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Auf diesem Wege bin ich im Laufe der Jahre zu ganz bestimmten Ansichten gelangt über Bedeutung und Wirkung gewisser Einrichtungen unserer gegenwärtigen Wirtschaftsordnung und Staatsgesetzgebung und auch über die Ursachen, aus welchen einzelne als besonders gefährlich zu betrachtende Wirkungen hervorgehen. Diese Ansichten unterscheiden sich allerdings in manchen Stücken stark von dem, was zu denken und zu sagen in meinen Kreisen bei den meisten für wohlanständig gilt. Indes trage ich kein Bedenken, diese Ansichten, nachdem ich sie seit Jahren zu einer Richtschnur des eigenen Handelns gemacht, aus dem jetzt gegebenen Anlaß auch öffentlich auszusprechen und geeignetenfalls zu vertreten. Ihnen entnehme ich also die Grundlagen meines Referates über die vorhin gestellte Frage -indem ich es darauf ankommen lasse, ob das eine oder das andere darin etwa für geeignet befunden werden möchte, als Ausgangspunkt von neuen Bestrebungen de lege ferenda in einer freisinnigen Volkspartei zu dienen. Es wäre aber nicht ehrlich, wenn ich dabei verschweigen wollte, daß die erste Anregung zu eigener Stellungnahme gegenüber den sozialen Angelegenheiten sich mir ergeben hat aus gelegentlichem persönlichen Verkehr mit einem der bedeutendsten und hochachtbarsten Führer der deutschen Sozialdemokratie. Die älteren unter Ihnen erinnern sich wohl noch der Agitationsrede, welche der »Drechslergeselle August Bebel« im Sommer 1871[2] hier im Engelsaale gehalten hat. Wenn schon diese in den meisten Punkten meinen Widerspruch herausforderte, so hat sie mir doch einen nachhaltigen Impuls gegeben, angesichts der wirtschaftlichen Vorgänge in meinem Umkreis immer die Augen offen zu halten und insonderheit alles, woran ich selbst beteiligt war, unter dem Bewußtsein strenger Verantwortung zu betrachten. Des weiteren aber waren mir von wesentlicher Hilfe zur Gestaltung meiner Ansichten die wichtigen Ausführungen der Bodenbesitzreformer, die mir durch die Schriften Flürscheims und durch unseren Freund Dr. Harmening näher gebracht worden sind.

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Meine Aufgabe sehe ich nun hier ausschließlich darin: diejenigen Punkte namhaft zu machen, an welchen die bisherigen Bestrebungen der entschieden freisinnigen Parteien Anknüpfung darbieten zur Weiterbildung des Parteiprogramms in der Richtung auf fruchtbare soziale Reformen. Ich habe sodann in concreto zu zeigen, daß gegenüber unbestreitbaren sozialen Übeln und Gefahren, die in den gegenwärtigen Zuständen gegeben sind, wirkliche Reformen, welche den Übeln an die Wurzel gehen, nicht bloß an ihren Symptomen kurieren wollen, möglich sind ohne Umwälzung der Gesellschafts-und Wirtschafts-Ordnung, vielmehr durch Maßnahmen, die auf dem Boden der bestehenden Staatseinrichtungen von der Gesetzgebung -wenn die entscheidenden Faktoren nur wollen -ohne weiteres eingeleitet und schrittweise durchgeführt werden können. Denn es soll sich nicht handeln dürfen um irgend welche Zukunftsideale, deren Verwirklichung, wenn überhaupt denkbar, erst als Endergebnis eines jahrhundertelangen Umbildungsprozesses möglich wäre, sondern um bestimmte Anforderungen, die vernünftigerweise an die heutige Gesetzgebung gestellt werden können. Für das soziale Programm einer politischen Reformpartei dürfen nur Anforderungen in Betracht kommen, deren Erfüllung, wie groß auch die Widerstände sein möchten, die sie von Seiten bestimmter Interessengruppen zunächst zu gewärtigen haben, doch nichts weiter zur Voraussetzung hat, als die allmähliche Überwindung solcher Widerstände.

Es sind nun drei Punkte, auf welche ich in solchem Sinne hier einzugehen gedenke: die Steuergesetzgebung, die mit dem »_Arbeiterschutz_« zusammenhängenden Fragen, und Angelegenheiten der Volksbildung. Ich beziehe mich dabei vorzugsweise auf den Programmentwurf, welchen der verdiente Führer der Gewerkvereins-und Genossenschaftsbestrebungen, Dr. Max Hirsch, schon auf dem ersten Parteitag der Freisinnigen Volkspartei eingebracht hat, von welchem Entwurf wohl anzunehmen ist, daß er auf dem nächsten Parteitag in den Mittelpunkt der Diskussion treten werde. Selbstverständlich aber habe ich dabei nicht minder im Auge das schon um einige Schritte weiter entwickelte soziale Programm der Deutschen Volkspartei, mit welcher in enge Fühlung zu treten der norddeutsche Freisinn wohl als eine wichtige Angelegenheit zu betrachten haben wird.

Für den heutigen Abend beschränke ich mich übrigens ganz auf den zuerst angeführten Gegenstand, die Besteuerungsfragen -zu welchem ich das Folgende anzubringen habe.

Die Bekämpfung des Systems indirekter Steuern und die Forderung, alle Staatsbedürfnisse anzuweisen auf direkte Steuern, gehören von jeher zu den gemeinsamen Bestrebungen aller wirklich liberalen Parteien in Deutschland. Natürlich ist auch für uns kein Wort mehr zu verlieren über die Ungerechtigkeit und Gemeinschädlichkeit einer Besteuerungsart, welche die Reichen verhältnismäßig ganz wenig belastet und deshalb, damit überhaupt »etwas einkomme«, den weitaus größten Teil der Staatslasten auf die Masse der arbeitenden Bevölkerung abwälzen, dadurch aber die Lebenshaltung der breiten Volksschichten entsprechend herabdrücken muß. Auch die Nationalliberale Partei hat diese Ansicht geteilt, so lange sie noch in anderem Sinn als heute eine »liberale« Partei war. -Zuzugeben ist natürlich auch, daß eine direkte Besteuerung des Einkommens allerdings jene Ungerechtigkeit, als solche, um so vollkommener beseitigen könnte, in je schärferer Progression dabei die größeren Einkommen herangezogen würden. Nichtsdestoweniger finde ich in der Forderung solcher progressiven Einkommen_steuer immer noch ein großes sozialpolitisches Defizit. Es ist nämlich für ein Steuersystem nicht genug, daß es, rein steuerrechtlich betrachtet, korrekt oder gerecht sei. In jedem Staatswesen, welches nicht geradewegs auf den »Zukunftsstaat« hinführen will, oder auf die Katastrophen, welche dieses Wort ankündigt, muß meines Erachtens der Steuergesetzgebung noch eine andere, eine spezifisch soziale, staatserhaltende Funktion zugewiesen werden -nämlich der Regulator zu sein für das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit und das Korrektiv zu liefern gegen gewisse zerstörende Wirkungen der unkontrollierten privat-kapitalistischen Produktionsweise.

Solche zerstörende Wirkungen -deren Dasein und fortwährendes Anwachsen heute keine Kunst der Rede mehr hinwegdisputieren wird -sind aber zu erblicken in der fortwährend zunehmenden Tributpflichtigkeit aller Arbeit zugunsten des Besitzes und in der damit Hand in Hand gehenden fortschreitenden Konzentration des Besitzes auf eine immer kleiner werdende Minorität des Volkes. Unter diesem Gesichtspunkt -den ich sogleich näher entwickeln werde -komme ich dazu, dem Programm der demokratischen Parteien in bezug auf die Besteuerungsfrage eine wesentlich anders lautende Forderung an die Gesetzgebung zu empfehlen, die ich vorgreifend -um gleich hier den Zielpunkt der nachfolgenden Erörterungen erkennbar zu machen -dahin formuliere: