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Unentwegt wollen wir dabei zu denen stehen, deren politische Arbeit darauf gerichtet ist, dem Deutschen Volk das größere Maß von bürgerlicher Freiheit und Selbstbestimmung noch zu erringen, welches den nordischen und anglo-sächsischen Zweigen des germanischen Stammes eine glücklichere Geschichte schon vor Jahrhunderten hat zuteil werden lassen. Und wir wissen Dank den Männern, die in der schweren Zeit der letzten 16 Jahre die Fahne des politischen Fortschrittes noch hochgehalten haben und nicht entmutigt durch die Übermacht der Gegner und durch die Teilnahmlosigkeit des Bürgertums, in dieser Zeit, wenn sie auch nur weniges fördern konnten, doch noch manches gerettet haben, was ohne ihre energische und aufopferungsvolle Arbeit jetzt gleichfalls verloren wäre. Nach wie vor halten wir dabei auch fest an der Überzeugung, daß nur gefestigte Institutionen bürgerlicher Freiheit, die allen Kreisen des Volkes tätige Teilnahme an seinen öffentlichen Angelegenheiten gewährleisten, den Hort bilden können für gesunde wirtschaftliche und soziale Zustände.

Dieses alles kann uns aber nicht abhalten, auch der weiteren Überzeugung Ausdruck zu geben, die in unserem Kreise längst feststeht: daß die Freisinnige Volkspartei, wenn sie mit der Verfolgung jener politischen Ziele ein lebenskräftiger Faktor für die Fortentwickelung unseres öffentlichen Lebens bleiben will, nunmehr andere Wege beschreiten müsse, als in bezug auf mehrere Angelegenheiten des Volksinteresses von ihrer Vorgängerin eingeschlagen worden sind.

Jede politische Partei sehen wir vor die Alternative gestellt: entweder sie leugnet, daß in unseren wirtschaftlichen Einrichtungen und sozialen Zuständen ernstliche Übel überhaupt vorhanden seien, sie behauptet, alles sei der Hauptsache nach in bester Ordnung und deshalb liege zu Verbesserungen und Reformen Anlaß gar nicht vor; oder sie erkennt solche Übel als wirklich vorhanden an -damit aber auch die Verpflichtung, positiv mitzuarbeiten zu ihrer Beseitigung auf dem Weg gesetzlicher Reform, unbekümmert darum, von welcher Seite dabei Bundesgenossen zu finden man hoffen oder fürchten mag.

Der erstere von beiden Standpunkten ist für irgend eine liberale Partei nicht mehr denkbar, am wenigsten aber für eine Partei, welche die soziale Befreiung der arbeitenden Klassen schon als Aufgabe hingestellt, damit also ausgesprochen hat, daß diese Befreiung zurzeit noch nicht vollzogen sei. Ist aber die Existenz allgemeiner wirtschaftlicher und sozialer Übel im Volksleben einmal anerkannt, so ist damit auch anerkannt, daß es sich um Übel handelt, die notwendigerweise neun Zehntel des ganzen Volkes -sei es auch den einzelnen zum Teil noch unbewußt -berühren müssen. Übeln solcher Art gegenüber das alsbaldige tätige Eingreifen mit wirklichen konkreten Reformen abzulehnen unter der platonischen Vertröstung: der Fortschritt in der Richtung bürgerlicher und wirtschaftlicher Freiheit werde sie mit der Zeit von selbst überwinden, hieße einfach, jedem erkennbar machen, daß man diese Übel entweder nicht beseitigen wolle, oder daß man sie auf dem Wege gesetzlicher Reformen nicht beseitigen könne. Und dann wäre denen recht gegeben, welche behaupten, daß diese Übel auf dem Boden der jetzigen Staats-und Gesellschaftsordnung überhaupt nicht zu überwinden seien, sondern nur durch völlige Umwälzung dieser Ordnung und welche daraufhin ganz konsequenterweise sagen: wenn solche Umwälzung auf friedlichen Wegen nicht zu erreichen sein sollte, so wird sie wohl oder übel einmal auf gewaltsamen Wegen sich vollziehen müssen.

Wie töricht und unheilvoll nun auch die Verbesserungsideen der Sozialdemokratie befunden werden mögen -keine Ideen haben zu wollen ist ihr gegenüber noch viel törichter und unheilvoller. Läßt man der Sozialdemokratie das Privilegium, die einzige politische Partei zu sein, welche über die Verbesserung der sozialen Zustände noch Ideen hat, so müssen die täglich größer werdenden Kreise derer, denen die Übel, unter welchen sie tatsächlich leiden, zum Bewußtsein kommen, mehr und mehr ihre Hoffnung auf die Verwirklichung dieser Ideen setzen und mehr und mehr in dieser Partei die einzige Instanz erblicken, von deren Aktion sie eine Hebung ihrer Lage überhaupt zu erwarten haben. Und dann gehört die Zukunft dem »Zukunftsstaat«! Denn daß die Polizeiknüppel schlechte geistige Waffen sind, hat zum Überfluß auch der Versuch gezeigt. Eine Partei aber, welche zwar eine »Volkspartei« sich nennt, jedoch bei der großen Majorität des »Volkes« mehr und mehr das Vertrauen verlöre, daß sie den Willen und die Fähigkeit habe, gerechten Beschwerden auf ihren Wegen Abhilfe zu schaffen, würde bald auch alle Kraft zu nachhaltiger Vertretung ihrer rein politischen Ziele verloren haben. Diese Kraft kann sie nur schöpfen aus engem Zusammenhang ihrer Bestrebungen mit denjenigen Gedanken, unter welchen in den breiten Schichten des Volkes die Teilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten jeweils steht.

So muß also unsere Diskussion unter die Fragestellung kommen:

welche soziale Forderungen hat eine »freisinnige Volkspartei« in

ihr Programm aufzunehmen, damit sie ihren Namen mit Ehren führen

könne?

Ich habe mich erboten, über diese Frage das einleitende Referat zu übernehmen, welches zunächst in unserem Kreise Unterlagen für eine Verständigung über das einzelne zu schaffen suchen soll.

Betreffs meiner Legitimation hierzu kann ich mich allerdings nicht berufen auf ein gründliches, systematisches Studium der volkswirtschaftlichen und sozialen Theorien und selbst nicht einmal darauf, daß ich etwa in der öffentlichen Diskussion dieser Angelegenheiten praktisch mich schon betätigt hätte. Zum einen wie zum anderen haben meine sonstigen Pflichten mir Zeit und Kraft nicht übrig gelassen. Diesem Mangel gegenüber kann ich mich jedoch auf etwas berufen, was in der Art, wie ich es habe, nicht viele haben können: eine eigene lebendige Erfahrung. Denn seit ungefähr 25 Jahren bin ich mitten hinein gestellt in das Wirtschaftstreiben, auf dessen Boden die sozialen Vorgänge und Erscheinungen sich abspielen. Und zwar haben die Umstände es mit sich gebracht -was ich als Student mir nicht hätte träumen lassen -daß ich selbst »Unternehmer« geworden bin, nämlich einer, der die gewerbliche Tätigkeit von vielen andern Personen, zuerst von 20, dann von 100 und zuletzt von 500, in den Formen gemeinsamer fabrikatorischer Arbeit mit zu organisieren und zu leiten hatte -was ja wohl unter allen Umständen ein nützlicher und anständiger Beruf ist. Da aber diese Tätigkeit Erfolg hatte, so bin ich dabei mit der Zeit von selbst auch Kapitalist geworden, d. h. einer von denen, welche angesammelten Ertrag vorangegangener Arbeit als Produktionsmittel für weitere Arbeit vorzuhalten haben. Ich habe also Gelegenheit gehabt, die Erscheinungen des heutigen Wirtschaftslebens im Bereich eines einzelnen Industriezweiges, aus allernächster Nähe anzusehen, und dadurch zugleich einen Schlüssel gewonnen für das Verständnis entsprechender Erscheinungen auf Gebieten außerhalb meines eigenen Wirkungskreises. Gemäß den Pflichten, welche meine Stellung mir auferlegte, mußte ich nun diese Erscheinungen stets betrachten vom Standpunkt des Unternehmers und des Kapitalisten. Gleichzeitig aber habe ich sie auch immer betrachten müssen mit den Augen des Arbeitersohnes, dem nicht unter der Hand Unternehmer-und Kapitalistenaugen wachsen wollten. Ich habe also diese Vorgänge gleichzeitig von ganz entgegengesetzten Seiten her ansehen können: einerseits unter dem Gesichtswinkel des Unternehmer-und Kapitalisteninteresses, andererseits aber auch vom Standpunkt des Interesses der Arbeiter -und dann habe ich, unabhängig von jeder Beeinflussung durch äußere Rücksichten, aus beiden ein Fazit mir ziehen können unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses und des Gemeinwohls.