab noch etwas anderes …

Gabrielle schob den langen Ärmel ihres Bademantels zurück. Ganz sanft, mit der gleichen furchtlosen Entschlossenheit, die schon hundertmal zuvor ihren Zweck erfüllt hatte, hob sie das Messer und setzte die Schneide gegen das Fleisch ihres Unterarms. Ein ganz kleiner Druck, und die Klinge durchdrang ihre Haut.

Sie wusste nicht, welcher von Lucans Sinnen zuerst reagierte, aber das Gebrüll, das er ausstieß, als er den Kopf hob und sah, was sie getan hatte, brachte jedes Möbelstück im Raum zum Zittern.

„Verdammt noch mal – Gabrielle!“

Die Klinge sprang aus ihrem Griff, wurde durchs ganze Schlafzimmer geschleudert und bohrte sich am anderen Ende des Raumes bis zum Heft in die Wand.

Lucan bewegte sich so schnell, dass sie ihm kaum mit Blicken folgen konnte. In der einen Sekunde stand er noch mehrere Schritte entfernt am Fußende des Bettes, in der nächsten schloss sich seine große Hand hart um ihre und zog sie auf die Beine. Blut quoll aus der dünnen Linie ihrer Schnittwunde, saftiges, tiefes Rot, und lief an ihrem Arm entlang. Ihre Hand steckte fest in Lucans zermalmendem Griff.

Er überragte sie wie eine Mauer aus finsterer, schäumender Wut.

Seine Brust hob und senkte sich, und seine Nüstern weiteten sich, als er heftig ein- und ausatmete. Sein attraktives Gesicht war verzerrt von Schmerz und Entrüstung, aber seine Augen brannten durch die unverkennbare Hitze seines Hungers. Keine Spur von Grau war mehr darin übrig, und seine Pupillen hatten sich zu schwarzen Schlitzen verengt. Seine Fangzähne wurden lang, und ihre scharfen weißen Spitzen glitzerten hinter den grausam gekräuselten Lippen.