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»Da kommt eine SA–Fahne«, sagte ich, wie man das Selbstverständlichste von der Welt sagt.

»Na ja, und?«

»Und willst du sie vielleicht grüßen?«

»Nein, wieso?«

»Das muß man, wenn man ihr auf der Straße begegnet.«

»Was heißt muß? Man tuts einfach nicht.«

Die arme Teddy, sie kam wirklich aus einer anderen Welt! Ich antwortete gar nicht, ich zog nur eine trübsinnige Grimasse.

»Ich bin Ausländerin«, sagte Teddy, »mich kann schon gar niemand zwingen.« Und wieder konnte ich nur bedauernd über ihre Illusionen lächeln. Sie war Österreicherin.

Einen Tag lang zitterte ich ganz ernsthaft um sie, gerade weil sie Österreicherin war. Der österreichische Presseattaché wurde damals gerade eines Nachts aus dem Bett geholt, verhaftet und ausgewiesen. »Wir« waren bekanntlich böse mit Österreich, weil es sich nicht angeschlossen hatte. Darauf ließ aber Dollfuß in Wien auch einen oder gar mehrere Nazis ausweisen – ich weiß es nicht mehr genau; ich weiß, nur noch, daß die Presse einstimmig aufheulte über diese ungeheuerliche Provokation der österreichischen Systemregierung, »die Antwort könne nicht ausbleiben«, hieß es; und worin konnte diese Antwort stilgemäß bestehen als in der Ausweisung sämtlicher Österreicher? Aber alles war uns günstig. Hitler fand irgendeine Schwierigkeit dabei oder vergaß es über irgend etwas anderem. Die Antwort blieb für diesmal aus, und Teddy konnte bleiben.

»Dies ist wirklich das letzte Mal, daß ich hier herkomme«, sagte Teddy. Und ich erzählte ihr, daß ich meinerseits bald nach Paris kommen würde, und wir fingen gleich an, Pläne zu machen: Ein kleines internationales Theater baute sich wie ein Luftschloß auf, mit Studenten und vielleicht mit Emigrantenschauspielern. »Wie macht sich denn überhaupt die deutsche Emigration?« fragte ich hoffnungsvoll, aber hierüber ließ sich Teddy bemerkenswert ausweichend vernehmen. »Die armen Leute sind natürlich alle nicht sehr in Form gerade jetzt«, sagte sie milde.

So gingen ein paar Tage hin. Dann kam ein Donnerschlag, Teddy erzählte mir – oder vielmehr: sie ließ mich erraten und erfragen – daß sie im Begriff sei zu heiraten. Sehr bald nach ihrer Rückkehr.

»Mister Andrews?« fragte ich, mit einer Erleuchtung (er war gar nicht so viel in ihren Erzählungen vorgenommen). Sie nickte. »Sehr gut«, sagte ich. Wir saßen vor dem Romanischen Café, der jetzt verödeten Stätte der Berliner Literaten–Bohème, gegenüber der Gedächtniskirche, und die dicken romanischen Quadertürme der Kirche rückten plötzlich auf mich zu und schlossen mich ein wie die Wände eines Verlieses.

»Mon pauvre vieux«, sagte Teddy. »Ist es sehr schlimm?«

Ich schüttelte den Kopf.

Dann sagte sie etwas, was mir eine süße und wehe Welle durch den Kopf jagte. Es war nie die Rede davon gewesen, daß so etwas wie Heiraten zwischen uns überhaupt in Frage käme, und selbst unsere Liebesgeschichte war immer dann unterbrochen worden, wenn es gerade soweit war. Ich war nie allzu sicher gewesen, daß ich mehr für sie war als eben ein Freund wie andere Freunde. Was sie für mich war, hatte ich ihr auch nie gesagt. Es hätte sich auch kaum sagen lassen, es hätte zu pathetisch geklungen. In unseren innigsten Augenblicken war immer noch ein Ton von

Scherzhaftigkeit gewesen.

»Wir hätten uns ja jetzt doch nicht mehr heiraten können«, sagte sie. »Was solltest du hier mit mir anfangen.«

»Du hast daran gedacht?« sagte ich. Und sie, lachend über meine Tölpelhaftigkeit: »Oh, schon.« Und dann, mit einer Geste von unendlicher Freundlichkeit: »Noch bin ich ja hier.«

Abschied, Abschied also wiederum, aber ein so voller, so klingender Abschied wie keiner zuvor. Alles schien nun gut und wie eine Vorbereitung für die drei Wochen gewesen zu sein, die uns noch blieben: Alles hatte Platz gemacht und mich freigegeben, keine Freunde waren mehr da und keine Pflichten, nichts, was mich abhielt, von früh bis spät mit Teddy zusammenzusein und ihr zu gehören.

Und auch sie schien gerade zu mir gekommen zu sein – wenn auch nur, um Abschied zu nehmen.

Und noch in diesem Augenblick schien alles wie absichtlich sich zurückzuziehen, um diese drei Wochen freizugeben: Das Deutsche Reich ließ sich gnädig Zeit, seine Hand auf mich zu legen, die es schon ausgestreckt hatte; kein amtliches Schreiben kam, mich wegzuholen. Meine Eltern verreisten.

Die arme Charlie wurde krank und ging in die Klinik; es war, als wolle sie mir einen schrecklichen, gar nicht anzunehmenden Gefallen tun. Ich hätte anders empfinden sollen, ich weiß.

Diese drei Wochen vergingen wie ein Tag. Sie waren übrigens kein Idyll, und wir hatten in all diesen drei Wochen kaum Zeit, Liebespaar zu spielen oder von unseren Gefühlen zu reden. Teddy hatte noch die Auswanderung ihrer Mutter zu arrangieren in diesen Wochen, einer kleinen alten Dame, die still und hoffnungslos zwischen ihren Möbeln saß und die Welt nicht mehr verstand. So liefen wir auf Behörden und Speditionsfirmen herum, saßen stundenlang im Warteraum der Devisenstelle, hatten täglich zu planen und zu organisieren, und zum Schluß überwachten wir den Umzug und

kommandierten die Packer. Abbruch und Aufbruch; es war ein Stück, das ich nun schon kannte. Aber diese drei Wochen Abbruch und Aufbruch waren der ganze Platz, der in Zeit und Ewigkeit (reiblieb, um das ganze Gefühl einer großen jahrelangen schüchternen Leidenschaft hineinzupressen. In diesen Wochen waren wir so unzertrennlich wie zwei Frischverlobte und so vertraut und verbunden wie ein uraltes Ehepaar. Es war eine Zeit ohne tote Stellen. Selbst auf der Devisenstelle miteinander zu sitzen und zusammen auszuhecken, was man den Beamten erzählen konnte, war süß.

Zum Schluß ergab sich, daß soundsoviel Geld nicht bewilligt wurde. »Dann hilft es nichts,« erklärte Teddy, »dann muß ich eben schmuggeln. Ehe ich es uns stehlen lasse –«

»Aber wenn sie dich fassen!«

»Mich fassen sie nicht«, sagte sie, strahlend vor Sicherheit. »Ich werde schon mit ihnen auskommen.

»Übrigens kann ich Buchbinden.« Und ein paar Tage lang saßen wir in Teddys lange verwaistem Jungmädchenzimmer und verfertigten kunstreich und eifrig Bucheinbände, mit viel Pappe und Kleister und Kunstpapier, und innen bestanden sie aus Hundertmarkscheinen. Zwischen der Arbeit einmal aufsehend, erblickten wir unsere eifrigen Gesichter im Spiegel. »Alte Verbrechervisagen«, sagte Teddy, und für ein paar Minuten ruhte unsere Arbeit. Einmal während der Arbeit klingelte es, und wie einst bei Landaus standen zwei SA–Leute an der Tür, diesmal freilich nur, um mit drohend klappernden Büchsen für irgend etwas zu sammeln. Ich sagte patzig »bedaure« und warf ihnen die Tür ins Gesicht. Mit Teddy im Hintergrund fühlte ich eine unbeschreibliche übermütige Sicherheit.

Nur manchmal in der Nacht wachte ich auf, und die Welt sah plötzlich grau aus wie ein Hinrichtungshof. In diesen Stunden, und nur in ihnen, wußte ich, daß alles ein Ende war. In Paris saß Mister Andrews und wartete auf Teddy. Wenn ich nach Paris käme, würde Teddy Frau Andrews sein, und Andrews war viel zu sympathisch, um ihn zu betrügen. Vielleicht würden sie Kinder zusammen haben. Bei diesem Gedanken wurde mir sterbenselend. Ich sah Andrews vor mir, wie ich ihn vor zwei Jahren manchmal gesehen hatte, in einer komischen Zeit, als Teddy ihrer Familie zum Trotz in Paris geblieben war, eine verlorene Tochter, ohne Geld und mit vielen Freunden, die alle an ihr herumrissen und jeder ein möglichst großes Stück von ihr abreißen wollte und Eifersuchtsdramen aufführten und ihr alle nicht helfen konnten (auch ich war nicht viel Besseres als einer von ihnen); dann kam noch mal der schweigsame Mister Andrews in Teddys winziges unordentliches